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"Es geht um einen Politikwechsel"

Der ehemalige UNO-Botschafter Deutschlands, Gunter Pleuger, erhofft sich von dem designierten US-Verteidigungsminister Robert Gates einen Politikwechsel. Die bisherige Politik im Irak sei gescheitert. Sowohl der Wechsel im Pentagon, als auch die Veröffentlichung des Berichts der Baker-Kommission am Mittwoch seien Zeichen einer Neuformulierung der Irak-Politik der amerikanischen Regierung.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Die Irak-Politik der USA wird sich als politisches Thema durch diese Woche ziehen. Ab heute muss sich der designierte Verteidigungsminister Robert Gates der Anhörung im US-Senat stellen. Morgen dann wird die so genannte Baker-Kommission - sie ist überparteilich - ihre Vorschläge für einen Kurswechsel im Irak präsentieren. All dies sind Auswirkungen der Kongresswahlen des vergangenen Monats. Die Demokraten verlangen nach ihrem Wahlsieg Mitspracherecht. Dies gilt auch für eine Personalie, die gestern Nachmittag bekannt wurde. John Bolton, bisher amerikanischer UNO-Botschafter in New York, wird abgelöst. Bolton war für George Bush der Mann fürs Grobe, der Mann, der Washingtons Distanz zu den Vereinten Nationen verkörperte. 0Vor der Sendung habe ich mit dem ehemaligen deutschen UNO-Botschafter Gunter Pleuger gesprochen. Zunächst habe ich vermutet, dass die Zusammenarbeit mit dem Amtskollegen Bolton sicher nicht immer einfach war.

    Gunter Pleuger: Das ist sicherlich richtig. Auf der anderen Seite muss man wissen, dass Diplomaten dazu da sind, Probleme zu lösen und das in professioneller Manier, das heißt also ohne persönlich zu werden.

    Remme: Erinnern Sie sich an eine besonders eindrückliche Begegnung?

    Pleuger: Ich kenne John Bolton seit vielen Jahren. Ich war ja auch mal fünf Jahre in Washington auf Posten. Er war dort Leiter der VN- und Menschenrechtsabteilung. Dort hatte ich viel mit ihm zu tun. Er ist ein schwieriger Partner. Er gehört politisch zu den Neokonservativen und er denkt sehr stark in Kategorien von gut und böse oder von richtig und falsch. Leider ist es in der Politik häufig so, dass man weder das eine noch das andere klar entscheiden kann, sondern nur die Möglichkeit hat, zwischen zwei Alternativen zu entscheiden und die können beide schlecht sein und dann nimmt man halt die weniger schlechte. Das ist ein Gedankengang, der ihm eher fern liegt.

    Remme: Äußerte sich in der Rolle, die Bolton als Botschafter ja auch spielen musste, eine Art Geringschätzung der USA für die UNO?

    Pleuger: Ja, das hat er in manchen Dingen zum Ausdruck gebracht, hauptsächlich allerdings bevor er Botschafter in New York wurde. Er hat ja mal erklärt, man könne die obersten acht Stockwerke des Sekretariats ohne weiteres abreißen, das würde niemand merken. Also er ist sicherlich kein anerkannter Freund der Vereinten Nationen gewesen und sein Verhandlungsstil hat ihn natürlich auch unter den Kollegen nicht unbedingt populär gemacht.

    Remme: Der Wechsel im Amt des UN-Botschafters muss in Zusammenhang gesehen werden mit den Kongresswahlen. In Washington geht es heute um einen anderen Amtswechsel, der auch in diesen Zusammenhang gehört. Der designierte Verteidigungsminister Gates muss sich der Anhörung im Senat stellen. Geht es bei diesem Wechsel von Rumsfeld zu Gates mehr als um eine Personalie?

    Pleuger: Ja, das glaube ich ganz sicher. Es geht um einen Politikwechsel, denn es zeigt sich ja an der inneramerikanischen Diskussion ebenso wie aus den Erkenntnissen der übrigen Staatenwelt, dass die bisherige Politik im Irak gescheitert ist. Die Tatsache, dass der Verteidigungsminister ausgewechselt wird, die Tatsache, dass es morgen am Mittwoch den Bericht der Baker-Kommission gibt - darüber hinaus wird es innerhalb der nächsten Woche oder so noch weitere Berichte geben, sowohl des nationalen Sicherheitsrates wie auch des Generalstabs -, all das weist darauf hin, dass ein Neuanfang und eine Neuformulierung der Irak-Politik der amerikanischen Regierung unumgänglich ist.

    Meurer: Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass diese "Iraq Study Group", die Baker-Kommission, überparteilich organisiert ist. Welche Erwartungen darf man an diese Gruppe haben?

    Pleuger: Ich glaube, dass diese Gruppe so zusammengesetzt ist, dass sie über ein großes Ansehen, über große Autorität verfügt. Sie ist nicht nur überparteilich besetzt mit Angehörigen sowohl der Republikaner wie auch der Demokraten, sondern auch mit vielen angesehenen Persönlichkeiten, die schon unter Vater Bush, als der Präsident war, dem Staat gedient haben.

    Remme: Sie haben im Vorfeld des Irak-Krieges als UNO-Botschafter Ihre Erfahrungen mit der Regierung Bush gemacht. Halten Sie diese für lernfähig?

    Pleuger: Das ist schwer zu sagen. Die Amerikaner als letzte verbliebene Supermacht waren in dieser Diskussion sehr stark der Überzeugung, dass es das Beste sei, wenn sie selbst die totale Kontrolle über die gesamte Politik hätten. Nun hat sich aber inzwischen herausgestellt, dass selbst die größte Macht der Welt nicht mehr alle Probleme dieser Welt alleine und ohne fremde Hilfe lösen kann. Deswegen hoffe ich zumindest, dass eine gewisse Rückkehr zum Multilateralismus, eine gewisse Rückkehr zu gemeinsamen politischen Anstrengungen bei der Lösung großer, grenzüberschreitender Probleme wieder einkehren wird, wenn die amerikanische Politik jetzt verändert und auf den Prüfstand gestellt wird.

    Meurer: Herr Pleuger, der amerikanische Präsident George Bush wollte ja mehr als nur einen Krieg führen im Irak. Er wollte eine ganze Region demokratisieren. Warum ist diese Idee gescheitert?

    Pleuger: Ich glaube sie können Demokratie nicht mit Gewalt und mit Krieg einführen. Irgendjemand hat mal gesagt, wer Frieden will, muss auch Frieden anbieten. Ich glaube das ist generell richtig und wenn man von Grund auf die Strukturen eines Staates, einer Gesellschaft, einer Wirtschaft und einer Gesellschaft im Umbruch zu einer neuen und friedlichen, demokratischen Struktur führen will, dann bedarf es einer umfassenden Strategie, die weit über das Militärische hinausgeht. Deshalb glaube ich, dass wenn die amerikanische Politik jetzt neu formuliert wird sie enden muss in einer umfassenden Strategie, die nicht nur militärische Sicherheit verspricht, sondern auch den Wiederaufbau des Landes, denn man muss sehen: den Irakern geht es heute schlechter als vor dem Krieg.

    Remme: Fast 3.000 amerikanische Soldaten sind tot durch diesen Krieg. Es gibt verschiedene Ideen und Konzepte für die Zukunft. Das geht von einem Ausbau der Truppenpräsenz bis zu einem langsamen Rückzug und einem geradezu schnellen Abzug der Truppen. Welche Option halten Sie für die richtige?

    Pleuger: Ich glaube das ist sehr schwer zu sagen. Die Situation ist ein Dilemma. Wenn die Amerikaner rausgehen, dann hinterlassen sie ein Chaos und möglicherweise den Zerfall des Staates Irak mit unabsehbaren Folgen für die Stabilität des gesamten Nahen und Mittleren Ostens. Wenn sie drin bleiben, kann das gleiche geschehen. Man wird also eine Strategie fahren müssen, die versucht, einmal ähnlich wie in Afghanistan die Sichtbarkeit und Fühlbarkeit der Besatzung zu reduzieren, und zum anderen dafür zu sorgen, dass es der Bevölkerung besser geht, dass der Wiederaufbau des Landes voranschreitet. Und drittens, dass die irakische Regierung und die staatlichen Institutionen in zunehmendem Maße in der Lage und willens sind, die eigene Verantwortung für das Land zu übernehmen, einschließlich der Sicherheit und des Wiederaufbaus.

    Remme: Herr Pleuger, ein Ausweg, der jetzt empfohlen wird, ist ein direktes Gespräch mit bisherigen Gegnern wie dem Iran oder Syrien. Beide Staaten haben von dem Chaos in der Region bisher profitiert. Welches Interesse sollten sie daran haben, mit Washington zusammenzuarbeiten?

    Pleuger: Ich glaube, dass das auch eine Empfehlung der Baker-Kommission sein wird und ich halte diese Empfehlung auch für richtig, denn selbstverständlich haben Syrien und Iran Einfluss auf die Entwicklung im Irak. Wenn man einen Konflikt lösen will, muss man mit allen Konfliktbeteiligten reden. Sie haben Recht: Warum sollten beide Staaten, die bisher von dem Konflikt machtpolitisch profitiert haben, dazu bereit sein? Diese beiden Staaten werden sicherlich Bedingungen stellen und politische Ziele verfolgen. Bei Syrien ist ganz klar, dass das Hauptproblem für die Syrer die Wiedergewinnung der von Israel annektierten Golan-Höhen ist. Ich glaube nicht, dass sie ohne Konzessionen in diesem Bereich bereit sein werden, bei der Stabilisierung Iraks zu helfen. Bei Iran wird es möglicherweise darum gehen, dass bei der Nuklearfrage, die ja zwischen den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates plus Deutschland und dem Iran streitig ist, Fortschritte erzielt werden in einer Weise, die für Iran gesichtswahrend sind.

    Remme: Herr Pleuger, zum Schluss noch ein Wort zur Rolle Deutschlands. Es hilft ja nichts, dass man von Vornherein gegen diesen Krieg war. Jetzt ist die Situation so wie sie ist. Außenminister Steinmeier wurde gestern in Damaskus von Seiten der Syrer aufgefordert, eine zentrale Rolle zu spielen als Land bei einer Suche nach Lösungen. Ist das realistisch?

    Pleuger: Ich glaube, dass Deutschland in diesem wie auch in anderen Konflikten eine sehr konstruktive und positive Rolle spielt. Ich glaube im Übrigen, dass Außenminister Steinmeier sich sehr bewusst ist, dass wir uns dabei natürlich nicht übernehmen können. Die Möglichkeiten Deutschlands sind begrenzt, aber das Ansehen Deutschlands in der Region ist auf beiden Seiten oder auf allen Seiten sehr hoch und ich glaube, dass es deshalb vernünftig und angemessen ist, wenn Deutschland versucht, dieses Ansehen für eine konstruktive Politik zu nutzen, um mehr Stabilität in diesem Raum zu schaffen.