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"Es gibt auch ein Politikversagen"

Die Probleme bei der Bahn seien nicht nur auf Managementversagen zurückzuführen, meint der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Herrmann (Grüne). Die Politik müsse auch mehr Geld für Infrastruktur und Personal ausgeben. Die Rendite dürfe nicht aus dem Unternehmen abgezogen, sondern müsse reinvestiert werden.

Winfried Herrmann im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Was bei der Bahn in diesen Tagen, in diesem Wochen passiert, ist alles andere als schön, und wie Bahnchef Gruber heute Morgen zugegeben hat in einigen Interviews: "Das ist eine Blamage für die Bahn." Und damit hat es ein weiteres großes Problem in Deutschland neben Flughäfen, die nicht ans Netz gehen, neben Bahnhöfen, die nicht gebaut werden, rollt die Bahn auch nicht. Was kann denn da eigentlich besser werden? Darüber wollen wir reden mit Winfried Hermann, dem Verkehrsminister aus Baden-Württemberg, den ich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Hermann!

    Winfried Hermann: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Hermann, fangen wir einfach mal an. Die FDP hat jetzt gesagt: Na ja, wenn wir rechtzeitig privatisiert hätten, dann wäre alles besser. Sie stehen da auf der ganz anderen Seite. Warum würde Privatisierung aus Ihrer Sicht nichts besser machen?

    Hermann: Also was wir heute sozusagen als Probleme sehen, sind ja die Folgen des Versuchs der Privatisierung, das heißt, dass man ein großes Unternehmen versucht hat auf Rendite, auf kurzfristige Rendite zu trimmen, und dabei sich viele Dinge gespart haben, die sich jetzt langfristig regen – sei es jetzt eine vorsorgende Personalpolitik, die nicht gemacht wurde, dass man im Bereich des Netzes, der Infrastruktur zu viel gespart hat, und dass man übrigens auch zu viele Leute aus anderen Unternehmen hergeholt hat als Manager, und zu wenig Leute, die sich im Eisenbahnverkehr auskennen. Und was jetzt sozusagen in Mainz sichtbar geworden ist, dass dieser Kurs nicht korrigiert wurde: Man hat unter der großen Koalition versucht, den Börsengang zu organisieren, und die schwarz-gelbe Koalition hat im Grunde genommen diesen fortgesetzt unter anderem Titel, sie hat gesagt, wir privatisieren nicht, aber wir wollen als Bund die Rendite sehen. Und der Bund kassiert ja inzwischen von der Bahn 500 Millionen pro Jahr plus X Millionen mehr in den nächsten Jahren, und verhält sich im Grunde genommen wie ein privater Investor. Und das schadet der Bahn, insofern muss man sagen, in Mainz ist nicht nur zu besichtigen ein Managementversagen, sondern es gibt auch ein Politikversagen.

    Zurheide: Auf der anderen Seite steht natürlich schon die Frage im Raum, die Bahn, die wir haben in Deutschland, dass sie effizient sein muss, werden Sie nicht bestreiten, und das kann natürlich auch ein Maßstab für Effizienz sein, dass ein Unternehmen Gewinne macht. Das werden Sie nicht bestreiten, auch als Grüner nicht, oder?

    Hermann: Nein, natürlich, soll ein Unternehmen effizient sein, sollen auch gut gemanagt werden, und es soll auch keine sozusagen Überstände haben an Unnötigem, das ist überhaupt gar keine Frage. Nur die Frage lautet, kann man die Rendite in einem Unternehmen, was über Jahrzehnte vernachlässigt worden ist, über Jahrzehnte nicht entsprechend modernisiert worden ist, kann man da noch Gelder rausziehen, oder muss man nicht das, was an Rendite erwirtschaftet wird, reinvestieren. Und das ist nicht in genügender Weise geschehen.

    Zurheide: Jetzt schauen wir mal einen Moment ins Ausland. Sie sind als Baden-Württemberger ja etwas näher an der Schweiz als andere. In der Schweiz haben wir wir weltweit eine der besten Bahnen, die ist übrigens nie privatisiert worden, da gibt es Taktfahrpläne, da gibt es trotz der topografischen Schwierigkeiten mit vielen Tunneln, Brücken und so weiter ein dichtes Netz, und da nutzen die Menschen das mehr. Könnten wir von der Schweiz irgendetwas lernen, und wenn ja, was?

    Hermann: In jedem Fall können wir von der Schweiz lernen, aber es ist übrigens nicht richtig, dass in der Schweiz gar nicht privatisiert worden ist, sondern die Organisationsprivatisierung, das heißt, dass man aus Staatsunternehmen privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen macht, das ist in der Schweiz genau so geschehen. Das sind auch … die SBB ist eine Aktiengesellschaft. Der große Unterschied ist, dass in der Schweiz der Eigentümer oder die Eigentümer stets ihre Eigentümerverantwortung wahrgenommen haben, und in Deutschland hat die Politik mit der Organisationsprivatisierung weitgehend die Verantwortung ans Management abgeschoben und zum Teil die völlig falschen Vorgaben gemacht oder gar keine Vorgaben gemacht. Und in der Schweiz gibt es eine viel stärkere politische Kontrolle und Steuerung, es gibt klare Vorgaben, was ein Unternehmen, was das Unternehmen zu erreichen hat, es wird zum Beispiel nicht ausgebaut nach dem Prinzip, jetzt bauen wir ein Großprojekt, und das ist irgendwie wichtig, und dann fährt man anschließend schneller, sondern es gibt einen Gesamtfahrplan, und dann fragen sie sich: Muss ich ausbauen, und wenn ja, zu welchen Bedingungen? Was muss ich erreichen? Und das Management muss übrigens auch regelmäßig dem Eigentümer Bericht erstatten, viel mehr, als es in Deutschland ist, und, was sie zu Recht sagen, die Bahn in der Schweiz oder die Bahnen in der Schweiz sind in der Bevölkerung ganz anders verankert, weil größere Ausbauprojekte wie etwa die großen Tunnelprojekte – also Gotthard-Basistunnel zum Beispiel – sind ja über mehrere Jahre öffentlich diskutiert worden, anschließend in einer Volksabstimmung beschlossen worden, und da hat sozusagen jeder mitgeredet, sich entschieden und gesagt, jetzt investieren wir, aber wir wollen auch was sehen, und wir wollen unsere Bahn auch nutzen.

    Zurheide: Ist in Deutschland möglicherweise auf der anderen Seite das Problem da, dass die Politik in gewisser Weise wieder zu viel auch reinredet in bestimmte Entscheidungen? Stuttgart 21, das wissen Sie besser als andere, ist durch die Politik ja irgendwann im ganz kleinen Kreis entschieden worden. Dann gibt es so Trassen, eine Trasse heißt die Bernhard-Vogel-Trasse, weil die Bahn dann gezwungen worden ist, dann noch in Erfurt vorbeizufahren, was eigentlich nicht wirklich wirtschaftlich ist. Also ist der Politikeinfluss in gewisser Weise auch wieder zu groß bei uns?

    Hermann: Also es gibt sozusagen eine Mischung: Auf der einen Seite wendet sich die Politik ab und kümmert sich nicht drum, also die Kanzlerin Merkel ist seit acht Jahren Kanzlerin, und hat die Eigentümerverantwortung, wie übrigens auch die Verkehrsminister, nimmt sie aber nie wahr. Aber wenn der Posten des Chefs besetzt wird, dann schon. Oder wenn man zwei Milliarden locker machen will, damit das Stuttgart-21-Projekt gerettet wird, dann schon. Aber sozusagen die kontinuierliche Eigentümerverantwortung, die wird nicht wahrgenommen, es ist keine strategische Orientierung da, dass man sagt, das und das wollen wir mit dem Schienenverkehr in Deutschland erreichen, dafür wollen wir vom Management folgende Maßnahmen erwarten und umgesetzt sehen, und dann auf der anderen Seite wird ad hoc eingegriffen, wie auch jetzt, man ignoriert über Jahre weg die Probleme der Bahn im Bereich Infrastruktur, und dann greift man ad hoc ein, wenn es sozusagen in der "Tagesschau", in der "Bild"-Zeitung kommt, und alle sagen, das kann doch nicht wahr sein. Also es ist ein unsystematisches Hineinregieren anstelle einer klaren Eigentümerverantwortung mit klarer politischer Zielvorgabe.

    Zurheide: Nur auf der anderen Seite, all das, was Sie sagen, wird unterm Strich natürlich mehr Geld kosten, und da sind wir bei dem Grundthema, dass überhaupt für Infrastruktur wesentlich mehr ausgegeben werden sollte. Wo soll es herkommen, Herr Hermann.

    Hermann: Das ist vollkommen richtig, wir haben ja, die Verkehrsminister der Länder haben ja eine Kommission gebildet, in der ich auch Mitglied war, und wir haben sozusagen gemeinsam festgestellt, dass es in Deutschland pro Jahr etwa ein Defizit von rund sieben Milliarden alleine beim Erhalt und bei der Sanierung von Infrastruktur, also Straße, Schiene, Wasserstraße insgesamt gibt, also nur beim Erhalt und bei der Sanierung. Und etwa zwei Milliarden beziehen sich auf Bahn und ÖPNV, also von diesen sieben Milliarden, und da bin ich klar der Meinung, das müssen wir in den nächsten Jahren korrigieren, wir müssen mehr investieren in den Erhalt und in die Sanierung, das ist ja auch sozusagen in Mainz sichtbar, und ich habe Sorge, dass das anderswo auch noch aufbricht. Und wenn man das will, dann glaube ich, dass man auch neue Einnahmequellen suchen muss. Ich glaube nicht, dass wir es schaffen werden, das ausschließlich mit herkömmlichen Mitteln zu machen. Die erste Einnahmequelle für mich ist, dass der Bund nicht mehr seine Rendite abzieht, sondern reinvestiert, das Zweite ist, dass ich glaube, dass wir insgesamt die Maut weiterentwickeln müssen. Wir sind ja, haben jetzt ja eine zweite Kommission gebildet, in der wir Vorschläge erarbeiten, wie wir stärker auch die Nutzerfinanzierung mit berücksichtigen können oder eben auch andere Maßnahmen. Wir sind, das muss ich sagen, eben noch nicht entschieden, und in der Diskussion, aber es gibt unter den Verkehrsministern schon, glaube ich, eine Mehrheit dafür, die sagt, nur aus herkömmlichen Haushaltsmitteln werden wir unser komplexes und hochteures Verkehrsinfrastruktur-System auf Dauer nicht finanzieren können.

    Zurheide: Die Bahn braucht mehr Geld, die Infrastruktur braucht mehr Geld – wo es herkommen kann, hat uns Winfried Hermann erklärt, der Verkehrsminister aus Baden-Württemberg. Herr Hermann, herzlichen Dank für das Gespräch!

    Hermann: Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.