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"Es gibt bislang keinen Plan B"

Axel Poniatowski, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der französischen Nationalversammlung, hat die Regel der Einstimmigkeit in der EU in Frage gestellt. Wenn einige Länder beim Aufbau Europas nicht weitergehen wollten, dürfe das die anderen nicht daran hindern, diesen Aufbau gemeinsam fortzusetzen, so das Mitglied der französischen Regierungspartei UMP.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Ab Juli übernimmt Frankreich den Vorsitz der Europäischen Union. Ein schwieriges Halbjahr steht den Franzosen bevor: Von der geplanten Mittelmeerunion, mit der Präsident Nicolas Sarkozy sein Land ins Zentrum des europäischen Geschehens zurückbefördern wollte, ist kaum etwas übrig geblieben. Zudem zeigen sich die Maghreb-Staaten desinteressiert. Nun muss Sarkozy nach dem Nein der Iren zum europäischen Reformvertrag eine schwere Krise meistern. Keine Zeit fürs Durchboxen nationaler Interessen. Sarkozy galt bislang nicht gerade als glühender Europäer. In Frankreich nennt man ihn "Sarko l'Américain", den Amerikaner. Sein US-Amtskollege George Bush hält sich übrigens gerade in Paris auf. Axel Poniatowski ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der französischen Nationalversammlung. Er gehört der Regierungspartei UMP an. Ich habe ihn gefragt, welche Folgen das irische Nein für die Europäische Union und die bevorstehende französische EU-Ratspräsidentschaft hat.

    Axel Poniatowski: Sowohl für die Europäische Union als auch für die französische Ratspräsidentschaft wird die Lage komplizierter. Ein Europäer wie ich kann das nur bedauern. Andererseits ist dies das Votum des irischen Volkes. Diese Entscheidung muss man respektieren. Wir sollten nun Lösungen finden, damit dadurch der Aufbau Europas nicht blockiert wird. In dieser Lage rufe ich zu einer Abstimmung zwischen Frankreich und Deutschland auf, um einen Ausweg zu suchen.

    Heinemann: Welche Lösung könnte das sein?

    Poniatowski: Es ist jetzt zu früh, um dies zu sagen. Anders als behauptet wurde, gibt es bislang keinen Plan B. Wir sollten uns jetzt Zeit lassen, nachdenken und uns zu Beginn der französischen Ratspräsidentschaft mit neuen Vorschlägen einfinden.

    Heinemann: Benötigt die Europäische Union einen Mechanismus, der diejenigen Staaten ausschließt, die ständig Reformen verhindern?

    Poniatowski: Ich glaube, wir benötigen keinen Ausschlussmechanismus. Aber wir müssen uns jetzt ein System ausdenken, das dafür sorgt, dass die Regel der Einstimmigkeit nicht für den weiteren Aufbau Europas gilt. Und wenn einige Länder nicht weitergehen wollen - über diese Freiheit sollten sie selbstverständlich verfügen - darf das die anderen nicht daran hindern, diesen Aufbau gemeinsam fortzusetzen.

    Heinemann: Kann die Europäische Union mit 27 Mitgliedsstaaten dauerhaft auf der Grundlage des Vertrages von Nizza funktionieren?

    Poniatowski: Nein. Der Vertrag von Nizza ist nicht zufriedenstellend, weil er viele Zwänge auferlegt, welche die Europäer nicht verstehen. Er reicht nicht aus, im Gegensatz zu dem Vertrag von Lissabon, so wie dieser geplant war. Infolgedessen können wir heute nicht beim Vertrag von Nizza bleiben.

    Heinemann: Herr Poniatowski, ein anderes Thema: US-Präsident Georg Bush ist auf seiner Abschiedsreise durch Europa in Paris eingetroffen. Anlass für die Bilanz seiner Amtszeit: Der frühere Bundsaußenminister Hans-Dietrich Genscher hat gesagt, Bush habe den Abstand zwischen Europa und den Vereinigten Staaten vergrößert. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Poniatowski: Ja, ich teile sie. Unter seiner Präsidentschaft ist der Graben zwischen den USA und West-Europa breiter geworden. Gleichzeitig sollte man aber unseren allgemeinen Blick auf die Vereinigten Staaten und den auf die Bush-Regierung nicht miteinander vermischen. Das sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Wir sollten nicht das amerikanische Volk und dieses großartige Land der Freiheit, der Abenteuer und der Möglichkeiten kritisieren, dem wir eng verbunden bleiben. Deshalb: kein Vermischen der Regierung einerseits mit dem Land andererseits.

    Heinemann: War Präsident Bushs Plan, die Demokratie in den Nahen Osten zu exportieren, von Anfang an zum Scheitern verurteilt?

    Poniatowski: Das ist klar, und daher stammten alle weiteren Irrtümer. Man kann die westliche Demokratie nicht in Kulturen exportieren, die von diesen westlichen Kulturen weit entfernt und überhaupt nicht darauf vorbereitet sind, diese aufzunehmen. Bushs Vision von einem großen Nahen Osten, dem er die Demokratie bringen könnte - dies ist der Kern der Theorie der amerikanischen Neokonservativen - beruht auf einer Wahrnehmung, die vollständig falsch ist.

    Heinemann: Erwarten Sie eine militärischen Operation der USA gegen den Iran?

    Poniatowski: Auf jeden Fall wünsche mir ich eine solche nicht. Dies wäre ein großer Fehler und ganz und gar voreilig. Natürlich muss alles unternommen werden, damit der Iran nicht über Atomwaffen verfügt. Aber bevor man überhaupt an eine solche militärische Möglichkeit denkt, müssen noch viele Schritte unternommen werden. Ich glaube, dass die Politik der Sanktionen im Iran Früchte trägt und dass man auf diesem Weg weitergehen muss.

    Heinemann: Was erwarten Sie von George Bushs Nachfolger?

    Poniatowski: George Bushs Nachfolger muss einen innenpolitischen Wechsel in den Vereinigten Staaten einleiten - vor allem aber auch in der internationalen Politik - und das interessiert uns besonders. Er muss dahin zurückkehren, wo die USA immer standen, zu ihren demokratischen Werten, von denen jedes unserer europäischen Ländern geprägt ist.

    Heinemann: McCain oder Obama, welchen der beiden Kandidaten würden Sie als Präsidenten vorziehen?

    Poniatowski: Ich habe seit Monaten zum Ausdruck gebracht, dass mich die Kandidatur von Herrn Obama besonders interessiert.

    Heinemann: Aus welchem Grund?

    Poniatowski: Weil ich glaube, dass er für einen wirklichen Wechsel steht. Mit ihm endeten 20 Jahre einer amerikanischen Politik, die von den Familien Clinton und Bush bestimmt wurden. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik vertritt er neue Ideen. Vor allem geht es ihm um ein neues Bild der Vereinigten Staaten in der Welt. Seine Stellungnahmen zu Kuba, zu Lateinamerika und sein Zugang zum Nahost-Problem halte ich für besonders interessant.

    Heinemann: Welche Veränderungen müsste es in den transatlantischen Beziehungen geben?

    Poniatowski: Die Vereinigten Staaten müssten einen multinationalen Ansatz bei der Bewältigung internationaler Probleme entwickeln. Die Amerikaner können uns nicht weiterhin vor vollendete Tatsachen stellen. Und was die NATO betrifft, die in unserer Beziehung zu den Vereinigten Staaten eine ausgesprochen wichtige Rolle spielt: die NATO muss sich weiter öffnen und das muss auch die Kommandoebene einbeziehen, Bei den Entscheidungen, die innerhalb der NATO getroffen werden, müssten die europäischen Positionen stärker berücksichtigt werden.

    Heinemann: Die West-Europäer kritisieren die US-Politik und den amerikanischen Lebensstil, gleichzeitig arbeiten wir alle mit den Produkten von Microsoft und McDonalds Umsatz in Europa steigt. Wie erklären Sie sich diese Kritik und gleichzeitig diese kulturelle Orientierung oder sogar Assimilierung?

    Poniatowski: Ich teile nicht diese Wahrnehmung einer umfassenden Kritik am American way of life. Vieles davon bestimmt heute unsere Art zu leben. Vieles ist sehr interessant: Erfindungen, die Freiheit, die Freiheit, seine Meinung äußern zu können. Das hat auch mich geprägt und das ist eine Seite der amerikanischen Kultur, die ich sehr schätze.