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"Es gibt ein klares Interesse auch in den Berliner Schulen am Religionsunterricht"

Der Bischof von Berlin-Brandenburg und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Wolfgang Huber, wirft dem Berliner Senat vor, den Religionsunterricht durch die Einführung von Ethik als Pflichtfach "an den Rand" gedrängt zu haben. Huber plädiert für die Wahlfreiheit der Schüler und Gleichberechtigung der Fächer.

    Müller: Bei uns am Telefon begrüße ich nun Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Guten Morgen!

    Huber: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Bischof Huber, hat Berlin einen gottlosen Senat?

    Huber: Nein. Solche pauschalen Urteile helfen überhaupt nichts. Aber der Senat und das Abgeordnetenhaus in seiner Mehrheit hat mit der Einführung des Pflichtunterrichts Ethik in einer Situation, in der der Religionsunterricht ohnehin schon Schwierigkeiten hatte, den Religionsunterricht planmäßig und voraussehbar an den Rand gedrängt. Wir sind für Wahlfreiheit und für Gleichberechtigung. Es geht ja auch nicht um einen Kampf gegen den Ethik-Unterricht, sondern für Wahlfreiheit der Schülerinnen und Schüler beziehungsweise ihrer Eltern.

    Müller: Das Gegenargument von Klaus Wowereit - wir haben das eben auch noch einmal gehört, kurz zusammengefasst - lautet, "wir sind wirklich liberal und trennen Kirche von Staat". Hat er da Recht?

    Huber: Nein, da hat er nicht Recht. Religion ist ein wichtiges Bildungsthema. Deswegen muss es an der Schule seinen Ort haben. Religionsunterricht wird nach der Ordnung unseres Landes nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Also haben wir die Unterscheidung von Staat und Kirche auch in der Regelung, die für alle, fast alle anderen Bundesländer gilt. Insofern geht dieses Argument ins Leere.

    Müller: Aber es gibt ja Gerichtsurteile. Auch das höchste Gericht in Deutschland hat gesagt, das ist legitim, was dort in Berlin passiert. Wie könnte man das ändern?

    Huber: Das ist in Ordnung, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat. In Berlin gilt seit 1949 der Artikel 141 des Grundgesetzes. Deswegen hat Berlin eine gewisse Freiheit darin, wie es diese Sache gestaltet. Wir sagen nur, es ist politisch falsch, dass es so gestaltet worden ist, und wir haben schon immer darauf hingewiesen, dass auch das Problem des islamischen Religionsunterrichts auf dem Berliner Weg nicht sachgemäß geregelt werden kann. Insofern ist es die falsche Entscheidung und das zeigt auch dieses Ergebnis von Umfragen, die deutlich machen, die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner will genau diese Wahlfreiheit. Deswegen hoffe ich auch, dass das Volksbegehren erfolgreich ist.
    Das wichtigste Argument, das Wowereit vorgebracht hat und das er auch immer wieder vorgebracht hat, heißt, auch von dem Lehrer vorhin gerade in dem Bericht, die Schülerinnen und Schüler sollen im Klassenverbund über wichtige ethische Fragen reden. Dieses Argument haben wir schon immer aufgenommen und haben gesagt, wenn sich unterschiedliche Unterrichtsgruppen bilden, evangelischer, katholischer Religionsunterricht, islamischer Religionsunterricht und ein religionsfreier Ethik-Unterricht, dann sollen diese Gruppen in bestimmten Projekten zu bestimmten Themen kooperieren und dadurch auch gemeinsam im Klassenverbund sprechen. Insofern wird da immer wieder ein Argument vorgebracht, das von den Fakten überhaupt nicht getragen ist.

    Müller: Nun sagen ja auch, Bischof Huber, viele Kritiker, es geht hier im Grunde nur um Etikette. Warum kann ein Unterricht, der Ethik-Unterricht heißt, nicht das leisten, was ein Religionsunterricht leisten kann?

    Huber: Weil dieser Ethik-Unterricht einer Ethik ohne Religion ganz eindeutig den Vorrang gibt vor einer Ethik aus Religion. Der Ethik-Unterricht ist so angelegt, dass die Ethik ohne Gott als der leitende Gesichtspunkt gilt und eine religiöse Begründung der Ethik dem gegenüber zurücktreten muss. Das nennt man dann Religionsneutralität, obwohl es gar nicht religionsneutral ist, sondern es gibt einer areligiösen Haltung eindeutig den Vorrang. Dagegen wehrt sich die Initiative ganz zurecht, weil sie das nicht einen angemessenen Ausdruck der Religionsfreiheit findet, die ihrerseits ja im Artikel 4 des Grundgesetzes ausdrücklich mit Vorrang ausgestattet ist.

    Müller: Ist die Entscheidung des Senats und die aktuelle Politik des Senats aus Ihrer Sicht ideologisch motiviert?

    Huber: Da sind jedenfalls starke ideologische Motive mit drin. Das hat eine Sprecherin einer der beiden Fraktionen im Abgeordnetenhaus aus der rot-roten Koalition ja ausdrücklich gesagt. "Unsere Absicht ist, die Schülerinnen und Schüler von ihrer religiösen Herkunft zu distanzieren." Das ist jedenfalls eine klare ideologische Absicht, die ich nicht jedem einzelnen unterstelle, der sich diese Sache zu eigen macht, aber die auch eine ganz erhebliche Rolle spielt.

    Müller: Wie weltoffen darf denn aus Ihrer Sicht Religionsunterricht, wenn er denn nun kommen sollte, als Wahlfach wiederum, als normales Fach in Berlin, denn dann in Zukunft sein? Ein Unterricht über alle Religionen im Vergleich?

    Huber: Es ist selbstverständlich, dass der Religionsunterricht, den wir als Evangelische Kirche an der Berliner Schule anbieten, ein offener und einladender Unterricht ist. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er aus der Perspektive des christlichen Glaubens erteilt ist, dass er die christlichen Grundlagen unserer Kultur ernst nimmt, aber dass er zum Dialog befähigt mit anderen Religionen und mit anderen Weltanschauungen. Das Ergebnis kann man auch sehen. Sogar unter den gegenwärtigen schwierigen Bedingungen in Berlin gibt es einen hohen Anteil - in manchen Gruppen bis zu 50 Prozent - von nicht getauften Schülerinnen und Schülern. Wir haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder in vielen Schulen muslimische Schülerinnen und Schüler gehabt, die am evangelischen Religionsunterricht teilgenommen haben. Deswegen kann man ganz deutlich sehen, dass dieser Unterricht nicht etwa die Klassen spaltet, sondern seinerseits auch einen wichtigen Beitrag zur klaren Orientierung der Schüler, aber auch zum Dialog leistet.

    Müller: Sie sagen, Herr Huber, dieser Unterricht soll dann offen sein. Heißt das, offen beispielsweise aber auch für die Schulaufsicht?

    Huber: Es ist vollkommen klar, dass sichergestellt werden muss, dass dieser Unterricht nach den Grundsätzen unterrichtet wird, die auch für andere Schulfächer gelten. Wir sagen ja auch im Blick auf den islamischen Unterricht, er muss in deutscher Sprache und gemäß den Grundrechten des Grundgesetzes erteilt werden. Daran gibt es überhaupt gar keinen Zweifel, dass die Maßstäbe, die für die Schule insgesamt gelten, auch für den Religionsunterricht gelten, aber dass die Themen, dass der Inhalt von den Kirchen selber bestimmt wird.

    Müller: Um das noch einmal auch für die Praxis klar zu machen, Herr Huber, wenn ich das richtig verstanden habe. Das heißt, Mitarbeiter der Schulaufsicht dürfen sich durchaus in diesen Unterricht dann auch mal setzen und überprüfen, inwieweit das alles übereinstimmt mit dem, was man sich da vorgenommen hat.

    Huber: Ja, das ist überhaupt kein Problem.

    Müller: Religionsunterricht in allen und für alle Religionen?

    Huber: In allen kann man nicht sagen, sondern es muss ja jeweils eine Gruppe da sein, die den Unterricht auch in Anspruch nimmt. Insofern reden wir praktisch über evangelischen und katholischen Religionsunterricht, über islamischen Religionsunterricht und über jüdischen Religionsunterricht. Das sind die Angebote, die im Blick sind. Wenn es dann ein Ethik-Fach dazu gibt, dann ist der Bedarf auch praktisch abgedeckt.

    Müller: Einige Kommentatoren haben ja in der vergangenen Woche, auch in dieser Woche wieder gesagt, mit Blick auf die Kirchen, mit Blick auch auf diese Volksinitiative beziehungsweise auf die Initiative "Pro Reli", dass es bei dem zunehmenden Desinteresse, was ja zumindest offiziell festzustellen ist, auch in Berlin - wir hatten das eben im Beitrag gehört - dass ein Viertel der Schüler sich zurückgezogen haben von diesem Religionsunterricht, ja nicht nur darauf zurückgeht, dass es diese Regelung in Berlin gibt, sondern natürlich auch, dass die Attraktivität des Unterrichts, des Religionsunterrichts und auch der Kirche zunehmend verloren hat.

    Huber: Nein, das ist dezidiert falsch. Wir haben in den letzten Jahren prozentual im Anteil der Schülerschaft ein Wachsen des Religionsunterrichts gehabt und der Rückgang um 25 Prozent bezieht sich ausschließlich aufs 7. und 8. Schuljahr, wo jetzt der Ethik-Unterricht eingeführt worden ist. Das heißt, es gibt nicht ein allgemeines Desinteresse. Es gibt Schwierigkeiten, weil der Religionsunterricht ja auch schon bisher in Berlin kein ordentliches Unterrichtsfach war, auch in der Grundschule nicht, und deswegen oft randständig in Randstunden platziert ist. Trotz all dieser Schwierigkeiten ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die zum Religionsunterricht gehen, gewachsen. Es hat einen Einbruch gegeben durch die Einführung des staatlichen Pflichtfachs Ethik und dieser Einbruch von 25 Prozent bezieht sich auf das 7. und 8. Schuljahr. Das stimmt also nicht. Es gibt nicht etwa ein fortlaufendes Desinteresse; es gibt ein klares Interesse auch in den Berliner Schulen am Religionsunterricht. Und Sie können ganz sicher sein: wenn dieser Religionsunterricht ordentlich organisiert wäre und einen klaren Status an der Berliner Schule hätte, dann würde dieser Religionsunterricht auch in Anspruch genommen. Denn diese Behauptung von einer atheistischen Stadt, diese Behauptung ist ja einfach unrichtig. Es gibt eine Million Christen in Berlin. Es gibt hunderttausende von Muslimen in Berlin. Und es gibt Menschen, die nicht kirchlich gebunden sind, in Folge der DDR-Geschichte beispielsweise, die trotzdem ein Interesse daran haben, dass ihre Kinder einen Zugang zu den Quellen des christlichen Glaubens, zur christlichen Prägung unserer Kultur bekommen. Das alles wäre Berliner Realität, wenn der Religionsunterricht angemessen gestaltet werden könnte.

    Müller: Demnach bräuchte Berlin nur eine neue Regierung?

    Huber: Auch die alte Regierung ist im Stande, ein vernünftiges Gesetz zu machen. Sie hat ja auch die Chance, auf das Volksbegehren dann unmittelbar zu reagieren. Sie braucht ja nicht den Volksentscheid abzuwarten. Es gibt natürlich auch viele Sozialdemokraten in Berlin, die unglücklich sind über das, was dort passiert. Wir machen jetzt nicht Wahlkampf für die eine oder die andere Regierung, sondern es geht um ein wichtiges Sachthema der Bildungspolitik, wo es schon seit Jahrzehnten unbefriedigende Zustände in Berlin gibt. Welche Partei das ändert, ist nicht die Frage, sondern es kommt darauf an, dass es geändert wird.

    Müller: Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, bei uns live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Huber: Auf Wiederhören, Herr Müller.