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"Es gibt Härten, die so nicht hinnehmbar sind"

Thomas Kufen, Integrationsbeauftragter in Nordrhein-Westfalen, hat in der Auseinandersetzung um die Neufassung des Bleiberechts für langjährig geduldete Ausländer Besonnenheit gefordert. Erst nach Ablauf der Frist könne man beurteilen, wie viele Menschen ein Aufenthaltsrecht erworben hätten. Nachbesserungen verlangte er vor allem für Kinder und Jugendliche, die nicht nach acht oder zehn Jahren plötzlich abgeschoben werden dürften.

Moderation: Klaus Remme | 22.02.2007
    Remme: Die Neufassung des Bleiberechts für langjährig geduldete Ausländer sorgt für Streit zwischen Bund und Ländern. Schon Ende vergangenen Jahres sorgte das Thema für Aufregung, denn die Innenminister der Länder hatten im November 2006 beschlossen, dass es nur ein Bleiberecht für Personen geben soll, die bereits einen Arbeitsplatz oder eine feste Zusage dafür haben. Erst Arbeit, dann Aufenthaltsrecht, so das Prinzip. Nach den Plänen der Großen Koalition sollten aber auch Ausländer, die sich nicht um Arbeit bemühen, bis Ende 2009 auf Staatskosten im Land bleiben dürfen.

    Herr Kufen, es ist ja wieder einmal fast typisch in Deutschland. Es klingt alles wahnsinnig kompliziert und es hängt viel damit zusammen, dass es unterschiedliche Kompetenzen von Bund und Ländern gibt. Warum muss das Bleiberecht eigentlich neu geregelt werden?

    Kufen: Ich denke, das liegt auf der Hand. Es gibt Härten, die einfach so nicht hinnehmbar sind. In der Vergangenheit sind teilweise die klassenbesten Schülerinnen und Schüler abgeschoben worden. Ich denke, wir haben eine Verpflichtung gerade gegenüber diesen Kindern und Jugendlichen, die hier geboren sind, die seit acht oder zehn Jahren hier leben. Ich denke, da brauchen wir dringend eine Lösung.

    Remme: Wie groß ist der Personenkreis, um den es hier geht?

    Kufen: 200.000 bundesweit. Alleine in Nordrhein-Westfalen sind es 30.000, die allein die geforderte Aufenthaltsdauer erfüllen von sechs beziehungsweise acht Jahren. Das heißt, es ist keine kleine Gruppe, sondern es geht schon durch viele Familien, durch viele Stadtteile. Insofern ist diese Hängepartie, die wir jetzt wieder erleben, eigentlich ein Zustand, den am Ende die Betroffenen auszubaden haben, die in ihrer Unsicherheit stehen.

    Remme: Herr Kufen, jetzt gibt es ja diesen Beschluss vom November 2006. Insofern haben wir eine Praxisregelung. Was denken Sie, wie viel Prozent dieses Personenkreises werden davon profitieren können?

    Kufen: Also das ist vielleicht zu früh zu sagen. Es gibt ganz unterschiedliche Meldungen. Allerdings sind die Zahlen sehr ernüchternd. Aber ich glaube, es bringt nichts, wenn wir jetzt schon, obwohl wir Zeit haben bis zum 30.9., diese Regelung sozusagen tot schreiben und den Menschen alle Hoffnung nehmen, dass es eh nicht klappen wird mit der Arbeitsaufnahme. Dass der Arbeitsmarkt schwierig ist, das wussten wir vorher, und deshalb wäre ich dafür, dass wir auch diese Instrumente erstmal nutzen.

    Remme: Ich frage deshalb, weil ja dieser Beschluss vom November 2006 jetzt in Frage gestellt wird von einigen oder aber die großzügigere Regelung der Großen Koalition jetzt kritisiert wird. Bislang sind kaum Genehmigungen ausgesprochen worden. Es gibt zweistellige Zahlen in einigen Bundesländern. Wie ist es in Nordrhein-Westfalen?

    Kufen: Es ist sehr unterschiedlich. Ich habe eine Zahl vorliegen aus dem Münsterland, da sind gerade 27 von über 2000, die einen Antrag gestellt haben. Ich denke, das zeigt die Relation, dass es sehr ernüchternd ist und vielleicht man mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, wo man am Ende eine Argumentations- und Deutungshilfe braucht bei Kompromissen, man bei diesen Fragen nicht weiterkommt.

    Remme: Sind Sie denn jetzt, was die Verschärfung der Regelungen oder bei einer großzügigeren Ausgestaltung, wie Wolfgang Schäuble es will, eher bei dem Bundesinnenminister oder eher bei Ihrer Landesregierung?

    Kufen: Ich bin erstmal bei den Menschen, um die es geht, bei den Betroffenen. Ich glaube, alle Seiten haben ein Recht darauf, dass man sich die Zeit jetzt nimmt, wirklich zügig trotzdem eine Lösung zu finden, dass wir diese Hängepartie beenden. Ich denke, darum muss es gehen.

    Es gibt eine Verständigung, die heißt, erst Arbeit, dann Aufenthalt, und das ist ein Grundsatz, der gilt, und die Frage ist jetzt, in welchem Zeitraum wir das erreichen können, und da werfe ich insbesondere auch mal einen Blick auf Kinder und Jugendliche, die hier geboren sind. Da kann es am Ende nicht sein, dass Kinder für ihre Eltern haften. Deshalb glaube ich, dass das vielleicht noch mal wirklich sich gemeinsam angeschaut werden muss. Aber ich hatte die Hoffnung, dass eine Große Koalition so was leichter lösen kann, na ja, wir haben eine CDU-FDP-Koalition in Düsseldorf, das ist auch gut so.

    Remme: Geht es hier vor allem darum, die Zuwanderung in Sozialsysteme zu verhindern?

    Kufen: Das ist ohne Zweifel richtig. Darum kann es nicht gehen. Es geht darum, dass Menschen auch für sich selbst und für andere einstehen können. Man muss ehrlicherweise sagen, viele sind bisher gehindert worden, Arbeit aufzunehmen. Insofern kann man jetzt nicht aus dem Stand in einen Job springen. Ich glaube, dass man das auch mitberücksichtigen muss.

    Remme: Aber wie geht es denn jetzt weiter, denn die unterschiedlichen Vorstellungen von Bund und Ländern können ja so nicht stehen bleiben?

    Kufen: Das ist wahr, und deshalb brauchen wir schnell eine Regelung, und deshalb werbe ich auch dafür, dass der Bundesinnenminister diese Fragen nicht mit anderen Fragen, mit der Gefahrenabwehr, mit der Terrorabwehr, vielleicht auch mit einem Kuhhandel in der Großen Koalition verquickt, sondern dass wir diese Frage jetzt singulär lösen mit Blick auf die Betroffenen.

    Remme: Mit welchem Ausgang? Was schwebt Ihnen vor?

    Kufen: Also erstmal, dass man vielleicht noch mal sich das vornimmt, was man Anfang, Mitte November beschlossen hat, ob das noch gilt oder nicht. Ich glaube, das ist erstmal die Frage, die die Innenminister klären müssen, ob das gilt, was vereinbart wurde, oder nicht, und ich glaube, darüber gibt es schon einen grundsätzlichen Diskurs. Darüber hinaus gilt ganz klar: Es braucht eine bundesgesetzliche Regelung. Es ist nicht eine Frage, die eine Innenministerkonferenz beschließen kann, sondern wir brauchen ein Bundesgesetz, und das heißt, auch die Koalitionsfraktionen müssen sich auf etwas verständigen, und, wie gesagt, ich würde mir wünschen, dass wir gerade noch mal mit Blick auf Kinder und Jugendliche, die hier geboren sind, eine etwas großzügigere Regelung finden würden.

    Remme: Um es noch klarer zu machen, Herr Kufen: Muss der Beschluss der Länderinnenminister vom November 2006 gelockert werden, wenn sich jetzt herausstellt, dass sowieso kaum jemand diese Bedingungen erfüllt?

    Kufen: Also ich glaube, wir sollten erstmal abwarten bis zum 30.9. Das ist die Lösung, die wir bisher gefunden haben. Wenn das nicht mehr gilt, dann muss das gesagt werden, und das ist sozusagen die Situation, in der wir stehen. Es geht offensichtlich jetzt darum, dass der eine oder andere eine Erklärungshilfe braucht von dem, was wirklich beschlossen wurde.

    Remme: Thomas Kufen, der Integrationsbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen. Herr Kufen, vielen Dank.

    Kufen: Vielen Dank auch.