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Es gibt in Europa kein Gebiet, das BSE-frei ist

    Wagener: Die Bundesregierung will schärfer gegen die Rinderseuche BSE vorgehen. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer plant nach Angaben des Nachrichtenmagazins "Fokus" drastische Maßnahmen im Kampf gegen BSE. Den Angaben zu Folge sollen in Zukunft auch Personen, die in den vergangenen Jahren mehrere Monate in Frankreich gelebt haben, nicht mehr zur Blutspende in Deutschland zugelassen werden. Zudem plane die Ministerin ein Einfuhrverbot für Schaffleisch aus Großbritannien und eine Neuauflage des Importstopps für britisches Rindfleisch. Andere schlagen in die gleiche Kerbe. Nordrhein-Westfalens Umweltministerin Bärbel Höhn forderte die Bundesregierung unterdessen erneut auf, notfalls im Alleingang gegen BSE vorzugehen. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, Franz-Josef Möllenberg. - Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Chef des Agrarausschusses im Europaparlament, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Schönen guten Morgen!

    Baringdorf: Guten Morgen Herr Wagener.

    Wagener: Herr Graefe zu Baringdorf, Frankreich kennt rund 100 Fälle von Rinderwahnsinn. Das sind dreimal mehr als im letzten Jahr. In der Schweiz sind Fälle bekannt, ebenso in Holland, vor allem aber in Großbritannien und Portugal, ein europaweites Problem also. Was tut das Europaparlament?

    Baringdorf: Herr Wagener, dieses Problem ist nicht neu, sondern begleitet uns ja seit Jahren, man kann sagen seit über zehn Jahren. Das Europaparlament hat mit dem BSE-Untersuchungsausschuss und anschließend mit einem Kontrollausschuss, dass die Maßnahmen auch durchgeführt werden, dafür gesorgt, dass die Kommission, aber vor allen Dingen auch die Kontrollbehörden in den Mitgliedsländern ihre Arbeit tun. Wir haben jetzt keine neue Situation, sondern die, dass durch die Einführung von Diagnosetests in Frankreich die Fälle bekannt werden, die da sind, die früher offensichtlich entweder nicht erkannt oder unter den Tisch gefegt wurden. Die Situation in Großbritannien ist immer noch dramatisch, so dass wir dort zehnmal mehr Fälle haben als in Frankreich, so dass die Situation, die jetzt so leicht zu einer Hysterie in der Öffentlichkeit führt, für das Europaparlament nicht neu ist. Was wir immer angemahnt haben ist, dass die Maßnahmen, die bekannt sind, auch durchgeführt werden, nämlich dass Tiermehl beispielsweise nur dann verfüttert wird, wenn es von Tieren kommt, die für die menschliche Ernährung auch freigegeben sind. Das hat Frankreich in den letzten Jahren nicht eingelöst. Das heißt, hier ist auch gegen europäisches Recht verstoßen worden. Dann stellt sich der französische Staatspräsident Chirac hin und sagt, wir wollen jetzt aber Tiermehlverbot. Dieses Mehl, was dort hergestellt wurde und das nicht der Norm entsprach, war nach europäischem Recht verboten. Das Europäische Parlament hat in der letzten Woche gesagt, keine Verfütterung mehr, solange nicht sichergestellt ist, dass diese Norm auch eingehalten wird.

    Wagener: Wer legt denn jetzt im europäischen Maßstab fest, was nun zu tun ist, Brüssel?

    Baringdorf: Natürlich ist Brüssel als oberste Kontrollbehörde gefordert. Der europäische Vertrag sieht vor, dass bei Gefahr im Verzuge für die Bevölkerung auch die Möglichkeit eines Einfuhrverbotes gegeben ist. Das ist in Deutschland schon einmal der Fall gewesen gegen englisches Rindfleisch. Das ist dann vor einiger Zeit aufgehoben worden. Sie wissen, die Auseinandersetzung ist damals auch geführt worden. Frau Ministerin Höhn hat sich massiv dagegen ausgesprochen. Es ist aber dann anders entschieden worden. Wir haben damals von Brüssel und vom Europäischen Parlament gesagt, führt bei der Freigabe doch wenigstens zwingend ein, dass alle Tiere, die in den Verbrauch gehen, getestet werden. Die Tests liegen vor. Sie geben keine absolute Sicherheit, bieten aber eine größere Möglichkeit der Diagnose. Das ist nicht eingeführt worden. Jetzt, wo die Sache wieder in die Öffentlichkeit spült, wird nun von allen dieser Test gefordert. Hier ist von vielen auch Heuchelei am Werk, die sich bis dahin ausgeruht haben, weil es ein bisschen unter der Decke war, und sich jetzt, wo die öffentliche Diskussion kommt, plötzlich hervortun und sagen, jetzt müssen wir aber wieder.

    Wagener: Ist das Tiermehl an allem schuld oder gibt es andere Gründe, warum BSE jetzt solche großen Kreise zieht?

    Baringdorf: Nach allen Erkenntnissen ist es das Tiermehl, ist es vor allen Dingen aber die Tatsache, dass Kühe an Kühe, also Tiermehl an Wiederkäuer gefüttert wird. Das ist seit _94 verboten. Auch hier ist in Frankreich Tierfutter wieder auffällig geworden. Es waren wieder wenn auch nicht hohe Mengen Tiermehl von Wiederkäuern für Wiederkäuerfutter beigemischt. Das sind alles Maßnahmen, die eigentlich der Kontrollbehörde auffallen müssen, die gegen europäisches Recht verstoßen. Bislang gibt es keine Annahme, dass wir noch andere Infektionswege hätten. Es gibt zwar die Möglichkeit, wenn erst einmal BSE über das Tierfutter gegeben ist, dass es in der Generationsfolge vererbt wird. Auch die Wissenschaft weis letztlich über BSE nicht bescheid. Von daher ist es unverständlich, dass die gegebenen Vorschriften und Vorsichtsmaßnahmen bislang nicht eingehalten wurden.

    Wagener: Hält sich nur Frankreich nicht an diese Vorschriften? Sie haben das jetzt schon zweimal erwähnt.

    Baringdorf: Nein. Zum Beispiel haben wir auch ein Exportverbot in Portugal, das auch ausgesprochen ist. Der Druck von BSE-Fällen ist hier nicht sonderlich hoch, aber auch hier konnten die Behörden nicht sicherstellen, dass das europäische Recht eingehalten wird. Das Problem in Deutschland besteht darin, dass hier immer verhindert wurde, dass getestet wurde. Die einzige, die das mal in einem Schnelltest durchgeführt hat, war wiederum Ministerin Höhn. Wenn jemand Anlass hat, jetzt auch öffentlich Stellung zu nehmen, dann ist es Frau Höhn. Die anderen haben sich auch in den Bundesländern immer geweigert, das durchzuführen. Das ist jetzt von der europäischen Ebene vorgeschrieben. Ab 1. 1. 2001 muss getestet werden. Das wird jetzt auch auf alle Tiere erweitert, die in den Verbrauch gehen. Das sind Forderungen, die wir alle gehabt haben. Alles hätte man längst schon eher machen können. Hier muss man sagen, vor allen Dingen die vorige deutsche Regierung hat sich gegen diese Vorsichtsmaßnahmen, die nun überall lauthals gefordert werden, immer gewehrt und hat auf europäischer Ebene im Rat immer eine Blockadehaltung eingenommen. Auch die neue Regierung, muss man sagen, war hier nicht sehr fortschrittlich, was wir erwartet hätten. Jetzt langsam bewegt man sich, weil eben der Druck in der Öffentlichkeit und der öffentlichen Meinung sich so entwickelt hat.

    Wagener: Ein Satz ist ja besonders beliebt bei deutschen Politikern oder auch bei der Metzgerinnung sowie bei Supermarktketten, nämlich der: "das deutsche Rindfleisch ist sicher". Das heißt es so schon seit Jahren. Wie sind denn die Verteilerkreisläufe bei Rindfleisch in Europa?

    Baringdorf: Wenn man sagt, deutsches Rindfleisch ist sicher, dann ist das einfach eine Behauptung, ein Postulat, das von der europäischen Ebene nicht angenommen wird. Der wissenschaftliche Lenkungsausschuss, der im wesentlichen die Maßnahmen für die Politik vorbereitet, erkennt diese Behauptung in Deutschland nicht an, sondern sie sagen, bitte schön, dann weist nach. In Deutschland haben wir die Situation, dass auch das sogenannte Risikomaterial, also etwa die Gehirne, weiterhin in die Nahrungskette gelangt sind. Das hätte man längst machen müssen. Seit 1. 1. 2000 ist das auch vorgeschrieben. Deutschland hat hier immer blockiert, ist nun in der Einteilung - es gibt Kategorien der Gefährdungsstufen - mit Frankreich auf einer Stufe. Da wird hier natürlich dagegen argumentiert, aber man hätte in den vergangenen Jahren über Nachweis von Tests und Herausnahme von Risikomaterial selbst einen Beitrag leisten können. Es gibt in Europa jedenfalls nicht von der Behauptung her ein Gebiet, wo man sagen könnte, das ist frei. Wir müssen nun unseren Beitrag leisten, und das erwartet die europäische Ebene auch.

    Wagener: Dann schauen wir doch mal nach Übersee. Ist das Rindfleisch dort denn unbedenklicher zugenießen? Wenn ja warum?

    Baringdorf: Der Ausgang dieser Rinderseuche BSE ist nun mal in Großbritannien. Andere Überseegebiete haben sich abgeschottet. Man kennt diese Problematik dort nicht. Anders herum muss man aber sagen, dass bei Verfütterung von Tiermehl zum Beispiel in den USA unsere Sicherheitsstandards auch nicht eingehalten werden. Also auch dort gibt es bei Fleisch von Übersee ein Problem. Absolute Sicherheit gibt es sowieso nicht. Dann müßte man aufhören, Fleisch zu essen. Wenn man das nicht will, dann sollte man sich wirklich erkundigen, wo kommen die Tiere her, die direkteren Wege wählen. Wir haben ja inzwischen auch ein Etikettierungssystem, wo man nach verfolgen kann, aber auch das ist immer noch nicht vollständig sicher. Auch hier hat der Rat, hat auch Deutschland in der letzten Regierung verschleppt. Sonst hätten wir es längst schon dicht gemacht. Hier sollte man dann aufpassen, wo kauft man, denn das ist die beste Gewähr zu sagen, hier kommt es aus Beständen, wo eben kein BSE vorgekommen ist.

    Wagener: Der Chef des Agrarausschusses im Europaparlament, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf war das. - Recht herzlichen Dank für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio