Dirk Müller: Der Terror steht auch ohne die aktuellen Festnahmen heute ohnehin auf der politischen, vielleicht auf der historischen Agenda. 30 Jahre deutscher Herbst, der Terror der RAF.
O-Ton Tagesschau: "Hier ist das Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. - Fünf Wochen nach der Ermordung des Bankiers Ponto ist am Abend auf den Vorsitzenden der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Hans Martin Schleyer ein Attentat verübt worden.
Eine Linienmaschine der Deutschen Lufthansa ist seit dem Nachmittag in der Gewalt von Entführern.
Kurz nach acht Uhr wurden nacheinander die Zellen der Gefangenen Bader, Ensslin und Möller geöffnet. Bader lag tot auf dem Zellenboden.
Sechs Wochen nach seiner Entführung durch Terroristen in Köln ist Arbeitgeberpräsident Hans Martin Schleyer heute Abend ermordet aufgefunden worden."
Müller: 30 Jahre also deutscher Herbst. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem FDP-Politiker Burkhard Hirsch, vor 30 Jahren Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Guten Tag!
Burkhard Hirsch: Guten Tag!
Müller: Herr Hirsch, sind moderne Zeiten Terrorzeiten?
Hirsch: Lassen Sie mich zu der Anmoderation etwas sagen. Ich hasse die Bezeichnung "Deutscher Herbst". Das ist verharmlosend und klingt so schön. Es waren die Morde an diesem Tag vor 30 Jahren an vier Menschen - Marcisz, Pieler, Brändle und Ulmer - vier Menschen, die wie lästige Gegenstände bei Seite geschoben wurden, die im Wege waren. Es war nichts Niedliches; es war schlichter Mord. Und daran sollte man denken.
Müller: Herr Hirsch, noch mal die Frage: Sind moderne Zeiten Terrorzeiten?
Hirsch: Nicht notgedrungen, sondern Terror ist eine Form des organisierten Verbrechens von denen, die sich unterlegen fühlen. Es ist eine Form der Gewalt, und zwar eine Gewalt, die Grundlagen der Zivilisation bedroht.
Müller: Kann eine Demokratie angemessen mit Terror umgehen?
Hirsch: Ich denke ja, indem man sie wie schwere Kriminalität verfolgt mit den Mitteln, die die Rechtsordnung dem Staat dafür gibt.
Müller: Und ist es möglich, dass die Sicherheit manchmal wichtiger ist als die Bürgerrechte?
Hirsch: Das denke ich nicht. Sicherheit ist ja kein Wert an sich, sondern Sicherheit soll dazu dienen, die Freiheit zu sichern. Also kann man nicht im Interesse der Freiheit etwas tun, was sie gerade vernichtet. Man kann nicht dadurch, dass man die Bürgerrechte beseitigt, mehr Freiheit schaffen. Wofür ist Sicherheit da? Sie ist da, um Freiheit des Einzelnen zu sichern gegen Gewalt von wem auch immer.
Müller: Hat sich seit diesen RAF-Vorfällen - ich sage jetzt bewusst, um Ihnen damit auch jetzt nicht in die Parade zu fahren, nicht "Deutscher Herbst" -, seit dem RAF-Terror der 70er Jahre das Verhältnis zu unseren Freiheits- und Bürgerrechten verändert?
Hirsch: Ich denke, dass das Verhältnis der Bürger zu den Freiheitsrechten sich nicht verändert hat, aber es ist sicherlich richtig, dass wir als Folge dessen, was wir als terroristische Bedrohung bezeichnen, also dieser Form der organisierten Kriminalität, seit über 30 Jahren eine Art innenpolitische Aufrüstung haben, die in der Tat dazu geführt hat, dass die staatlichen Eingriffsrechte dramatisch zugenommen haben, dass Verhaftungen erleichtert wurden, dass die Freiheitsstrafen verlängert worden sind, dass die Ermittlungsmöglichkeiten verändert worden sind, dass die Verteidigungsrechte verändert worden sind. Da sind eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen worden, die sicherlich nicht getroffen worden wären, wenn man sie nicht mit der terroristischen Bedrohung hätte begründen können.
Müller: Da könnte man jetzt auch sagen, Herr Hirsch, Terrorismus macht den Staat repressiver?
Hirsch: Das ist sicherlich richtig so. Heinz Kühn hat mal gesagt, dass die Terroristen die apokalyptischen Reiter der Reaktion seien. Da ist etwas dran. Das heißt gerade für uns, die wir an sich eine liberale Rechts- und Innenpolitik betreiben wollten, waren die Terroristen deswegen die schwierigsten Gegner, weil sie die Öffentlichkeit und die Politik dazu verführen, Maßnahmen für richtig zu halten, die man sonst nicht akzeptiert hätte.
Müller: Ist das politisch richtig, repressiver zu werden, wenn der Terror kommt?
Hirsch: Der Staat muss immer dem Verbrechen überlegen sein. Er hat die Pflicht, die Rechte des Bürgers zu schützen und ihn zu verteidigen. Das ist ganz unstreitig. Das wissen wir seit dem Mainzer ewigen Landfrieden von vor 500 Jahren. Aber genauso sicher ist es auch, dass der Zweck nicht jedes Mittel rechtfertigt, dass also der Staat sich an die Rechte halten muss, die ihm die Verfassung gibt. Es gibt keine Rettungsfolter. Es gibt keinen Rettungstotschlag. Es gibt kein Feindstrafrecht. Wenn man solchen Überlegungen folgt, dann gibt der Staat sich selbst auf. Dann macht er die Terroristen zu rechtspolitischen Mächten und verändert sich zu einer Herrschaftsstruktur, die dann mit Recht von dem Bürgern nicht mehr als sein Staat, als seine Verfassung akzeptiert wird.
Müller: Demnach, Herr Hirsch, müsste man akzeptieren, dass der Staat methodisch und in Punkto Effizienz dem Terror und den Mitteln des Terrors hinterherhinkt?
Hirsch: Das ist so nicht richtig. Was macht einen Staat stark? Es ist nicht allein die Effizienz, die einen Staat stark macht, sondern dass der Bürger ihn als seinen Staat empfindet, dass er ihn als gerecht und richtig empfindet. Das macht einen Staat stark. Wenn sie Waffengleichheit verlangen, dann müsste der Staat foltern können, dann müsste er erpressen können, dann müsste er betrügen können und das will keiner.
Müller: Welches Defizit in der operativen Politik sehen Sie jetzt?
Hirsch: Die Erfahrungen dieser Tage zeigen ja, dass Polizei, Verfassungsschutz und die beteiligten Dienste in der Tat doch hervorragende Ermittlungsmöglichkeiten haben. Mir würde vorschweben, insbesondere die internationale Zusammenarbeit der Polizeien zu erleichtern, und ich denke, dass es für Deutschland sinnvoll wäre, mehr Polizisten, mehr Polizeibeamte zu werben aus den ethnischen Gruppen, die in der Bundesrepublik leben. Vor ein paar Wochen gab es in Duisburg ja mafiöse Vorgänge so genannter Familien aus Kalabrien. Man muss sich also überlegen, wie viele deutsche Polizeibeamte haben wir, die einen italienischen Migrationshintergrund haben. Oder wenn Sie an Straftaten denken türkischer Einwanderer oder aus Russland kommender Volksdeutscher. Dann muss man sich die Frage stellen, wie viele Polizeibeamte haben wir mit demselben ethnischen Migrationshintergrund, um leichter in solche Strukturen einzudringen, die ja dazu tendieren, sich abzuschotten. Das sind die Dinge, die ich für am wichtigsten halte.
Müller: Demnach ist innenpolitisch alles zum besten?
Hirsch: Es ist nie alles zum besten. Es gibt nichts, was man nicht besser machen könnte. Aber wichtig ist, dass der Staat sich an die Verfassung hält.
O-Ton Tagesschau: "Hier ist das Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. - Fünf Wochen nach der Ermordung des Bankiers Ponto ist am Abend auf den Vorsitzenden der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Hans Martin Schleyer ein Attentat verübt worden.
Eine Linienmaschine der Deutschen Lufthansa ist seit dem Nachmittag in der Gewalt von Entführern.
Kurz nach acht Uhr wurden nacheinander die Zellen der Gefangenen Bader, Ensslin und Möller geöffnet. Bader lag tot auf dem Zellenboden.
Sechs Wochen nach seiner Entführung durch Terroristen in Köln ist Arbeitgeberpräsident Hans Martin Schleyer heute Abend ermordet aufgefunden worden."
Müller: 30 Jahre also deutscher Herbst. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem FDP-Politiker Burkhard Hirsch, vor 30 Jahren Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Guten Tag!
Burkhard Hirsch: Guten Tag!
Müller: Herr Hirsch, sind moderne Zeiten Terrorzeiten?
Hirsch: Lassen Sie mich zu der Anmoderation etwas sagen. Ich hasse die Bezeichnung "Deutscher Herbst". Das ist verharmlosend und klingt so schön. Es waren die Morde an diesem Tag vor 30 Jahren an vier Menschen - Marcisz, Pieler, Brändle und Ulmer - vier Menschen, die wie lästige Gegenstände bei Seite geschoben wurden, die im Wege waren. Es war nichts Niedliches; es war schlichter Mord. Und daran sollte man denken.
Müller: Herr Hirsch, noch mal die Frage: Sind moderne Zeiten Terrorzeiten?
Hirsch: Nicht notgedrungen, sondern Terror ist eine Form des organisierten Verbrechens von denen, die sich unterlegen fühlen. Es ist eine Form der Gewalt, und zwar eine Gewalt, die Grundlagen der Zivilisation bedroht.
Müller: Kann eine Demokratie angemessen mit Terror umgehen?
Hirsch: Ich denke ja, indem man sie wie schwere Kriminalität verfolgt mit den Mitteln, die die Rechtsordnung dem Staat dafür gibt.
Müller: Und ist es möglich, dass die Sicherheit manchmal wichtiger ist als die Bürgerrechte?
Hirsch: Das denke ich nicht. Sicherheit ist ja kein Wert an sich, sondern Sicherheit soll dazu dienen, die Freiheit zu sichern. Also kann man nicht im Interesse der Freiheit etwas tun, was sie gerade vernichtet. Man kann nicht dadurch, dass man die Bürgerrechte beseitigt, mehr Freiheit schaffen. Wofür ist Sicherheit da? Sie ist da, um Freiheit des Einzelnen zu sichern gegen Gewalt von wem auch immer.
Müller: Hat sich seit diesen RAF-Vorfällen - ich sage jetzt bewusst, um Ihnen damit auch jetzt nicht in die Parade zu fahren, nicht "Deutscher Herbst" -, seit dem RAF-Terror der 70er Jahre das Verhältnis zu unseren Freiheits- und Bürgerrechten verändert?
Hirsch: Ich denke, dass das Verhältnis der Bürger zu den Freiheitsrechten sich nicht verändert hat, aber es ist sicherlich richtig, dass wir als Folge dessen, was wir als terroristische Bedrohung bezeichnen, also dieser Form der organisierten Kriminalität, seit über 30 Jahren eine Art innenpolitische Aufrüstung haben, die in der Tat dazu geführt hat, dass die staatlichen Eingriffsrechte dramatisch zugenommen haben, dass Verhaftungen erleichtert wurden, dass die Freiheitsstrafen verlängert worden sind, dass die Ermittlungsmöglichkeiten verändert worden sind, dass die Verteidigungsrechte verändert worden sind. Da sind eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen worden, die sicherlich nicht getroffen worden wären, wenn man sie nicht mit der terroristischen Bedrohung hätte begründen können.
Müller: Da könnte man jetzt auch sagen, Herr Hirsch, Terrorismus macht den Staat repressiver?
Hirsch: Das ist sicherlich richtig so. Heinz Kühn hat mal gesagt, dass die Terroristen die apokalyptischen Reiter der Reaktion seien. Da ist etwas dran. Das heißt gerade für uns, die wir an sich eine liberale Rechts- und Innenpolitik betreiben wollten, waren die Terroristen deswegen die schwierigsten Gegner, weil sie die Öffentlichkeit und die Politik dazu verführen, Maßnahmen für richtig zu halten, die man sonst nicht akzeptiert hätte.
Müller: Ist das politisch richtig, repressiver zu werden, wenn der Terror kommt?
Hirsch: Der Staat muss immer dem Verbrechen überlegen sein. Er hat die Pflicht, die Rechte des Bürgers zu schützen und ihn zu verteidigen. Das ist ganz unstreitig. Das wissen wir seit dem Mainzer ewigen Landfrieden von vor 500 Jahren. Aber genauso sicher ist es auch, dass der Zweck nicht jedes Mittel rechtfertigt, dass also der Staat sich an die Rechte halten muss, die ihm die Verfassung gibt. Es gibt keine Rettungsfolter. Es gibt keinen Rettungstotschlag. Es gibt kein Feindstrafrecht. Wenn man solchen Überlegungen folgt, dann gibt der Staat sich selbst auf. Dann macht er die Terroristen zu rechtspolitischen Mächten und verändert sich zu einer Herrschaftsstruktur, die dann mit Recht von dem Bürgern nicht mehr als sein Staat, als seine Verfassung akzeptiert wird.
Müller: Demnach, Herr Hirsch, müsste man akzeptieren, dass der Staat methodisch und in Punkto Effizienz dem Terror und den Mitteln des Terrors hinterherhinkt?
Hirsch: Das ist so nicht richtig. Was macht einen Staat stark? Es ist nicht allein die Effizienz, die einen Staat stark macht, sondern dass der Bürger ihn als seinen Staat empfindet, dass er ihn als gerecht und richtig empfindet. Das macht einen Staat stark. Wenn sie Waffengleichheit verlangen, dann müsste der Staat foltern können, dann müsste er erpressen können, dann müsste er betrügen können und das will keiner.
Müller: Welches Defizit in der operativen Politik sehen Sie jetzt?
Hirsch: Die Erfahrungen dieser Tage zeigen ja, dass Polizei, Verfassungsschutz und die beteiligten Dienste in der Tat doch hervorragende Ermittlungsmöglichkeiten haben. Mir würde vorschweben, insbesondere die internationale Zusammenarbeit der Polizeien zu erleichtern, und ich denke, dass es für Deutschland sinnvoll wäre, mehr Polizisten, mehr Polizeibeamte zu werben aus den ethnischen Gruppen, die in der Bundesrepublik leben. Vor ein paar Wochen gab es in Duisburg ja mafiöse Vorgänge so genannter Familien aus Kalabrien. Man muss sich also überlegen, wie viele deutsche Polizeibeamte haben wir, die einen italienischen Migrationshintergrund haben. Oder wenn Sie an Straftaten denken türkischer Einwanderer oder aus Russland kommender Volksdeutscher. Dann muss man sich die Frage stellen, wie viele Polizeibeamte haben wir mit demselben ethnischen Migrationshintergrund, um leichter in solche Strukturen einzudringen, die ja dazu tendieren, sich abzuschotten. Das sind die Dinge, die ich für am wichtigsten halte.
Müller: Demnach ist innenpolitisch alles zum besten?
Hirsch: Es ist nie alles zum besten. Es gibt nichts, was man nicht besser machen könnte. Aber wichtig ist, dass der Staat sich an die Verfassung hält.