Elke Durak: Russlands Föderationsrat hat sich also für die Anerkennung der Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien ausgesprochen. Das ist die eine Kammer des russischen Parlaments. Die Zustimmung der anderen Kammer, der Duma, steht noch aus, gilt aber als sicher, zumal sich die Mehrheitspartei in der Duma (Kreml-Partei Geeintes Russland) bereits entsprechend geäußert hat. Fehlt noch die Entscheidung des Präsidenten.
Eine andere Frage: wie lange kann und darf der Westen mehr oder weniger nur zuschauen, welche Politik Russland im Kaukasus-Konflikt betreibt? Welche Möglichkeiten hat er denn wirklich, wirksam Einfluss zu nehmen? - Der "Financial Times" zufolge haben sich die amerikanische Außenministerin Rice und auch Joe Biden, der designierte Kandidat der Demokraten für die Vizepräsidentschaft, für die Aussetzung des Atomvertrages mit Russland ausgesprochen. Und Deutschland? - Die Bundeskanzlerin ist auch in dieser Sache heute unterwegs nach Schweden, dann auch in die baltischen Staaten, und hatte ja erst am Wochenende Russland zum endgültigen Truppenabzug aufgefordert.
Der EU-Sondergipfel soll uns jetzt beschäftigen. Jo Leinen ist am Telefon. Er ist für die SPD im Europaparlament, dort im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag, Herr Leinen.
Jo Leinen: Guten Tag, Frau Durak.
Durak: Zwei aktuelle Meldungen kann ich noch einschieben. Eine erste Meldung kam, dass nun auch die Duma dem Präsidenten die Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens empfohlen hat. Und auch dies: Ministerpräsident Putin hat erklärt, Russland sollte WTO-Vereinbarungen einfrieren. Das geht also auf dieser Ebene auch weiter. - Nun der EU-Sondergipfel Anfang kommender Woche, am 01. September. Wir wissen: die EU ist nicht einig. Es gibt Staaten wie Deutschland und Frankreich, die eher Gespräche bevorzugen, und andere, die die harte Linie bevorzugen, wie die USA und Großbritannien. Was ist von diesem Sondergipfel zu erwarten?
Leinen: Das ist ein Testfall für die Geschlossenheit der Europäischen Union oder für das Auseinanderfallen der Mitgliedsländer in der EU. Es ist wirklich eine ernste Lage, die da eingetreten ist, und die EU darf sich nicht blamieren. Sie muss mit einer Stimme gegenüber dem Nachbarn Russland reden. Und es ist gut, dass dieser Sondergipfel stattfindet, weil wir ja schon gesehen haben, dass die Präsidenten verschiedener Länder auch in verschiedene Richtungen laufen.
Durak: Mit welcher Stimme sollte die EU auftreten gegenüber Russland?
Leinen: Es ist ganz klar, dass die Integrität von Georgien respektiert werden muss. Es kann nicht sein, dass russische Truppen in georgischem Kernland weiter sich aufhalten, noch dass Russland sich rausnimmt, einen souveränen Staat zu zerspalten. Also die Anerkennung der beiden Republiken Südossetien und Abchasien wäre der Konfliktfall. Das wäre sicherlich eine Zäsur auch in den Beziehungen von der EU zu Russland.
Durak: Aber wir sehen es ja an den neuesten Meldungen: WTO-Vereinbarungen einfrieren und anderes. Welche Möglichkeiten hat denn die EU, Russland zu irgendeinem Einlenken zu bewegen?
Leinen: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Es ist ja das Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Russland auf dem Weg. Ich denke mal, dass so ein Abkommen nicht abgeschlossen werden kann, wenn der Georgien-Konflikt nicht gelöst ist. Russland hat große Interessen an der Verstärkung der Wirtschaftsbeziehungen zu Europa, hat Interessen bei der Visa-Freiheit seiner Bürger. Viele russische Menschen wollen ja nach Europa kommen und nicht vor den Botschaften Schlange stehen. Es gibt die Olympischen Winterspiele in Sotschi, wo Russland auch aufpassen muss, sein Gesicht nicht in Europa zu verlieren, in der Welt zu verlieren. Also ich glaube, die EU hat Druckpunkte, um Moskau deutlich zu machen, dass die imperialen Gelüste, die dort deutlich werden, nicht akzeptiert werden.
Durak: Aber, Herr Leinen, was wiegen Visa-Probleme und Winterspiele gegen Energie? Wir sind abhängig von der russischen Energie.
Leinen: Europa muss jetzt wirklich Farbe bekennen und alle seine Kraft anstrengen, in Georgien, im Kaukasus sich zu engagieren. Die EU war ja absent. Es war ja mehr die USA dort präsent als wirklich die Europäische Union. Ich glaube, der Sondergipfel ist dann auch einberufen worden, um ein Konzept zu entwickeln für die ganze Region, um wirklich dann Friedenstruppen dort hinzuschicken, um vertrauensbildende Maßnahmen auch zu kreieren. Die Schuld ist ja hier auch auf beiden Seiten zu suchen. Auch Georgien muss sich fragen lassen, ob es klug gehandelt hat. Ich glaube, die Europäische Union hat jetzt eine Rolle des Vermittlers zwischen den Scharfmachern in der Welt auf der einen Seite und denen, die da Leisetreterei betreiben, auf der anderen Seite.
Durak: Sollte die EU nicht auch darüber nachdenken, wie man künftig überhaupt gegenüber Russland auftreten will, als welchen Partner oder Gegner man Russland behandeln will?
Leinen: Ich glaube, Russland hat Respekt vor der Europäischen Union. Es hat keinen Respekt vor den einzelnen Mitgliedsländern in Europa. Dafür fühlt sich Russland mittlerweile zu stark. Aber dieser Block der 27 Länder mit 500 Millionen Menschen…
Durak: Das ist doch kein Block, Herr Leinen. Im Augenblick nicht!
Leinen: Na gut. Die Außenpolitik der EU ist ein Thema, was wirklich in den Kinderschuhen steckt, und Sarkozy, der französische Ratspräsident, muss jetzt beweisen, dass er diese 27 unter einen Hut bekommt. Das ist die Kunst der europäischen Politik, die divergierenden Interessen doch letztendlich zu einer Stimme zu bringen. Es ist ja öfters in der Vergangenheit auch gelungen; warum soll das nicht jetzt auch passieren.
Durak: Egon Bahr hat in der "Süddeutschen Zeitung" vor Konfrontation und einer möglichen Aufrüstungsspirale mit Kurzstreckenraketen und konventionellen Waffen gewarnt. Malt er den Teufel an die Wand, oder beschreibt er die Lage realistisch?
Leinen: Die Bedrohung ist sicherlich da. Ich weiß nicht, ob das Raketenabwehrsystem der USA in Polen und in Tschechien wirklich ein kluger Zug war. Russland fühlt sich provoziert und ich glaube, wir dürfen nicht unnütze Provokationen einbauen, weil dann kommt ein neuer Kalter Krieg und das würde am wenigsten Europa nützen.
Durak: Die sind doch aber schon eingebaut?
Leinen: Es gibt Provokationen auf beiden Seiten. Das schaukelt sich hoch. Meines Erachtens hat die Europäische Union einen Mittelweg zu gehen. Wir müssen Russland die Grenzen zeigen. Wir müssen ihnen sagen, wo es auch Nachteile, eklatante wirtschaftliche Nachteile bekommt, wenn die Souveränität von Nachbarstaaten verletzt wird. Aber es darf auch nicht unnütz eine Sprache verwandt werden und Aktionen eingeleitet werden, die dann zu einem wirklichen Kalten Krieg führen. Weder Georgien hätte etwas davon, noch auch die ganze Europäische Union.
Durak: Große Hoffnung auf die Kraft der Europäischen Union setzt Jo Leinen (SPD), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Herr Leinen, danke für das Gespräch.
Leinen: Auf Wiederhören!
Durak: Auf Wiederhören.
Eine andere Frage: wie lange kann und darf der Westen mehr oder weniger nur zuschauen, welche Politik Russland im Kaukasus-Konflikt betreibt? Welche Möglichkeiten hat er denn wirklich, wirksam Einfluss zu nehmen? - Der "Financial Times" zufolge haben sich die amerikanische Außenministerin Rice und auch Joe Biden, der designierte Kandidat der Demokraten für die Vizepräsidentschaft, für die Aussetzung des Atomvertrages mit Russland ausgesprochen. Und Deutschland? - Die Bundeskanzlerin ist auch in dieser Sache heute unterwegs nach Schweden, dann auch in die baltischen Staaten, und hatte ja erst am Wochenende Russland zum endgültigen Truppenabzug aufgefordert.
Der EU-Sondergipfel soll uns jetzt beschäftigen. Jo Leinen ist am Telefon. Er ist für die SPD im Europaparlament, dort im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag, Herr Leinen.
Jo Leinen: Guten Tag, Frau Durak.
Durak: Zwei aktuelle Meldungen kann ich noch einschieben. Eine erste Meldung kam, dass nun auch die Duma dem Präsidenten die Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens empfohlen hat. Und auch dies: Ministerpräsident Putin hat erklärt, Russland sollte WTO-Vereinbarungen einfrieren. Das geht also auf dieser Ebene auch weiter. - Nun der EU-Sondergipfel Anfang kommender Woche, am 01. September. Wir wissen: die EU ist nicht einig. Es gibt Staaten wie Deutschland und Frankreich, die eher Gespräche bevorzugen, und andere, die die harte Linie bevorzugen, wie die USA und Großbritannien. Was ist von diesem Sondergipfel zu erwarten?
Leinen: Das ist ein Testfall für die Geschlossenheit der Europäischen Union oder für das Auseinanderfallen der Mitgliedsländer in der EU. Es ist wirklich eine ernste Lage, die da eingetreten ist, und die EU darf sich nicht blamieren. Sie muss mit einer Stimme gegenüber dem Nachbarn Russland reden. Und es ist gut, dass dieser Sondergipfel stattfindet, weil wir ja schon gesehen haben, dass die Präsidenten verschiedener Länder auch in verschiedene Richtungen laufen.
Durak: Mit welcher Stimme sollte die EU auftreten gegenüber Russland?
Leinen: Es ist ganz klar, dass die Integrität von Georgien respektiert werden muss. Es kann nicht sein, dass russische Truppen in georgischem Kernland weiter sich aufhalten, noch dass Russland sich rausnimmt, einen souveränen Staat zu zerspalten. Also die Anerkennung der beiden Republiken Südossetien und Abchasien wäre der Konfliktfall. Das wäre sicherlich eine Zäsur auch in den Beziehungen von der EU zu Russland.
Durak: Aber wir sehen es ja an den neuesten Meldungen: WTO-Vereinbarungen einfrieren und anderes. Welche Möglichkeiten hat denn die EU, Russland zu irgendeinem Einlenken zu bewegen?
Leinen: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Es ist ja das Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Russland auf dem Weg. Ich denke mal, dass so ein Abkommen nicht abgeschlossen werden kann, wenn der Georgien-Konflikt nicht gelöst ist. Russland hat große Interessen an der Verstärkung der Wirtschaftsbeziehungen zu Europa, hat Interessen bei der Visa-Freiheit seiner Bürger. Viele russische Menschen wollen ja nach Europa kommen und nicht vor den Botschaften Schlange stehen. Es gibt die Olympischen Winterspiele in Sotschi, wo Russland auch aufpassen muss, sein Gesicht nicht in Europa zu verlieren, in der Welt zu verlieren. Also ich glaube, die EU hat Druckpunkte, um Moskau deutlich zu machen, dass die imperialen Gelüste, die dort deutlich werden, nicht akzeptiert werden.
Durak: Aber, Herr Leinen, was wiegen Visa-Probleme und Winterspiele gegen Energie? Wir sind abhängig von der russischen Energie.
Leinen: Europa muss jetzt wirklich Farbe bekennen und alle seine Kraft anstrengen, in Georgien, im Kaukasus sich zu engagieren. Die EU war ja absent. Es war ja mehr die USA dort präsent als wirklich die Europäische Union. Ich glaube, der Sondergipfel ist dann auch einberufen worden, um ein Konzept zu entwickeln für die ganze Region, um wirklich dann Friedenstruppen dort hinzuschicken, um vertrauensbildende Maßnahmen auch zu kreieren. Die Schuld ist ja hier auch auf beiden Seiten zu suchen. Auch Georgien muss sich fragen lassen, ob es klug gehandelt hat. Ich glaube, die Europäische Union hat jetzt eine Rolle des Vermittlers zwischen den Scharfmachern in der Welt auf der einen Seite und denen, die da Leisetreterei betreiben, auf der anderen Seite.
Durak: Sollte die EU nicht auch darüber nachdenken, wie man künftig überhaupt gegenüber Russland auftreten will, als welchen Partner oder Gegner man Russland behandeln will?
Leinen: Ich glaube, Russland hat Respekt vor der Europäischen Union. Es hat keinen Respekt vor den einzelnen Mitgliedsländern in Europa. Dafür fühlt sich Russland mittlerweile zu stark. Aber dieser Block der 27 Länder mit 500 Millionen Menschen…
Durak: Das ist doch kein Block, Herr Leinen. Im Augenblick nicht!
Leinen: Na gut. Die Außenpolitik der EU ist ein Thema, was wirklich in den Kinderschuhen steckt, und Sarkozy, der französische Ratspräsident, muss jetzt beweisen, dass er diese 27 unter einen Hut bekommt. Das ist die Kunst der europäischen Politik, die divergierenden Interessen doch letztendlich zu einer Stimme zu bringen. Es ist ja öfters in der Vergangenheit auch gelungen; warum soll das nicht jetzt auch passieren.
Durak: Egon Bahr hat in der "Süddeutschen Zeitung" vor Konfrontation und einer möglichen Aufrüstungsspirale mit Kurzstreckenraketen und konventionellen Waffen gewarnt. Malt er den Teufel an die Wand, oder beschreibt er die Lage realistisch?
Leinen: Die Bedrohung ist sicherlich da. Ich weiß nicht, ob das Raketenabwehrsystem der USA in Polen und in Tschechien wirklich ein kluger Zug war. Russland fühlt sich provoziert und ich glaube, wir dürfen nicht unnütze Provokationen einbauen, weil dann kommt ein neuer Kalter Krieg und das würde am wenigsten Europa nützen.
Durak: Die sind doch aber schon eingebaut?
Leinen: Es gibt Provokationen auf beiden Seiten. Das schaukelt sich hoch. Meines Erachtens hat die Europäische Union einen Mittelweg zu gehen. Wir müssen Russland die Grenzen zeigen. Wir müssen ihnen sagen, wo es auch Nachteile, eklatante wirtschaftliche Nachteile bekommt, wenn die Souveränität von Nachbarstaaten verletzt wird. Aber es darf auch nicht unnütz eine Sprache verwandt werden und Aktionen eingeleitet werden, die dann zu einem wirklichen Kalten Krieg führen. Weder Georgien hätte etwas davon, noch auch die ganze Europäische Union.
Durak: Große Hoffnung auf die Kraft der Europäischen Union setzt Jo Leinen (SPD), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Herr Leinen, danke für das Gespräch.
Leinen: Auf Wiederhören!
Durak: Auf Wiederhören.