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"Es gibt sehr klare Hinweise auf die Schädigungen"

Die Landwirtschaftsexpertin der Grünen, Ulrike Höfgen, hat Bundesforschungsministerin Annette Schavan vorgeworfen, die Risiken der sogenannten grünen Gentechnik zu verharmlosen. Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen berge unkalkulierbare Gefahren für die Umwelt, sagte Höfken. Bedauerlich sei vor allem, dass es in dem Bereich keine unabhängige Risikoforschung gebe.

Ulrike Höfken im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.05.2009
    Christoph Heinemann: Runder Tisch mit Ecken und Kanten. Mehr als 20 Vertreter von Forschung, Landwirtschaft und Kirchen beraten heute in Berlin über den künftigen Kurs zur Forschung mit genveränderten Pflanzen. Am Tisch treffen sich zwei Kabinettsmitglieder, Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner und Annette Schavan, die Forschungsministerin. Beide Ressortchefinnen sind politisch in den Schwesterparteien mit dem C zuhause, argumentieren in der Sache allerdings unterschiedlich. Frau Aigner hatte den Anbau von Genmais MON 810 des US-Konzerns Monsanto wegen Umweltbedenken verboten; Annette Schavan betont, man dürfe nicht nur über die Risiken, sondern müsse auch über das Potenzial dieser Forschung diskutieren.

    Am Telefon ist Ulrike Höfken, Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wir erreichen sie am Flughafen und hoffen, dass die Geräuschkulisse erträglich bleibt. Guten Tag!

    Ulrike Höfken: Guten Tag!

    Heinemann: Frau Höfken, als Grüne sind Sie mit der grünen Gentechnik nicht grün. Wie viel Ideologie mischt sich in Ihr Urteil?

    Höfken: Wir nennen diesen Teilbereich der Gentechnik nicht grüne Gentechnik, sondern Agro-Gentechnik. Das ist übrigens auch wichtig zu unterscheiden, weil ja man mit der Gentechnik schon vernünftige Sachen macht. Nur mit der Freisetzung gentechnisch veränderter, lebender Organismen, die ja nicht mehr rückholbar sind aus der Natur, dagegen haben wir was. Es ist einfach unwissenschaftlich und eine gefährliche Verharmlosung, wenn Frau Schavan sagt, es gebe keine Belege für gesundheitliche und ökologische Schäden. Das ist ganz im Gegenteil leider so, denn darauf begründet sich ja zum Beispiel auch das Verbot von dem Genmais MON 810, was Frau Aigner dann ja nach einigem Zögern noch ausgesprochen hat. Es gibt sehr klare Hinweise auf die Schädigungen zum Beispiel der Umwelt, in dem Fall der Marienkäfer, der Wasserorganismen, und wir sehen im Prinzip in dieser Geschichte der Auseinandersetzung eigentlich alle Befürchtungen, die die Umweltverbände und die Kritiker hatten, bestätigt.

    Heinemann: Nur ist bisher nicht wissenschaftlich erwiesen, dass man auch krank wird, wenn man solche gentechnisch veränderten Lebensmittel äße.

    Höfken: Grundsätzlich ist unsere Kritik, dass die Risikoforschung eigentlich in Deutschland gar nicht praktiziert wird - übrigens auch in Europa nicht -, dass es engste Verflechtungen von Forschung und Industrie gibt - ich habe auch eine Studie dazu gemacht - und dass auch unter diesem Titel "biologische Sicherheitsforschung" die Gelder zweckentfremdet werden für Firmen wie Genius, die einfach Akzeptanzschaffung betreiben, Kommunikation an die Verbraucher, damit die glauben, es gibt keine Risiken. Oder die BASF kriegt aus solchen Titeln eine Million für die Entwicklung dieser gentechnisch veränderten Weizenlinie. Übrigens Weizen machen ja noch nicht mal die USA. Also das ist eigentlich keine unabhängige Forschung.

    Heinemann: Frau Höfken, noch einmal: Aber Erkenntnisse über tatsächliche Risiken gibt es bislang nicht?

    Höfken: Da würde ich widersprechen. Es gibt erstens viel zu wenig Risikoforschung, die den Namen auch verdient, und das wenige, was es gibt, das zeigt eine ganze Menge an bedenklichen Entwicklungen auf.

    Heinemann: Welche?

    Höfken: Nehmen wir die österreichische Studie im Hinblick auf die Organismen, die geschädigt werden, die eigentlich nicht geschädigt werden sollen, also diese Nicht-Zielorganismen. Es gibt aber auch andere Studien, die darauf hinweisen, beispielsweise in Australien, dass gentechnisch veränderte Legominosen - in dem Fall Erbsen - bei Mäusen gesundheitliche Schäden verursacht haben. Solche Studien gibt es auch mit anderen Versuchstieren, auch zu Genmais - aus Frankreich -, und diese Studien werden auch von der Zulassungsbehörde in der Regel überhaupt nicht ernst genommen. Wir sagen, dieser ganze Bereich ist geprägt von Interessenskonflikten, und diese laufen sehr stark zwischen den Interessen der Verbraucher, der Landwirte, der Imker, der gentechnikfreien Erzeugung, der Umwelt zu den Interessen der wenigen Konzerne, die einfach darin ein Geschäft auf dem Weltmarkt wittern.

    Heinemann: Aber Interessen gibt es ja auch auf der anderen Seite. Gengegner behaupten, der Genmais MON 810 gefährde Nützlinge in der Natur. Die Befürworter widersprechen und verweisen darauf, dass bislang nur praxisferne Laboruntersuchungen, aber nie Freilandversuche durchgeführt wurden. Sind die Gegner da auf dem wissenschaftlichen Auge blind?

    Höfken: Nein, überhaupt nicht, und ich persönlich bin auch sehr für Innovation, ich bin auch sehr für die Unterstützung der Forschung, aber ich bin überhaupt nicht dafür, dass man unter dem Label Freiheit der Forschung Industrieinteressen durchsetzt, wie das der Fall ist. Ich bin ausgebildete Agraringenieurin und Züchterin, und ich kann nur sagen, wer einem wirklich mit blauen Augen erzählt, dass ein lebendes Pestizid, wie es der Genmais ja ist - in dieser Pflanze wird ja vom ersten Tag an ein Gift produziert, ein Pestizid -, und dann noch behauptet, da würde es keine negativen Umwelt- und Gesundheitsreaktionen geben, der kann einem auch was vom Pferd erzählen. Wie gesagt, eine ganze Menge von Studien bestätigen das ja auch. Und ich sage mal, ich bin schon lange in dieser Diskussion. Die Industrie hat uns erzählt, gentechnisch veränderte Pflanzen sind nicht überlebensfähig, sie kreuzen nicht aus. Was erleben wir im Moment: verseuchtes Saatgut mit diesem Genmais NK 603, was gerade in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wieder auftaucht, und als nächstes werden die Schäden dann vertuscht. So kann das nicht laufen.

    Heinemann: Forschung und Anbau kann man aber nicht trennen. Sie haben eben gesagt, Sie seien sehr für die Forschung.

    Höfken: Nein! Ich bin absolut für die Forschung, aber Forschung heißt ja nicht Verantwortungslosigkeit, sondern da muss ja auch Forschung dafür sorgen, dass es keine gefährlichen Auskreuzungen aus ihren Forschungsfeldern gibt, und das tun sie bislang überhaupt nicht in angemessenem Ausmaß. Sie sind ja gar nicht bereit, sich der Diskussion überhaupt auch nur zu stellen, sondern versuchen, diese Interessen durchzudrücken. Was da die BASF gerade macht mit der Kartoffel "Amflora": Gegen die wirklich heftigsten Bedenken der Weltgesundheitsorganisation, der Arzneimittelzulassungsbehörde EMEA in der EU pflanzen die da eine Kartoffel aus, die Resistenzgene gegen therapeutisch wichtige Antibiotika enthält, und titulieren das übrigens auch noch als Vermehrungsanbau, wird aber unter dem Deckmantel Forschung praktiziert. Ich finde das eine unmögliche Vorgehensweise gegen die Interessen der Menschen und der Umwelt.

    Heinemann: Frau Höfken, viele Länder setzen auf die grüne oder die Agro-Gentechnik, je nachdem wie man es nennen will. Es wird solches verändertes Saatgut auf 125 Millionen Hektar weltweit ausgesät. Sind das alles Roulettespieler für Sie?

    Höfken: Das hört sich viel an, sind aber nur sechs Prozent der Weltagrarfläche. Und ich sage mal, von Freiwilligkeit kann da nicht unbedingt die Rede sein. Es gibt eine amerikanische Untersuchung über 20 Jahre, die mal die ökonomische Seite der Agro-Gentechnik betrachtet hat und festgestellt hat, es gibt überhaupt keine positiven Ertragsentwicklungen oder Einsparungen von Pestiziden, sondern die Anwendung erfolgt sehr stark, weil diese Länder einfach eine zentralistische Vorgehensweise erdulden oder gewählt haben. Das Problem ist ja schlichtweg: Fängt man einmal an, Genraps in Kanada, dann sind schnell die Alternativen futsch wegen eben gerade dieser Auskreuzungsprobleme, die wir haben.

    Heinemann: Ich wusste gar nicht, dass Kanada ein zentralistisch organisiertes Land ist.

    Höfken: Nein, aber die Vorgehensweise der Konzerne. Die können sich dort sehr durchsetzen. Die haben auch andere Rechtsgrundlagen wie wir, und ich bin sehr froh darüber, dass wir in Europa, in Deutschland das Vorsorgeprinzip praktizieren oder praktizieren sollen, die nicht erst einsetzen, wenn die Schäden erst eingetreten sind, sondern im Vorfeld diese verhindern sollen. Ich denke, das müssen wir auch beibehalten.