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"Es gibt zu viel Milch in Deutschland"

Die Milchkrise in Deutschland ist systembedingt, sagt der Ex-EU-Agrarkommissar Franz Fischler. Wenige große Handelsketten sähen sich vielen Molkereien gegenüber und könnten so den Milchpreis praktisch diktieren. Milchbauern, Milchindustrie und Handel müssten ihr Verhältnis untereinander neu definieren. Die Milchindustrien in Holland, Dänemark und Schweden seien gute Beispiele.

Moderation: Jochen Fischer | 03.06.2008
    Jochen Fischer: Guten Morgen Herr Fischler!

    Franz Fischler: Guten Morgen Herr Fischer!

    Fischer: Wodurch kommt denn der Preisverfall bei der Milch denn aktuell zustande?

    Fischler: Dieser aktuelle Verfall ist schon im Wesentlichen dadurch ausgelöst, dass es offenkundig ausgehend von Deutschland und dann in Folge auch in manchen anderen Ländern eine Art Vereinbarung würde ich nicht sagen, aber die Ansicht gegeben hat, dass die Trinkmilch heruntergesetzt wird. Da sind einige Handelsketten vorangeschritten und das hat also dann diesen Boom nach unten ausgelöst, was nicht nur bedauerlich ist jetzt unmittelbar für die betroffenen Bauern, sondern meiner Meinung nach ist das auch strategisch, längerfristig, eine völlig falsche Strategie der Handelsketten, weil gerade Frischmilch ist nach wie vor eines der sensibelsten und empfindlichsten Produkte und dort über die Billigschiene und über den Preisdruck zu arbeiten, führt früher oder später immer dazu, dass es irgendwelche hygienischen oder sonstigen Probleme gibt, die dann erst wieder allen gemeinsam auf den Kopf fallen.

    Fischer: Die OECD lässt sich heute vernehmen; sie kritisiert die deutschen Milchbauern und sagt, der Verfall des Preises sei im Moment saisonal bedingt.

    Fischler: Saisonal bedingt? – Das weiß ich nicht, woher die OECD diese Meinung bezieht. Natürlich ist es so, dass mit dem Einsetzen im Frühling, wenn die Grünfütterung, das frische Futter einsetzt, dass dann die Produktion etwas steigt. Aber in dem Ausmaß daraus einen solchen Preisverfall abzuleiten, das sehe ich ehrlich gesagt nicht.

    Fischer: Also Sie sehen den Preisverfall in dem Dreiecksverhältnis zwischen Milchbauern, Milchindustrie und Handel?

    Fischler: Ja!

    Fischer: Was könnte da geändert werden? Ist das in anderen Ländern auch so?

    Fischler: Das ist nicht in dem Maße, wie ich gesagt habe, so, sondern das ist unterschiedlich je nach den Strukturen und da sind eigentlich der entscheidende Faktor in der Regel die Molkereistrukturen. Es ist eine Besonderheit Deutschlands, dass es nach wie vor eine große Zahl von Molkereien gibt, aber nur eine sehr kleine Zahl von großen Handelsketten. Und es ist natürlich nichts leichter, als diese große Zahl von Molkereien gegeneinander auszuspielen. Wenn Sie das vergleichen etwa mit Holland, mit Dänemark, mit Schweden oder mit anderen Ländern, dort gibt es überall nur mehr de facto einen Milchanbieter und da müssen alle Handelsketten mit diesem einen Milchanbieter verhandeln. Daher ergeben sich dann keine solchen Situationen.

    Fischer: Es gibt ja den Fall, die Milch wird im Laden für den Verbraucher teurer; der Bauer bekommt aber immer noch den gleichen Abnahmepreis. Da stimmt doch was nicht!

    Fischler: Ja. Wenn er den gleichen bekäme, wäre es ja noch gut. Aber der Bauer bekommt sogar weniger. Daher stimmt hier was nicht.

    Fischer: Wo versickert das Geld?

    Fischler: Das ist eben ein Teil des nicht Funktionierens des Marktes. Den Markt zum Funktionieren zu bringen, das ist nicht so ganz einfach, wenn vor allem auf diesem Markt sehr ungleiche Partner sind. Auch der größte Milchproduzent, der größte Milchbauer ist ein kleiner Fisch, verglichen mit dem, welche Handelsmacht ein großer Konzern hat, der im Einzelhandel tätig ist.

    Fischer: Gibt es den Milchmarkt in der EU denn eigentlich, weil eigentlich gibt es doch auch Mengenbeschränkungen für die Bauern.

    Fischler: Na ja, das ist mit ein Grund. Aber die Mengenbeschränkungen müssten theoretisch eher dahingehend wirken, dass sie den Preis nicht zu tief absinken lassen. Aber wie man in der Praxis sieht: Aufgrund der Tatsache, dass wir in Europa sehr unterschiedliche Situationen auch von der Nachfrage her haben. Wir haben Gebiete wie Deutschland, wenn ich insbesondere Bayern nehme, wo doppelt so viel Milch auf den Markt gebracht wird als in Bayern verbraucht wird. Wenn Sie das zum Beispiel mit Italien vergleichen, zum Beispiel: In Italien wird ein Drittel des gesamten Milchproduktekonsums von Italien importiert. Das ist auch der Grund, dass wir all die Jahre bis jetzt in Italien auch für die Landwirte wesentlich günstigere Preise gehabt haben als in Deutschland.

    Fischer: Also sind in Deutschland die Milchbauern schuld, weil sie zu viel Milch produzieren?

    Fischler: Man sollte jetzt keine falschen Schlussfolgerungen daraus ziehen und einseitige Schuldzuweisungen machen. Es ist das System als ganzes ein Problem und letztendlich ist es eine Frage: Welche Märkte stehen zur Verfügung. Nachdem man jetzt ja daran geht und Deutschland ja auch dafür eintritt, dass die Milchquotenregelung, also die Beschränkungen auslaufen sollen, wird das einen noch größeren Effekt mit sich bringen. Das was wir jetzt sehen ist ja erst ein kleiner Anfang. Wenn man die Milchquoten abschafft, wird man einen noch größeren Druck sehen, wenn die Molkereiwirtschaft nicht daran geht, neue Absatzmärkte im Ausland zu erringen beziehungsweise sich dort durchzusetzen. Daher sollte dieser Druck aus meiner Sicht, der jetzt da herrscht, nicht nur zum Protestieren verwendet werden, sondern man sollte vor allem auch Schlüsse ziehen, in welche Richtung man sich entwickeln möchte. Was ist ein Zukunftsmarkt für die deutsche Milchindustrie? Ist es China, ist es Indien oder was sonst? Jedenfalls in Deutschland wird dieses Mehr an Milch, das kommen wird, nicht absetzbar sein.

    Fischer: Sie schieben den schwarzen Peter sozusagen zur Milchindustrie?

    Fischler: Ich schiebe überhaupt nirgendwo hin einen schwarzen Peter. Ich habe ganz klar gesagt, dass alle Beteiligten im System eine gewisse Mitverantwortung tragen und dass man das Problem nur lösen kann, wenn alle Beteiligten sich gemeinsam für einen gemeinsamen Weg entscheiden.

    Fischer: Die deutschen Landwirtschaftsminister der Länder zeigen Verständnis für die Streiks, wollen sich aber zunächst zurückhalten. Könnten sie denn einschreiten? Mit welcher Begründung?

    Fischler: Ich sehe wenig Möglichkeiten. Außer Sympathiekundgebungen sehe ich wenig Möglichkeit, wie ein deutscher Landesminister hier einschreiten könnte.

    Fischer: Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler. Vielen Dank!

    Fischler: Bitte schön!