Sonntag, 19. Mai 2024

Archiv


"Es ging nach Punkten für Obama aus"

Barack Obama habe das dritte TV-Duell mit Mitt Romney zwar nach Punkten gewonnen, sagt Thomas Jäger, Politologe an der Universität Köln. Für die Wahlentscheidung spiele die Debatte um die Außenpolitik aber wahrscheinlich nur eine kleine Rolle.

Thomas Jäger im Gespräch mit Dirk Müller | 23.10.2012
    Dirk Müller: Eins zu eins stand es bislang – kein Spielergebnis aus der Fußball-Bundesliga, sondern aus der Champions League der Politik. Zwei Fernsehduelle gab es bereits zwischen dem Herausforderer und dem Amtsinhaber. Einmal hatte Mitt Romney die Nase vorn, bei der zweiten Runde Barack Obama. Vor gut zwei Stunden ist die dritte TV-Debatte zu Ende gegangen, sie könnte mit entscheidend gewesen sein für den Wahlausgang am 6. November, denn beide Kandidaten liegen auch bei den jüngsten Umfragen dicht beieinander. Über den Verlauf des Duells haben wir mit dem Kölner Politikwissenschaftler und USA-Kenner Professor Thomas Jäger gesprochen. Wer hat diesmal gepunktet?

    Thomas Jäger: Es ging nach Punkten für Obama aus, das war nicht anders zu erwarten. Aber die Überraschung ist, dass sich Mitt Romney auf dem Gebiet, auf dem er bisher nur dilettiert hat und sich nicht wirklich gut auskennt und sich gut bewegt hat, einigermaßen stabil stand. Das hat er auf eine relativ geschickte Weise gemacht: Er hat schlicht und ergreifend die Politik des Präsidenten etwas verschwiebelt gelobt und hat dann gesagt, man hätte es nur besser machen können, als er es getan hat.

    Müller: Das sagen ja viele: wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen. Damit kam Mitt Romney jetzt hin?

    Jäger: Das ging relativ gut durch. Ja der Präsident hat versucht, ihn zu stellen. Das war so ähnlich wie in der ersten Debatte, die Mitt Romney ja deutlich für sich entscheiden konnte. So deutlich ging es zu Gunsten Obamas jetzt nicht aus. Aber so ähnlich ging Romney vor. All die Positionen, die er im Wahlkampf relativ stark vertreten hat, die hat er jetzt zurückgenommen, hat sie verkleidet, und auf diese Weise einem angreifenden Obama, der ihn stellen wollte, der ihn an George W. Bush binden wollte, sozusagen den Wind aus den Segeln genommen.

    Müller: Das hört sich ein bisschen so an, Herr Jäger, wenn ich Sie richtig verstehe, dass Mitt Romney in Wirklichkeit gewonnen hat?

    Jäger: Nun ja, gegenüber den Erwartungen, die man an ihn hatte, hat er gut abgeschnitten. Also ich glaube, die Debatte wird keine großen Effekte auf die Wählerbewegung jetzt haben. Das hätte es möglicherweise gehabt, wenn Romney untergegangen wäre, oder wenn Obama hätte sagen können, seht her, das ist wieder ein Republikaner, es ist wieder jemand, der Krieg führen wird, es ist wieder jemand, der militärische Außenpolitik macht. Denn für viele, die Romney im Bereich der Wirtschaft zutrauen, etwas besser zu machen, als das Obama getan hat, steht immer noch im Hintergrund der Geist von George W. Bush, der zwei Kriege begonnen hat, die Amerika mit in die Lage geführt haben, in der es jetzt ist.

    Müller: Für uns, Herr Jäger, aus deutscher Sicht, aus europäischer Sicht ist es ja immer sehr relevant, durchaus interessant, die amerikanische Außenpolitik zu betrachten. Das steht ja ganz, ganz oft auch im Fokus. In den USA, so hört man jedenfalls seit Jahren, seit Jahrzehnten, ist das alles anders. Die Wirtschaft soll es alles machen. Bill Clinton hat ja auch einmal gesagt, "It’s the Economy, stupid", also es geht um die Wirtschaft, versteht das doch endlich. Hat Außenpolitik diesmal eine Rolle gespielt?

    Jäger: In der Debatte hat es eine große Rolle gespielt. Für die Wahlentscheidung spielt es wahrscheinlich nur eine ganz kleine Rolle. Da sieht man immer, was für die Wähler der wichtigste Punkt ist, an dem sie ihre Wahlentscheidung festmachen, und das ist in der Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler eben die Wirtschaft. Das sagt Romney, das hat auch Obama immer im Hinterkopf mit gehabt, und sie haben, wann immer sich die Möglichkeit ergeben hat, versucht, den Transfer von der Außenpolitik in die Innenpolitik zu gehen. Also immer dann, wenn es um die Stärke der Vereinigten Staaten geht, dann hat der Herausforderer gesagt, ja und diese Stärke setzt eben voraus, dass wir im Innern die Wirtschaft auf den Weg bringen, und dann hat er sein Programm abgespult. Und immer dann, wenn es um Energie ging, hat Obama die Gelegenheit genutzt und gesagt, aber wir versuchen, in der Energiepolitik eben wegzukommen vom Öl.

    Müller: Das heißt, wenn wir das noch einmal betrachten, um bei diesem außenpolitischen Aspekt und bei dieser außenpolitischen Bedeutung zu bleiben, wenn wir über den Iran reden, wenn wir über Afghanistan reden, über den Nahen Osten, über Syrien, auch Libyen, dann ist das für uns immer ganz, ganz oben auf der politischen Agenda, auf der internationalen Agenda, in den USA spielt es demnach immer nur eine untergeordnete Rolle?

    Jäger: Nicht immer. Erinnern Sie sich: die Wahl von Barack Obama wurde wesentlich mit außenpolitischen Interessen und Motiven entschieden. Damals ging es um den Irak-Krieg. Die Wahl von George W. Bush zuvor, die Wiederwahl, die geschah, weil der internationale Terrorismus ganz oben auf der Interessenagenda der Wählerinnen und Wähler stand. Das ist diesmal anders und es ist auch gewöhnlich so, dass die Innenpolitik eine größere Rolle spielt. Die Außenpolitik hätte dann eine Rolle gespielt, wenn möglicherweise jetzt in einer dieser Fragen zwischen den beiden Kandidaten eine ganz harte Differenz aufgetreten wäre. Wenn Romney beispielsweise, was er nicht getan hat, gesagt hätte, wir müssen in Syrien militärisch eingreifen, oder wir müssen den Iran militärisch unter Druck setzen, dann hätte das ausgeschlachtet werden können. Das hat er nicht gemacht, er hat versucht, die Politik des Präsidenten weitgehend anzunehmen, und gesagt, ich hätte das noch besser gemacht als er, aber die Richtung stimmt.

    Müller: Jetzt haben beide Kandidaten, Herr Jäger, noch zwei Wochen Zeit, sich zu positionieren, den einen oder anderen Vorteil sich zu verschaffen, vielleicht auch den einen oder anderen Nachteil ungewollt einzugehen. Wer hat die bessere Ausgangsposition?

    Jäger: Momentan ist das wirklich ein Kopf an Kopf-Rennen. Das hat vor wenigen Wochen noch nicht so ausgesehen. Und jetzt kommt es darauf an, aus Sicht von Obama, dass er das Momentum, das Romney derzeit hat, dass die Wähler sich ihm stärker zuwenden, stoppt. Er hat das verzögert, aber noch immer ist es so, dass die Vorteile leicht zu Gunsten Romneys gehen. Romney hat keine Chance mehr, jetzt sozusagen mit einem großen Paukenschlag diese Wahlen noch in irgendeiner Weise für sich zu entscheiden, weil es diesen Paukenschlag nicht mehr geben wird, es sei denn, Obama macht einen unverzeihlichen Fehler. Aber Obama muss wirklich sehen, dass er hier hereinkommt, dass er dieses Momentum, die langsame Bewegung der weißen Wählerschichten in Ohio, in Pennsylvania, noch viel deutlicher in Florida zu Romney hin, dass er das unterbindet, wenn er wiedergewählt werden will.

    Müller: Ist Mitt Romney in den zurückliegenden Wochen so stark geworden, weil Obama so schwach ist?

    Jäger: Das geht wesentlich auf die Debatte in Denver zurück. Die erste Debatte der beiden Kandidaten, die hat wirklich eine signifikante Auswirkung gehabt. Und hinzu kommt, dass die Romney-Kampagne eine etwas andere Werbestrategie hat als die Obama-Kampagne. Die Obama-Kampagne hat in den zurückliegenden Sommermonaten sehr stark Werbung geschaltet und hat gesagt, wir kennzeichnen Romney als die Heuschrecke, als jemanden, der kaltherzig ist, als einen der oberen ein Prozent, und das hat verfangen bis zur Debatte in Denver. In Denver ist das gekippt und jetzt sind die Republikaner mit vollen Geldtaschen dabei, die battleground states mit Werbung zu überrollen und die Wähler auf ihre Seite zu ziehen.

    Müller: Wenn Sie sich, Herr Jäger, unter anderem ja auch für uns die ganze Nacht um die Ohren geschlagen haben, muss das 14 Tage vor dem Urnengang erlaubt sein. Wer wird neuer Präsident?

    Jäger: Das kann man heute noch nicht sagen.

    Müller: Was glauben Sie?

    Jäger: Man kann es wirklich nicht sagen. Die Zahlen sind so eng. Es sind alles oder zum großen Teil Differenzen im statistischen Fehlerbereich, die bestehen. Beobachten muss man drei Staaten insbesondere. Florida ist derzeit zu Romney, ins Romney-Lager gewechselt. Wenn das so bleibt, dann ist es ein Kopf an Kopf-Rennen. Gewinnt Obama Florida zurück, ist das Rennen gelaufen. Wenn Ohio, wo Obama derzeit noch einen leichten Vorteil hat, in das Lager von Romney fällt und er die Wahlmänner bekommt, dann sieht das für Obama sehr schlecht aus, der am Ende verlieren würde, wenn er Pennsylvania verliert. Das sind die Staaten, die ich persönlich ganz eng beobachte.

    Müller: Vielen Dank an den Kölner Politikwissenschaftler und USA-Kenner Professor Thomas Jäger.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema:
    Sammelportal US-Wahl 2012