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"Es handelt sich um keine Kompromissfrage, sondern um eine Entscheidungsfrage"

Ich erwarte keine Lösung durch den Runden Tisch, sagt Claus Schmiedel, SPD-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag. Jeder werde bei seiner Position bleiben. Da das Projekt aber nicht mit Staatsgewalt durchgesetzt werden könne, sollten die Bürger in einem Volksentscheid über das Bauvorhaben befinden.

Claus Schmiedel im Gespräch mit Stefan Heinlein | 07.10.2010
    Stefan Heinlein: Vermittlung statt Wasserwerfer, reden statt Pfefferspray. Ministerpräsident Stefan Mappus setzt in Baden-Württemberg auf eine neue Strategie. "Stuttgart 21" soll nicht mehr mit aller Macht durchgesetzt, sondern die Bürger überzeugt werden. So die Kernbotschaft seiner gestrigen Regierungserklärung. Ganz praktisch heißt das, Heiner Geißler soll als Vermittler versuchen, die Wogen im Streit um das Bahnprojekt zu glätten.

    Mitgehört hat der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Baden-Württemberg, Claus Schmiedel. Guten Morgen nach Stuttgart!

    Claus Schmiedel: Guten Morgen.

    Heinlein: "Eine Vermittlung macht nur Sinn, wenn sie ohne Vorbedingungen geführt werde," so Heiner Geißler. Das sind klare Worte, Herr Schmiedel. Wie gehen Sie damit um?

    Schmiedel: Alles was entkrampft hilft. Wenn man miteinander spricht, ist das gut. Ich erwarte mir allerdings keine Lösung des Konflikts durch den Runden Tisch.

    Heinlein: Die Frage war: Sind Sie bereit, ohne Vorbedingung, das heißt ohne Baustopp, den Stuttgart 21-Gegnern eine Vermittlung zu empfehlen?

    Schmiedel: Ja, sicher.

    Heinlein: Also die Forderungen von Grünen etcetera., die sagen, es müsse erst gestoppt werden, die werden nicht von der SPD geteilt?

    Schmiedel: Beide Seiten spielen ja jetzt ein bisschen ein Schauspiel. Herr Mappus offeriert den Stopp des Abrisses des Südflügels, der gar nicht vorgesehen war vor 2012, ebenso keine weiteren Bäume im Schlosspark zu fällen – die waren auch nicht vorgesehen. Die Gegner sagen, ja, prima, das ist ein Zeichen. Das ist alles ein bisschen Schauspiel. Nur: Am Runden Tisch kommt die Wahrheit auf den Tisch. Es handelt sich um keine Kompromissfrage, sondern um eine Entscheidungsfrage, und da muss einer seine Position räumen, und zwar vollständig, wenn es zu einem Ergebnis kommen soll, und das kann ich nicht absehen.

    Heinlein: Wie groß sind denn die Chancen, dass ein Vermittler Geißler den auch von Ihnen geforderten Volksentscheid dann letztendlich überflüssig macht?

    Schmiedel: Wir haben es jetzt noch mit einer Rechtsfrage zu tun. Der Herr Kirchhof sagt, da muss wirklich ein inhaltlicher Dissens da sein zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit, damit man das machen kann, einen Volksentscheid, sonst wäre die Voraussetzung nicht gegeben.

    Wir sehen das anders. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Frage Auflösung des Bundestages und Vertrauensfrage zweimal festgestellt, dass man überhaupt nicht objektiv prüfen kann, weshalb ein Abgeordneter so oder so abstimmt, und deshalb die Frage: Besteht da wirklich ein inhaltlicher Dissens zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit, der von niemandem objektiv überprüft werden kann, und deshalb ist das für uns auch nur eine formale Vorschrift.

    Wenn man sieht, dass es am Runden Tisch nicht weitergeht, dann glaube ich schon, dass auch Herr Mappus sich dieser Frage Volksabstimmung etwas offener und aufgeschlossener zeigt, denn sein Weg führt ja dann objektiv zu keiner Entspannung.

    Heinlein: Also Sie hoffen auf eine erfolgreiche Vermittlung und damit auf einen Verzicht für diese Volksabstimmung?

    Schmiedel: Ich hoffe natürlich wie alle, dass die Gegner irgendwann sagen, wir sehen es ein. Nur für mich ist das überhaupt nicht absehbar. Herr Mappus sagt, er bleibt ohne Wenn und Aber beim Bau, die Gegner sagen, wir wollen das ohne Wenn und Aber zu Fall bringen. Man kann den Bahnhof nicht ein bisschen unter die Erde tun, sondern entweder oder. Deshalb ist für mich die Lösung am Runden Tisch überhaupt nicht absehbar.

    Was wir vorschlagen ist, dass man sagt, jeder bleibt bei seiner Position, aber wir übergeben diese Entscheidung in die Hand des Volkes, und die Argumente für Stuttgart 21, die sind so überwältigend, dass ich überhaupt keinen Zweifel habe, dass in einer fairen Auseinandersetzung, argumentativen Auseinandersetzung die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg für dieses Zukunftsprojekt stimmen werden.

    Heinlein: Ihre Partei – das wird jetzt ganz klar -, die SPD, ist in der Sache für Stuttgart 21. Sie fordern aber dennoch einen Volksentscheid. Das klingt so ein bisschen wie die Flucht aus der Verantwortung?

    Schmiedel: Wir müssen sehen, dass es um mehr als die Zehntausenden geht, die jeweils Montags oder Freitags sich an der Baustelle treffen. Wir wissen seit der Bertelsmann-Studie, spätestens seit der Bertelsmann-Studie im letzten Jahr, dass es bei einer Mehrheit in der Bevölkerung in Baden-Württemberg ein breites Misstrauen gegen die Politiker gibt, und die repräsentative Demokratie lebt vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die gewählten Vertreter. An diesem Projekt kristallisiert sich jetzt neben der Sachfrage genau dieser Punkt richtig heraus, die da oben entscheiden über uns, und da dringt man in einem solchen Klima überhaupt nicht mehr durch mit den Argumenten.

    Deshalb sagen wir, räumt das Argument weg, wir übergeben euch die Entscheidung, aber dann entscheidet wirklich verantwortungsvoll, denn ihr habt das letzte Wort und ihr müsst dann mit allen Konsequenzen entscheiden. Dadurch versprechen wir uns wieder eine stärkere Legitimation nicht nur für das Projekt, sondern für die Politik insgesamt.

    Heinlein: Machen Sie sich es, Herr Schmiedel, macht es sich die SPD damit denn nicht zu einfach? Sie wollen ein Volksbegehren fordern, anstatt getroffene Entscheidungen, parlamentarisch abgesicherte Entscheidungen politisch-praktisch dann auch durchzusetzen, auch gegen den Widerstand, auch gegen heftige Proteste?

    Schmiedel: Also wir sehen ja, dass es ganz, ganz schwierig ist, dieses Projekt mit den Mitteln der Staatsgewalt durchzusetzen. Da eskaliert viel, da geht auch viel Vertrauen verloren und es gibt eine zehnjährige Bauphase und es gibt auch eine Zeit nach dem Projekt. Eine Methode "Augen zu und durch" kann ein politisches Konzept sein, aber nicht für ein zehnjähriges Projekt in der Bauphase und nicht für ein Projekt, das die Bevölkerung so tief spaltet. Politik hat neben der Aufgabe, getroffene Beschlüsse durchzusetzen, auch eine Aufgabe, das Vertrauen in das repräsentative System zu erhalten und auszubauen. Deshalb wollen wir generell mehr plebiszitäre Elemente, mehr direkte Volksabstimmungen, und in diesem Fall ist es direkt angezeigt, es zu tun.

    Heinlein: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Schmiedel, wollen Sie das auch in Zukunft häufiger dann haben, denn es gibt ja viele strittige Fragen, Atommüll, Endlager, Großflughäfen, Olympiabewerbung? In Zukunft entscheidet der Bürger und nicht das Parlament?

    Schmiedel: Wir wollen mehr Fragen, bei denen wir feststellen, dass es nicht nur in der Politik einen Dissens gibt, sondern dass es tiefe Gräben in der Bevölkerung gibt, dann tatsächlich die Bevölkerung entscheiden lassen. Was wir brauchen ist eine neue Entscheidungskultur. Wir haben bisher nur Initiativen und Bewegungen oder ganz überwiegend jedenfalls, die sich gegen ein Projekt aussprechen. Wir sehen jetzt bei Stuttgart 21, seit wir das Thema Volksabstimmung gesetzt haben, dass es jetzt eine Bewegung dafür gibt. Wir haben jeden Donnerstag Demonstrationen für das Projekt, heute Abend werde ich auf einer sprechen. Wir haben in einzelnen Städten Veranstaltungen für das Projekt, jetzt kommen die Bürgermeister heraus, die Wirtschaftsleute. Es formiert sich jetzt eine Bewegung die sagt, hey, wir überlassen die öffentliche Meinung nicht nur den Gegnern, wir tun auch was für eine Pro-Einstellung zu dem Projekt. Das ist ein neuer Vorgang und deshalb: Wenn man sich mal das überlegt, dass es nicht nur darum geht, ein Projekt zu Fall zu bringen in einer Volksabstimmung, sondern es auch breit zu legitimieren, dann kriegen wir so was hin, wie es in der Schweiz schon seit Jahrzehnten Gang und Gebe ist, dass es Pro- und Contra-Bewegungen gibt, völlig entspannt, auch hart in der Sache, aber fair im Umgang, und dann entscheidet die Bevölkerung.

    Heinlein: Sie haben die Schweiz genannt. Baden-Württemberg sollte sich in Zukunft – so will es die SPD – stärker an dem Nachbarn orientieren, an der Schweiz, Volksabstimmungen?

    Schmiedel: Die Schweiz hat eine breite Volksabstimmungskultur, das ist ein Modell. Die Schweiz ist ein kleines Land, das muss man dabei berücksichtigen. Aber Baden-Württemberg ist zwar ein großes Flächenland, aber trotzdem ja auch immer noch überschaubar. Ich glaube, dass wir ein Vorbild sein können für die Bundesrepublik. Bisher sind wir Schlusslicht in der Frage Volksabstimmungen. Unsere Nachbarn im Osten, die Bayern, sind da weit voraus, haben auch schon gute Erfahrungen, sehr gute Erfahrungen mit Volksabstimmungen gemacht. Wir wollen uns an die Spitze setzen, indem wir jetzt wirklich sagen, wir wollen unsere Demokratie beleben, indem wir nicht alltäglich, aber doch in wichtigen Fragen das Volk abstimmen lassen.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der SPD-Fraktionsvorsitzende in Stuttgart, Claus Schmiedel. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Stuttgart.