Tobias Armbrüster: Großbritannien hat gewählt, aber es gibt im Parlament keinen klaren Sieger. Keine Partei hat eine absolute Mehrheit der Sitze. Darüber möchte ich jetzt mit dem britischen Politikwissenschaftler Anthony Glees sprechen. Er ist Professor an der Buckingham University. Schönen guten Morgen, Herr Glees.
Anthony Glees: Guten Morgen!
Armbrüster: Herr Glees, ein Parlament ohne klare Mehrheit, ist das ein Epochenwechsel in der britischen Politik?
Glees: Ich kann Ihnen nur sagen, es herrscht heute Morgen große Verwirrung. Wir haben ein Wahlsystem, das gerade das machen soll, was es nicht gemacht hat, nämlich ein klares Resultat erzielen. Stattdessen sitzt Gordon Brown, der schwer verloren hat während der Nacht, wieder in Downing Street und er wird jetzt eine Koalitionsregierung versuchen mit den Liberaldemokraten, die auch viel schlechter abgeschnitten haben, als man vorhergesagt hat. Cameron dagegen hat viele Siege in der Nacht gehabt, aber nicht genug Sitze, um eine Mehrheit im Parlament zu bekommen. Also große Verwirrung.
Armbrüster: Das heißt, verstehe ich Sie da richtig? Sie sagen voraus, dass Gordon Brown Premierminister bleiben wird?
Glees: Voraussichtlich - das sagt unsere Verfassung - bleibt er Premierminister, bis er zurücktreten muss, und das muss er nicht. Wenn er zusammen mit den Liberaldemokraten eine Regierung bilden kann, dann kann Gordon Brown noch fünf Jahre in Downing Street sitzen. Und wenn man im Fernsehen sein lächelndes Gesicht sieht, das lächelnde Gesicht von Lord Mandelson und in das tiefe und traurige Gesicht von David Cameron blickt, dann ist es klar, dass Gordon Brown meint, er hat eine Chance.
Armbrüster: Warum sollten denn die Liberaldemokraten hierbei mitmachen? Sie könnten ja auch David Cameron unterstützen.
Glees: Ja, aber David Cameron hat sich da fest eingebunden, keine Wahlreform zu haben. Gordon Brown dagegen hat gesagt, er würde eine große Wahlreform einführen, ein Proporzsystem, wie Sie es in der Bundesrepublik haben, und das könnte für lange Zeit die Liberalen in der Regierung einnehmen. Es kann Tage und Wochen dauern, bis wir die Antwort auf diese Frage haben. Für Nick Clegg könnte es wirklich die größte Chance der Liberaldemokraten in mehr als 50 Jahren sein.
Armbrüster: Ich will noch mal zurückkommen auf die Figur David Cameron. Er wurde ja in den letzten Tagen eigentlich in den Hochrechnungen immer präsentiert als der künftige Premierminister, so nach dem Motto: Irgendwie wird er es schaffen, auch mit einer Koalitionsregierung möglicherweise. Wenn er es jetzt nicht wird, was hat er falsch gemacht?
Glees: Was er falsch gemacht hat, ist, dass er den Blair-Effekt, wenn ich es so ausdrücken kann, nicht besiegen konnte. Die Wahllage stammt alles von den enormen Erfolgen, die Tony Blair in 1997 gehabt hat. Blair hat das politische Gesicht Großbritanniens geändert und auch mit einem großen Schwung zu den Konservativen von so ungefähr sechs Prozent, wie man heute Morgen ausrechnet, ist das nicht genug, den Blair-Effekt zurückzurollen. Dass die Mehrheit der Briten geglaubt hat, Cameron wäre der nächste Premierminister, das scheint klar zu sein. Prozentual hat er es gut getan, 37 Prozent der Stimmen gegen Labours 30 Prozent der Stimmen, aber es war nicht genug.
Armbrüster: Wenn es nun tatsächlich zu einer Koalitionsregierung kommt, das sind die Briten ja nicht besonders gewöhnt. Wie kommt so etwas an in der Bevölkerung?
Glees: Ich glaube, es wird sehr schlecht ankommen. Die Briten sind gute Sportler und im Sport gibt es immer einen Sieger und einen Verlierer. Ich glaube, die Briten werden sagen, Cameron hat gewonnen. Er hat mehr Stimmen gehabt, und ein System, das mehr Stimmen, aber weniger Sitze hat, wo es so wenige Sitze gibt, das ist ein schlechtes System. Aber um das System zu ändern, muss man eine labour-liberaldemokratische Regierung haben. Das wird nicht mit den Konservativen gehen. Es kann sein, dass die Tories heute Morgen einen großen Wechsel in ihrer Politik machen und den Liberaldemokraten auch eine Koalition anbieten werden. Aber wissen Sie, in vielen Punkten sind die Liberaldemokraten der Labour-Partei näher als den Konservativen, in Europa, um ein großes Beispiel zu nehmen.
Armbrüster: In diesem Wahlkampf - und Sie haben es auch angesprochen - wurde eine Menge geredet über dieses britische Wahlsystem, dieses Mehrheitswahlrecht, und vor allem darüber, wie es kleine Parteien benachteiligt. Wir sehen das ja auch jetzt sehr schön bei den Liberaldemokraten wieder. Wird dieses System jetzt reformiert, gibt es dafür eine Chance?
Glees: Ja. Ich glaube, es gibt eine Chance. Wenn Brown so gerne die Macht haben möchte, dass er diese grundlegende Wahlreform den Liberaldemokraten anbieten wird, dann wird Clegg bestimmt ja sagen müssen. Er wird nicht populär sein, wenn er ja sagt, aber das wird, ich glaube, die große Veränderung. Sonst, wenn wir diese Wahlreform nicht haben und die Stimmen so liegen, wie sie heute Morgen zu liegen scheinen, dann wird die Königin auch direkt in die Tagespolitik eingebracht, denn letzten Endes entscheidet die Königin, wer der nächste Premierminister sein wird. Gordon Brown muss erst zurücktreten. Er ist Premierminister, bis er zurücktritt. Und wenn er nicht zurücktreten möchte, dann kann eine große Parlamentskrise in Großbritannien ausbrechen.
Armbrüster: Die Unterhauswahl wird uns also sicher noch einige Zeit beschäftigen. Einschätzungen waren das von Anthony Glees, Politikwissenschaftler an der Universität von Buckingham. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Glees.
Glees: Gerne geschehen.
Anthony Glees: Guten Morgen!
Armbrüster: Herr Glees, ein Parlament ohne klare Mehrheit, ist das ein Epochenwechsel in der britischen Politik?
Glees: Ich kann Ihnen nur sagen, es herrscht heute Morgen große Verwirrung. Wir haben ein Wahlsystem, das gerade das machen soll, was es nicht gemacht hat, nämlich ein klares Resultat erzielen. Stattdessen sitzt Gordon Brown, der schwer verloren hat während der Nacht, wieder in Downing Street und er wird jetzt eine Koalitionsregierung versuchen mit den Liberaldemokraten, die auch viel schlechter abgeschnitten haben, als man vorhergesagt hat. Cameron dagegen hat viele Siege in der Nacht gehabt, aber nicht genug Sitze, um eine Mehrheit im Parlament zu bekommen. Also große Verwirrung.
Armbrüster: Das heißt, verstehe ich Sie da richtig? Sie sagen voraus, dass Gordon Brown Premierminister bleiben wird?
Glees: Voraussichtlich - das sagt unsere Verfassung - bleibt er Premierminister, bis er zurücktreten muss, und das muss er nicht. Wenn er zusammen mit den Liberaldemokraten eine Regierung bilden kann, dann kann Gordon Brown noch fünf Jahre in Downing Street sitzen. Und wenn man im Fernsehen sein lächelndes Gesicht sieht, das lächelnde Gesicht von Lord Mandelson und in das tiefe und traurige Gesicht von David Cameron blickt, dann ist es klar, dass Gordon Brown meint, er hat eine Chance.
Armbrüster: Warum sollten denn die Liberaldemokraten hierbei mitmachen? Sie könnten ja auch David Cameron unterstützen.
Glees: Ja, aber David Cameron hat sich da fest eingebunden, keine Wahlreform zu haben. Gordon Brown dagegen hat gesagt, er würde eine große Wahlreform einführen, ein Proporzsystem, wie Sie es in der Bundesrepublik haben, und das könnte für lange Zeit die Liberalen in der Regierung einnehmen. Es kann Tage und Wochen dauern, bis wir die Antwort auf diese Frage haben. Für Nick Clegg könnte es wirklich die größte Chance der Liberaldemokraten in mehr als 50 Jahren sein.
Armbrüster: Ich will noch mal zurückkommen auf die Figur David Cameron. Er wurde ja in den letzten Tagen eigentlich in den Hochrechnungen immer präsentiert als der künftige Premierminister, so nach dem Motto: Irgendwie wird er es schaffen, auch mit einer Koalitionsregierung möglicherweise. Wenn er es jetzt nicht wird, was hat er falsch gemacht?
Glees: Was er falsch gemacht hat, ist, dass er den Blair-Effekt, wenn ich es so ausdrücken kann, nicht besiegen konnte. Die Wahllage stammt alles von den enormen Erfolgen, die Tony Blair in 1997 gehabt hat. Blair hat das politische Gesicht Großbritanniens geändert und auch mit einem großen Schwung zu den Konservativen von so ungefähr sechs Prozent, wie man heute Morgen ausrechnet, ist das nicht genug, den Blair-Effekt zurückzurollen. Dass die Mehrheit der Briten geglaubt hat, Cameron wäre der nächste Premierminister, das scheint klar zu sein. Prozentual hat er es gut getan, 37 Prozent der Stimmen gegen Labours 30 Prozent der Stimmen, aber es war nicht genug.
Armbrüster: Wenn es nun tatsächlich zu einer Koalitionsregierung kommt, das sind die Briten ja nicht besonders gewöhnt. Wie kommt so etwas an in der Bevölkerung?
Glees: Ich glaube, es wird sehr schlecht ankommen. Die Briten sind gute Sportler und im Sport gibt es immer einen Sieger und einen Verlierer. Ich glaube, die Briten werden sagen, Cameron hat gewonnen. Er hat mehr Stimmen gehabt, und ein System, das mehr Stimmen, aber weniger Sitze hat, wo es so wenige Sitze gibt, das ist ein schlechtes System. Aber um das System zu ändern, muss man eine labour-liberaldemokratische Regierung haben. Das wird nicht mit den Konservativen gehen. Es kann sein, dass die Tories heute Morgen einen großen Wechsel in ihrer Politik machen und den Liberaldemokraten auch eine Koalition anbieten werden. Aber wissen Sie, in vielen Punkten sind die Liberaldemokraten der Labour-Partei näher als den Konservativen, in Europa, um ein großes Beispiel zu nehmen.
Armbrüster: In diesem Wahlkampf - und Sie haben es auch angesprochen - wurde eine Menge geredet über dieses britische Wahlsystem, dieses Mehrheitswahlrecht, und vor allem darüber, wie es kleine Parteien benachteiligt. Wir sehen das ja auch jetzt sehr schön bei den Liberaldemokraten wieder. Wird dieses System jetzt reformiert, gibt es dafür eine Chance?
Glees: Ja. Ich glaube, es gibt eine Chance. Wenn Brown so gerne die Macht haben möchte, dass er diese grundlegende Wahlreform den Liberaldemokraten anbieten wird, dann wird Clegg bestimmt ja sagen müssen. Er wird nicht populär sein, wenn er ja sagt, aber das wird, ich glaube, die große Veränderung. Sonst, wenn wir diese Wahlreform nicht haben und die Stimmen so liegen, wie sie heute Morgen zu liegen scheinen, dann wird die Königin auch direkt in die Tagespolitik eingebracht, denn letzten Endes entscheidet die Königin, wer der nächste Premierminister sein wird. Gordon Brown muss erst zurücktreten. Er ist Premierminister, bis er zurücktritt. Und wenn er nicht zurücktreten möchte, dann kann eine große Parlamentskrise in Großbritannien ausbrechen.
Armbrüster: Die Unterhauswahl wird uns also sicher noch einige Zeit beschäftigen. Einschätzungen waren das von Anthony Glees, Politikwissenschaftler an der Universität von Buckingham. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Glees.
Glees: Gerne geschehen.