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"Es herrscht jetzt schon einfach Kräftemangel"

Monika Reuschenbach, Kita-Leiterin und ver.di-Mitglied, fordert einen "Tarifvertrag zur Gesundheitsförderung". Kolleginnen seien immer öfter krank, klagten über Burn-Out. Die Politik müsse trotz Geldmangels einlenken - Kinder stünden an erster Stelle.

Monika Reuschenbach im Gespräch mit Christian Schütte |
    Christian Schütte: "Wir gehen auf dem Zahnfleisch", klagen die Erzieher an den Kitas, und um bei diesem Bild zu bleiben: Gesund kann das nicht sein. Eben deshalb haben die Gewerkschaften zu Streiks aufgerufen. In Rheinland-Pfalz, in Hessen, in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein demonstrieren Beschäftigte von öffentlichen Kindertagesstätten, Sozialdiensten und Jugendämtern für bessere Arbeitsbedingungen und für mehr Gehalt. Andere Bundesländer ziehen kommende Woche nach. Heute ist Kiel eines der Hauptzentren des Streiks.
    Mitgehört hat Monika Reuschenbach. Sie ist Erzieherin und stellvertretende Kita-Leiterin in Oberhausen und zudem Vorsitzende der für den Bezirk Mülheim-Oberhausen zuständigen Fachkommission der Gewerkschaft Verdi. Guten Tag, Frau Reuschenbach.

    Monika Reuschenbach: Guten Tag, Herr Schütte.

    Schütte: Die Situation an den Kitas hat sich verschlechtert: weniger Personal, weniger Lohn, immer höhere Erwartungen auch an die Erzieherinnen und Erzieher. Wie bekommen Sie das konkret in Ihrer Kindertagesstätte zu spüren?

    Reuschenbach: Die Krankenstände haben sich erhöht, und das ist verbreitet festzustellen, dass Kolleginnen zum einen über physische Erkrankungen sich krank melden, aber auch durch psychische Belastungen. Das Burnout-Syndrom wird vermehrt genannt. Also es ist schon deutlich gestiegen.

    Schütte: Was hat aus Ihrer Sicht dazu geführt? Woran krankt es, woran fehlt es?

    Reuschenbach: Wir haben durch das neue Kinderbildungsgesetz eine erhöhte Anzahl Kinder in den einzelnen Einrichtungen, was auch richtig und gut ist, dass die Betreuungsangebote ausgebaut werden. Aber es muss auch gleichzeitig entsprechend Personal zur Verfügung stehen, und das ist häufig besonders in den Mittagszeiten nicht der Fall. Kinder unter drei brauchen eine erhöhte Betreuung, die brauchen Zuwendung, die brauchen Aufmerksamkeit, die müssen gewickelt werden, die werden schlafen gelegt, die essen in den Einrichtungen, und da braucht man das Personal und auch die Zeit, um dem gerecht zu werden.

    Schütte: Können wir daraus schließen, so wie die Situation im Moment ist, sind die öffentlichen Kitas in Deutschland eigentlich nicht mehr als Verwahrungsanstalten für Kinder?

    Reuschenbach: Wir hoffen es nicht, weil Erzieherinnen lieben ihren Beruf und die wollen den Qualitätsanspruch wahren. Die wollen ihre Professionalität zeigen und da auch in der Einrichtung und in der Arbeit mit dem Kind beweisen.

    Schütte: Wie hat es überhaupt so weit kommen können? Wer hat da Schuld?

    Reuschenbach: Die Schuldfrage in NRW, würde ich jetzt so beantworten, ist dem Minister Laschet zuzuschreiben. Er hat durch das neue Kinderbildungsgesetz schon auch veranlasst, dass viele Kritik geäußert wurde.

    Schütte: Gehen wir einmal auf die Forderungen ein, Frau Reuschenbach. Sie fordern bessere Gesundheitsbedingungen. Das löst aber zunächst noch nicht einmal das Problem, dass es offenbar zu wenig Personal gibt.

    Reuschenbach: Nein und das wird natürlich zunehmend auch schwieriger, weil es herrscht jetzt schon einfach Kräftemangel und wir haben große Befürchtungen, dass sich das noch weiter verstärkt. Das bedeutet natürlich nachfolgend eine noch höhere Belastung in den Kindertageseinrichtungen.

    Schütte: Aber da haben Sie im Moment keine Möglichkeiten, irgendwie einen Hebel anzusetzen, oder?

    Reuschenbach: Ja. Wir hoffen ja stark, dass Einsicht herrscht, dass wir A durch den Tarifvertrag zur Gesundheitsförderung entlastende Maßnahmen am Arbeitsplatz schaffen, dass Kolleginnen auch wieder gesund bis ins Rentenalter arbeiten können und dass der Beruf dadurch auch angestrebt wird, und zum anderen auch, dass wir uns in der richtigen Entgeltgruppe wiederfinden, dass auch damit der Lebensunterhalt bestritten werden kann.

    Schütte: Wie realistisch diese Forderungen durchzusetzen sind, darüber reden wir gleich noch. Zunächst noch mal zu den Gesundheitsbedingungen selber. Was konkret fordern Sie da für die Kitas, für die Erzieherinnen und Erzieher?

    Reuschenbach: Dass jeder Platz auch untersucht wird, aber dass dann auch Veränderungen vom Arbeitgeber durchgeführt werden. Ich mache es mal an einem Beispiel deutlich: Lärm spielt eine große Rolle in Kindertageseinrichtungen. Der Lärmpegel ist sehr hoch. Das kann durch einfache Maßnahmen auch verhindert werden, zum Beispiel durch schallschluckende Deckenverkleidung. Wenn das aber einmal angebracht ist, dann ist es aber auch notwendig, dass beim nächsten Mal, wenn es mal renoviert wird, diese schallschluckenden Decken nicht von einem Preiswertanbieter bearbeitet werden, wo der Maler das dann mit einem Anstrich wieder hinfällig macht. Denn wenn der Anstrich dieser Decken nicht entsprechend ist, dann hat die Decke keine Wirkung mehr.

    Schütte: Das wäre ein Beispiel, wie sich die Situation verändern lassen könnte. Jetzt lassen Sie uns noch einmal über die politische Situation reden. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hat mit Unverständnis reagiert, fragt sich, warum die Gewerkschaften Tarifverhandlungen für gescheitert erklärt hätten, schließlich gebe es ja einen weiteren Termin für Gespräche, nämlich den 27. Mai. Wie weit liegen Gewerkschaften und Arbeitgeber aus Ihrer Sicht eigentlich auseinander?

    Reuschenbach: Ich halte das auch für eine Verzögerungstaktik und finde es schade, dass die Arbeitgeber da nicht auf die Forderungen der Gewerkschaft eingehen.

    Schütte: Die Arbeitgeber sagen, der ganze Streik ist jetzt illegal.

    Reuschenbach: Das würde ich nicht so betrachten, weil mir wurde sehr deutlich durch das Ergebnis der Urabstimmung mit fast 90 Prozent der Kolleginnen, die dem zugestimmt haben, signalisiert, dass da eindeutig hintergestanden wird.

    Schütte: Was wollen Sie erreichen bis zum 27. Mai, wenn die Gespräche weitergehen?

    Reuschenbach: Dass wir einen Tarifvertrag zur Gesundheitsförderung bekommen.

    Schütte: In dem was drinstehen soll?

    Reuschenbach: Dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, jeden einzelnen Arbeitsplatz zu untersuchen und auch entsprechende Veränderungen veranlasst werden, um gesundheitsschädliche Faktoren zu verändern.

    Schütte: Was natürlich dann in der Summe Geld kostet. Bund, Länder, aber eben auch Kommunen werden angesichts der Rezession in den kommenden Jahren deutlich weniger Steuergelder zur Verfügung haben. Wir hatten ja gestern das Ergebnis des Arbeitskreises Steuerschätzung. Da fehlen Milliarden. Die Gemeinden können kein Geld ausgeben, was sie nicht haben.

    Reuschenbach: Ja und das ist richtig und das wird zunehmend dann auf uns zurückfallen, weil gerade die armen Kommunen haben es dann umso schwieriger.

    Schütte: Das heißt, Sie streiken, aber eigentlich ohne viel Optimismus, etwas verändern zu können?

    Reuschenbach: Das hoffe ich nicht, weil ich hoffe ja, dass ein Einsehen und Einlenken erfolgt, und ich glaube auch, dass genug Geld da ist, denn wenn für Banken Pakete mit Gelderleichterungen geschnürt werden, dann muss das auch für die Kindertageseinrichtungen und für die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen gelten, denn Kinder sind unser höchstes Gut und stehen an erster Stelle, und da muss Politik einfach auch ein Einlenken zeigen.

    Schütte: Monika Reuschenbach von der Gewerkschaft Verdi. Sie ist selbst Erzieherin und stellvertretende Kita-Leiterin in Oberhausen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Reuschenbach: Ich bedanke mich, Herr Schütte.