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"Es ist auch ein Stück Generationengerechtigkeit"

Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, unterstreicht die Notwendigkeit einer Schuldenbremse für die Bundesrepublik. Wann, wenn nicht jetzt, solle man klar machen, dass es nach der Krise so nicht weitergehen könne, fragt Oppermann.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Oppermann!

    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Wie viele Abgeordnete Ihrer Fraktion werden der Verfassungsänderung ihre Stimme verweigern?

    Oppermann: Es wird einige Gegenstimmen geben. Bei Verfassungsänderungen überlegen die Abgeordneten immer sehr genau, wie sie sich entscheiden. Am Ende aber wird die Fraktion mit großer Geschlossenheit der Schuldenbremse und der Verfassungsänderung zustimmen. Und sie wird dann rechtzeitig in Kraft treten.

    Klein: Wie viel sind einige? 20 oder mehr?

    Oppermann: Darüber spekuliere ich vorher nie. Wir haben mit allen gesprochen und bis zuletzt versucht, alle zu überzeugen. Es geht ja um ein wichtiges Projekt. Es geht um eine Selbstfestlegung, es geht darum, dass wir uns als Haushaltsgesetzgeber beschränken, künftig beschränken, nicht mehr grenzenlos Schulden zu machen wie in der Vergangenheit. Der Staat ist in Deutschland mit 1,5 Billionen Euro verschuldet, und das schränkt die Möglichkeiten des Staates enorm ein, Bildung, Forschung und Infrastruktur zu finanzieren. Allein die Zinslast aus diesen Schulden für den Bundeshaushalt sind 42 Milliarden Euro jedes Jahr. …

    Klein: Weshalb, Herr Oppermann, ist es Ihnen denn nicht gelungen, mit diesen Argumenten einige Teile der Fraktion zu überzeugen?

    Oppermann: Es gibt bei uns durchaus Leute, die sagen, eine Null-Komma-null-Schuldengrenze für die Länder in normalen Zeiten, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gibt es ja auch für die Länder die Möglichkeit, sich groß zu verschulden, um antizyklisch gegen Wirtschaftskrisen handeln zu können, aber dieses strukturelle Schuldenverbot für die Länder in normalen Zeiten, das dürfe der Grundgesetzgeber nicht festlegen, das können nur die Länder in ihren Verfassungen tun. Aber dem liegt ein Irrtum zugrunde, denn das Grundgesetz ist nicht die Verfassung des Bundes. Das Grundgesetz ist die Verfassung für ganz Deutschland – für den Bund, für die Länder und für die Kommunen.

    Klein: Die Abgeordneten haben ja inhaltlich Munition erhalten, unter anderem durch das Plädoyer von mehr als 60 Hochschulprofessoren jüngst, unter denen auch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger ist, die haben einen Appell an die Abgeordneten versandt und die gleiche Meinung vertreten. Weshalb hat dieser wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand für Sie wenig Gewicht?

    Oppermann: Nun, es gibt noch viel mehr Professoren, die die Schuldenbremse unterstützen. Dieses Projekt ist auch in der Wissenschaft umstritten. Aber wir sagen, es gibt politisch dazu keine Alternative. Wir müssen eine Politik der Nachhaltigkeit machen. Die künftigen Generationen haben es eh schwer genug. Sie müssen sich in der Globalisierung behaupten, sie müssen unsere Sozialversicherungssysteme tragen und finanzieren, sie müssen noch besser ausgebildet sein als wir, um erfolgreich sein zu können. Und dann dürfen wir ihnen nicht noch diese gewaltige Schuldenlast mit auf den Weg geben, sozusagen als Rucksack, als Beschwernis. Und ich finde, es ist auch ein Stück Generationengerechtigkeit, und da finde ich die Einwände der Professoren, die akademischen Einwände der Professoren nicht so überzeugend.

    Klein: Aber die argumentieren ja eigentlich genau so, kommen nur zu einem anderen Ergebnis und sagen, die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Zukunft unserer Kinder sind eben gerade dadurch gefährdet, wenn man sich jetzt auf Schuldenabbau fixiert. Diesen Argumenten müssen Sie ja etwas entgegensetzen.

    Oppermann: Nun, wir haben uns doch in den letzten Jahren auch um Schuldenabbau bemüht und sind dabei sogar erfolgreich gewesen. Peer Steinbrück hatte es ja geschafft, die Einnahmen und Ausgaben fast auszugleichen. Wir haben das in der Tat ohne Schuldenbremse geschafft. Aber in langen Zeiten, in den zurückliegenden Jahrzehnten hatte sich die Politik dran gewöhnt, immer mit gewissen Schuldenständen zu arbeiten. Das war sozusagen eine Begleiterscheinung der jährlichen Haushalte. Und damit soll es vorbei sein. Die Schuldenbremse ist auch ein Paradigmenwechsel.

    Klein: Aber wie wollen Sie das den Bürgern wiederum erklären, zwei Tage, nachdem Ihre Regierung einen weiteren Nachtragshaushalt beschlossen hat, mit dem Ergebnis der größten Staatsverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik? Weshalb soll nachfolgenden Generationen das verwehrt bleiben, was Sie nun auch wiederum in Anspruch genommen haben?

    Oppermann: Ja, weil gerade die riesigen Schulden, die wir jetzt aufnehmen müssen, weil in der Wirtschaftskrise die Einnahmen wegbrechen, der Staat aber nicht massiv kürzen darf, denn er muss ja die Wirtschaft jetzt automatisch stabilisieren, gerade diese enormen Kreditaufnahmen, die sind doch kein Argument gegen die Schuldenbremse, sondern die sind doch viel mehr ein Argument für die Schuldenbremse. Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir die Schuldenbremse einführen, um klarzumachen, dass wir so nicht auf Dauer weitermachen können, um auch die Illusion zu zerstören, dass es nach der Krise einfach so weitergehen könnte mit staatlichen Krediten in dieser Größenordnung. Und im Übrigen, in wirtschaftlich schweren Krisen und bei Naturkatastrophen kann der Staat auch bei der Schuldenbremse, wie wir sie heute im Bundestag verabschieden werden, selbstverständlich Kredite aufnehmen und ist beweglich und kann antizyklisch handeln.

    Klein: Eine andere Argumentation der Kritiker lautet ja, bei dem Versuch, andere Themen zu Staatszielen mit Verfassungsrang zu erklären, da heißt es dann häufig und heißt es in diesem Fall auch wiederum, es sei vielleicht wünschenswert, aber das ließe sich auch einfach per Gesetz regeln, nicht alles, was sein soll, muss Verfassungsrang haben.

    Oppermann: Ja, da haben die Kritiker, die das bemängeln, sogar recht. Wir bemühen uns ja, zum Beispiel Kinderrechte in der Verfassung zu verankern. Wir sind der Meinung, dass Kinder als Persönlichkeiten und Individuen besser geschützt werden müssen, manchmal auch gegen die eigenen Eltern und Erziehungsberechtigten. Und ich finde es sehr bedauerlich, dass es nicht gelingt, die CDU/CSU davon zu überzeugen, die Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen.

    Klein: Aber das erklärt jetzt nicht, weshalb es zwingend sein muss, die Schuldenbremse in die Verfassung aufzunehmen.

    Oppermann: Die Schuldenbremse ist eine ganz wichtige Grundregel für unser politisches Gemeinwesen. Wir haben im Übrigen schon jetzt eine Schuldenbremse in der Verfassung. In Artikel 115 Grundgesetz ist geregelt, dass der Staat nicht mehr Schulden machen darf, als er eigenfinanzierte Investitionen im Haushalt hat. Diese Schuldenbremse hat nicht funktioniert, aber daraus den Schluss zu ziehen, dass die neue Schuldenbremse nur ein einfaches Gesetz sein darf, das der Haushaltsgesetzgeber sozusagen nach Belieben jedes Jahr bei der Verabschiedung des Haushaltes ändern und seinen jeweiligen haushaltspolitischen Bedürfnissen anpassen kann, das wäre dann keine Schuldenregel mehr, das wäre nur noch ein unverbindlicher Appell.

    Klein: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat bereits angekündigt, er wird heute auch gegen diese Schuldenbremse stimmen und sein Argument ist eben, man sollte bitte nicht diese konkreten Details in der Verfassung festlegen, wenn es sozusagen auch um Eurobeträge geht. Hat er da recht?

    Oppermann: Herr Lammert wird sich das sicherlich noch gut überlegen, ob er so abstimmt, nach dem, was Herr Kauder, Herr Röttgen und auch Herr Ramsauer da vorhin in Ihrem Beitrag gesagt haben. Im Übrigen geht es Herrn Lammert in erster Linie um die Ästhetik der Verfassung. Ihm ist der Text zu lang, aber wir sagen, das muss präzise geregelt werden oder gar nicht. Bei uns heißt es: Präzision vor Schönheit.

    Klein: Ihr Parteifreund, Herr Oppermann, Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck, möchte über den Bundesrat eine Lockerung der Schuldenbremse für die Länder erreichen. Wie stehen Sie dazu?

    Oppermann: Nun, der Bund behält ja nach der vorgesehenen Regelung eine strukturelle Verschuldungsmöglichkeit in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, das entspricht ungefähr acht Milliarden Euro pro Jahr. Im Vergleich dazu, im laufenden Jahr nehmen wir fast 50 Milliarden Euro Schulden auf für den Bund. Die Länder hingegen haben 0,0. Vorgesehen war ursprünglich für die Länder 0,15 Prozent in normalen Zeiten, das entspricht einem Betrag von drei Milliarden Euro für alle 16 Bundesländer. Und in einer Kompromissbildung haben sich die Länder auf 0,0 Prozent verständigt. Wenn dort jetzt der Wunsch besteht, um einen flexibleren Übergang zu bekommen, doch wieder auf die 0,15 zu gehen und sich dafür im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit findet, dann könnte man den Verfassungstext noch ändern. Dann wären wir dazu bereit, diesem Wunsch der Länder zu entsprechen. Wir haben ja die strukturelle Verschuldungsmöglichkeit für den Bund, dann können wir sie auch für die Länder nicht verweigern.

    Klein: Thomas Oppermann, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion zur Abstimmung heute zur Verfassungsänderung im Bundestag mit Blick auf die Schuldenbremse. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Oppermann!

    Oppermann: Ich danke auch, auf Wiederhören!