Donnerstag, 25. April 2024

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"Es ist definitiv menschgemacht"

Die Polregionen haben sich nach den Erfahrungen des Forschers und Polarreisenden Arved Fuchs in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Die Folgend des Klimawandels seien mit bloßem Auge sichtbar: Der Permafrostboden taue auf, Siedlungen rutschten ab ins Meer, eine Zunahme von Seegang und Wellenschlag öffne der Erosion Tür und Tor. Fuchs fordert deshalb dringend Maßnahmen, um eine weitere Beschleunigung dieser Prozesse noch zu verhindern

Moderation: Dirk Müller | 01.03.2007
    Dirk Müller: Bis zu minus 50 Grad, eisige Winde, von der Sonne monatelang keine Spur. Die beiden Pole Arktis im Norden und Antarktis im Süden. Es ist weit mehr als nur Forschungsinteresse, wenn heute offiziell das internationale Polarjahr ausgerufen wird. Die Pole sind entscheidender Faktor für Klima, Meeresströmungen und Ökosysteme. Eine wissenschaftliche Offensive in den nächsten Monaten soll dazu beitragen, die spezifischen Bedingungen und Entwicklungen des ewigen Eises besser kennen zu lernen, noch mehr Informationen zum Klimawandel zu bekommen, bevor das Eis möglicherweise - so ist es jedenfalls prognostiziert - verschwindet. Am Telefon ist nun der Abenteurer, Forschungsreisende und Poldurchquerer Arved Fuchs. Herr Fuchs, das Eis der Pole ist ja in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten nahezu zu Ihrem Wohnzimmer geworden. Haben Sie die Befürchtung, bei Ihrer nächsten Expedition regelrecht einzubrechen?

    Arved Fuchs: Ja, das kann man wohl so formulieren. Die Veränderungen, die sich dort abzeichnen, sind nicht nur mit aufwändigen wissenschaftlichen Messungen feststellbar, sondern sie sind wirklich visuell feststellbar und das schon seit Jahren. Das ist etwas, was einem wirklich das Gefühl der Ohnmacht beschert. Diese Veränderungen sind so dramatisch - und zwar in allen Bereichen dort oben -, dass man sie wirklich nicht mehr ignorieren kann.

    Müller: Sie haben ja mit Skiern, Sie haben zu Fuß, Sie haben auch mit Hundeschlitten beide Pole durchquert. Was haben Sie gesehen?

    Fuchs: Um es zu präzisieren: Ich bin seit fast 30 Jahren dort in diesen Regionen unterwegs. Aber gerade in der letzten Dekade oder seit Anfang 2000 kann man sagen sind diese Veränderungen überall sichtbar. Ob es die Gletscher sind, die sich wirklich dramatisch zurückziehen, oder wie wir ja auch eben im Beitrag gehört haben, dass sie ihre Geschwindigkeit verdoppeln, dass sich das Polareis weit zurückzieht. Man kann also heute mit Schiffen beispielsweise in der Nordwestpassage fahren, wo wir selbst Anfang 2000 noch große Schwierigkeiten hatten, mit einem Schiff durchzufahren. Das ist sozusagen fast zu einer Bagatelle geworden, dort heute durchzufahren, weil sich das Eis innerhalb weniger Jahre so weit zurückgezogen hat. Der Permafrostboden taut auf, Siedlungen rutschen ab ins Meer. Das Meer ist über einen längeren Zeitraum eisfrei. Es entsteht mehr Seegang und Wellenschlag und dergleichen, was dann der Erosion Tür und Tor öffnet. Also es ist so eine ganze Kettenreaktion, die sich dort abzeichnet, und die indigenen Völker, die dort oben leben, sind natürlich die ersten Menschen dieser Erde, die die unmittelbaren Auswirkungen dieses Global Warmings zu ertragen haben.

    Müller: Nun könnte man auf der anderen Seite aus Ihrer Sicht ja sagen, die Begehbarkeit, die Zugänglichkeit hat sich vereinfacht. Oder stimmt das nicht?

    Fuchs: Das wäre aber sehr zynisch gesagt, wenn ich daraus einen Nutzen ziehen wollte, dass ich sage, ich komme jetzt weiter nach Norden mit einem Schiff. Zu Fuß übers Eis zu laufen, wird zunehmend riskanter und zunehmend schwerer, weil sich immer mehr Wasserflächen dort oben auftun, selbst während der kalten Jahreszeit. Es wäre eigentlich der Gipfel des Zynismus, wenn ich sagen würde: Das ist großartig, ich komme jetzt weiter heran. Ich fahre dort oben hin, weil mir diese Landschaften von jeher sehr viel bedeutet haben und ich diese Natur in ihrem ganzen Spektrum, in ihrer ganzen Gewaltigkeit einfach auch immer bewundert habe. Wenn sich dann in einer solch kurzen Zeitspanne - klimatologisch gesehen ist das ja nicht einmal ein Wimpernschlag - so viel verändert, dann ist das etwas, was einen nachhaltig sehr, sehr nachdenklich macht und sehr, sehr sorgenvoll.

    Müller: Aus Ihren empirischen Beobachtungen heraus - Sie fassen das Eis ja regelrecht mit Füßen und Fingern an -, ist es für Sie auch ganz klar, dass das keine saisonale temporäre Entwicklung ist, dass es etwas mit dem Wetter zu tun hat? Denn viele sagen ja bei diesen kurzfristigen Geschichten wird oft Wetter mit Klima verwechselt.

    Fuchs: Ich habe seit Jahren darauf hingewiesen, dass diese Veränderungen dort oben stattfinden. Nun ist das eine sehr subjektive Wahrnehmung, aber spätestens seit in Paris der letzte IPCC-Report von der UN veröffentlicht worden ist, kann man wirklich auch all den Skeptikern sagen, die da behaupten, dass es halt immer mal Klimaschwankungen gegeben hat und dass das vielleicht eine Laune der Natur sei und dass sich das alles wieder regulieren würde, nein, es ist menschgemacht, definitiv. Wir Menschen tragen dafür Verantwortung, und wir müssen uns wirklich jetzt sputen, um dieser Entwicklung, die verhängnisvoll ist ja nicht nur für die Völker der Arktis, sondern für alle Bewohner dieses Planeten, weil es in politische, in soziale, in wirtschaftliche Bereiche hereinreicht natürlich, um dort rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Deshalb ist es überhaupt nicht damit gedient, jetzt diese Sache herunterzuspielen oder zu bagatellisieren. Ich glaube ganz definitiv, dass das eine der größten Herausforderungen ist, der wir alle uns gegenüberstehen.

    Müller: Um da auch Tacheles zu reden, Herr Fuchs. Ist das mit Verlaub politisch-idealistisch und auch ansonsten völlig naiv zu denken, man könnte noch etwas ändern?

    Fuchs: Ich kann mich da auch nur auf Aussagen von Wissenschaftlern stützen, die sagen: Wir haben etwa noch zehn Jahre Zeit. Dieser Prozess ist nicht reversibel. Wir können ihn nicht umkehren. Wir erleben jetzt ja die Folgen der Emissionen, die vor 30 Jahren etwa in die Atmosphäre gelangt sind. Das heißt das, was heute produziert wird, das kommt erst noch. Dieser Prozess ist nicht zu stoppen. Aber wenn wir nicht irgendwelche Maßnahmen ergreifen und sagen, wenn es denn so ist, dann können wir ohnehin nichts machen, dann kommt es in absehbarer Zeit - man redet so etwa in 10, 12 Jahren - zur so genannten positiven Rückkoppelung, wo sich dieser Prozess noch dramatisch verschnellern wird und damit eben auch entsprechend dieser Prozess noch viel dramatischere Züge trägt. Es gibt dort ganz viele unsichere Faktoren. Man weiß, wenn das grönländische Inlandeis abschmilzt, dass sich der Meeresspiegel um etwa sieben Meter erhöhen wird. Nun schauen Sie sich einmal die Landkarte an, was das für Küstenregionen, nicht nur für Südseeinseln, sondern beispielsweise auch für den ganzen europäischen Küstenbereich bedeuten würde. Es ist ein Riesenproblem, was da auf uns zukommt.

    Müller: Ellesmere-Island, das ist vor wenigen Monaten durch die Medien gegangen: Ein riesiger Eiskoloss, eine ganze Insel, die sich abgespalten hat vom Kontinentaleis und jetzt umherirrt. Ist das eine Entwicklung, mit der wir die nächsten Jahre nahezu täglich rechnen müssen?

    Fuchs: Ein kanadischer Wissenschaftler hat es auch so formuliert: Die Merkmale der kanadischen Arktis, die seit Tausenden von Jahren bestehen, verschwinden. Das heißt, wir sind im vergangenen Jahr genau an dieser Stelle gewesen, wo dieses Schelfeis abgebrochen ist, und wir haben die Bruchstücke dort auch in Augenschein nehmen können. Es sind ja alles Indizien. Man muss sich das wie so ein Riesenmosaik vorstellen, das sich nicht nur an einer Stelle verändert, sondern es ist, als wenn man so einen Spiegel auf den Boden wirft und er in seine Einzelteile zerplatzt. So ist eben ein einzelner Baustein auch dieses Schelfeis gewesen, was im hohen Norden abgebrochen ist. Lassen Sie mich aber auch noch ergänzen: Es ist ja nicht nur dieses Schelfeis. Das ist ja nur ein Ergebnis dieser Veränderung. Sondern wenn man dort reist im Mai, wo wir dort noch unterwegs gewesen sind, dann ist der Frühling - und das ist auch eine nachvollziehbare Tatsache - etwa um vier Wochen früher gekommen. Die ganzen Eisverhältnisse dort oben sind völlig andere geworden, als sie noch im Jahre 1989/90 gewesen sind, wo ich dort eine andere Expedition unternommen habe. Diese Ergebnisse oder diese Erscheinung findet man im arktischen Raum aller Orten.