Jasper Barenberg: Die letzte US-Kampfbrigade, sie hat vor Tagen die Grenze zu Kuwait überquert. Ohne Siegeserklärung hat Präsident Obama nun den Kampfeinsatz im Irak für beendet erklärt. Sieben Jahre nach dem Sturz der Diktatur von Saddam Hussein, nach einem Krieg mit 100.000 Toten und Millionen von Flüchtlingen überlassen die USA das Land den Irakern. Über die Perspektiven für den Irak wollen wir in den nächsten Minuten mit Hans-Christof Graf von Sponeck sprechen. Als Diplomat war er bis zum Jahr 2000 knapp zwei Jahre der höchste Repräsentant der UNO in Bagdad. Einen schönen guten Morgen, Graf von Sponeck.
Hans-Christof Graf von Sponeck: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: In Bagdad gibt es kaum Strom, es gibt zu wenig Wasser, es gibt keine Jobs und es gibt keine Sicherheit. Der Terror nimmt wieder zu. Der Abzug der US-Soldaten ist offenkundig auch von der amerikanischen Innenpolitik diktiert. Sind die USA zu früh abgezogen?
von Sponeck: Ich glaube, die Amerikaner mussten abziehen, auch aus innenpolitischen Gründen in den Vereinigten Staaten. Und wenn Präsident Obama nun vor die Weltöffentlichkeit tritt und bekannt gibt, dass Operation Freiheit für Irak zu Ende gegangen ist, und dann auch bemerkt, was natürlich richtig ist, dass die Vereinigten Staaten einen hohen Preis für diesen Einsatz, den siebenjährigen Einsatz, gezahlt haben, gar keine Frage. Viele amerikanische Soldaten sind gestorben. 32.000, so hört man, sind verletzt worden, finanzielle Kosten sind enorm. Der ehemalige Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz spricht von 3.000 Billionen (gemeint sind: Milliarden, Anm. der Redaktion) Dollar. Also, das sind enorme Kosten. Aber darf man vergessen, Herr Barenberg, wie das aussieht mit der Bilanz auf der irakischen Seite? – Ich glaube, es ist nicht sentimental, wenn man sagt, es ist ein Land am Boden. Man darf sich nicht täuschen lassen von all denen, die nun diese illegale Invasion 2003 in den Irak unterstützt haben, die nun sagen, das war es wert, der Diktator musste verschwinden. Natürlich musste dieser Diktator verschwinden. Aber wir haben doch heute eine Bilanz, die andeutet, dass im Irak mental, auch physisch, sozial, kulturell einfach ein Land auseinandergebrochen ist. Ich habe einen Fahrer, einen ehemaligen, in Bagdad, der mir vor ein paar Tagen sagte: Ich habe nur einen Wunsch, und das ist, so schnell wie möglich mein Land zu verlassen.
Barenberg: So schwierig, Graf von Sponeck, die Situation aussieht, muss man da nicht umso mehr die Frage stellen, ob es ein Stück weit vonseiten der USA auch die Flucht aus der eigenen Verantwortung ist?
von Sponeck: Ich glaube, das ist gar keine Frage. Die Amerikaner haben auch jetzt erkannt, dass sie nicht die Kapazität haben, in vielen Kriegsgebieten gleichzeitig zu operieren. Man kann nicht ein so Riesenunternehmen, wie es im Irak aufgebaut wurde, parallel laufen lassen mit einer Situation, einer ähnlichen Situation in Afghanistan. Da fehlt es schon rein an dem menschlichen Material und auch jetzt an dem Geld, um das aufrecht zu halten. Kein guter Grund, um abzuziehen.
Barenberg: Es wird schlimmer, bevor es besser werden wird. Das war ja die Militärstrategie der USA in den letzten Monaten. Sie haben einige Erfolge vorzuweisen. Die internationalen Truppen haben geschafft, einen blutigen Bürgerkrieg zumindest ein wenig einzudämmen. Können sich das die Amerikaner zugutehalten, wenn sie jetzt gehen?
von Sponeck: Das wird man versuchen, so darzustellen. Aber ich glaube, man darf in dieser Diskussion nicht vergessen, dass Operation Freiheit und das Ende dieser Operation ein Land im Trauma hinterlassen hat. Und die Hindernisse, die vor dem Irak liegen, sind, wenn ich mir das so anschaue, absolut enorm. Fragen wie, was wollen wir für ein System, säkulare oder klerikale Verwaltung. Die ganze Kurdenfrage, die immer noch ungelöst ist. Die Forderung der Kurden nach Kirkuk. Das sind alles ungelöste Probleme, die die Amerikaner dem Irak überlassen. Die Reintegration der vielen Flüchtlinge, der internen und auch der, die im Umfeld, in Syrien und in Jordanien leben. Die Verseuchung des Landes, darüber wird sehr wenig geschrieben und gesagt, aber es zeigt sich immer deutlicher an den Zahlen, die von den Medizinern veröffentlicht werden, auch von Organisationen wie der Organisation gegen Nuklearkrieg, die andeuten, dass da Schlimmes sich entwickelt. Nicht nur als Weiterführung des zweiten Golfkrieges von 1991, sondern auch durch das, was 2003 durch die amerikanischen Truppen verursacht worden ist. Das ist nicht Popularismus, was ich sage; das ist einfach eine Tatsache. Die Leukämiezahlen deuten das ganz klar.
Barenberg: Auf der anderen Seite, Graf von Sponeck, haben die Iraker es nach sechs Monaten nach den Parlamentswahlen nicht geschafft, die politischen Parteien jedenfalls nicht, eine regierungsfähige Koalition auf die Beine zu stellen.
von Sponeck: Absolut korrekt!
Barenberg: Wo liegt die Verantwortung der Iraker in der Politik, der Politiker selber für die Lage?
von Sponeck: Natürlich ist zum Schluss die politische Führung eines Landes verantwortlich für das, was dort geschieht. Aber zu diesem Zeitpunkt ist Chaos, ein politisches Chaos. Selbst die schiitischen Gruppen im irakischen Parlament sind nicht in der Lage, sich zu einer Einigung, geschweige denn zu einer Regierung der nationalen Einheit zusammenzufinden. Natürlich muss man das erwähnen, aber das ist ja alles entstanden durch eine siebenjährige Besatzung, die eben nicht an den Punkt gekommen ist am 31. August, als das Abkommen ablief, wo man sagen kann: Hier ist jetzt ein Anfang der Eigenständigkeit auf allen Gebieten, auch auf dem politischen. Also die Zukunft ist total ungewiss für den Irak.
Barenberg: Es gibt ein tiefes Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen, zwischen den Volksgruppen – Sie haben es angesprochen - zwischen den Schiiten, den Sunniten und den Kurden. Sie scheinen, den Fortschritt beim Aufbau des Landes auch zu verhindern. Was trauen Sie den irakischen Politikern zu?
von Sponeck: Ich möchte die Frage so beantworten, dass ich sage, ich traue der Bevölkerung viel zu. Ein Land, das in 30 Jahren drei Kriege, 13 Jahre Sanktionen, eine Invasion und eine Besatzung erlitten hat und immer noch versucht, wieder über den Tellerrand hinauszuschauen, zeigt, dass die Menschen dort eine Stärke haben. Leider ist es so, dass die politische Führung heute in Händen liegt, in denen sie nicht liegen sollte. Und das muss sich ändern. Ich glaube, der Irak wird neue Gesichter zeigen, vielleicht jüngere Politiker, die das anders machen wollen.
Barenberg: Vielen Dank für diese Einschätzungen. Hans-Christof Graf von Sponeck, der frühere Koordinator der UNO im Irak. Danke für das Gespräch.
von Sponeck: Bitte schön.
Hans-Christof Graf von Sponeck: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: In Bagdad gibt es kaum Strom, es gibt zu wenig Wasser, es gibt keine Jobs und es gibt keine Sicherheit. Der Terror nimmt wieder zu. Der Abzug der US-Soldaten ist offenkundig auch von der amerikanischen Innenpolitik diktiert. Sind die USA zu früh abgezogen?
von Sponeck: Ich glaube, die Amerikaner mussten abziehen, auch aus innenpolitischen Gründen in den Vereinigten Staaten. Und wenn Präsident Obama nun vor die Weltöffentlichkeit tritt und bekannt gibt, dass Operation Freiheit für Irak zu Ende gegangen ist, und dann auch bemerkt, was natürlich richtig ist, dass die Vereinigten Staaten einen hohen Preis für diesen Einsatz, den siebenjährigen Einsatz, gezahlt haben, gar keine Frage. Viele amerikanische Soldaten sind gestorben. 32.000, so hört man, sind verletzt worden, finanzielle Kosten sind enorm. Der ehemalige Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz spricht von 3.000 Billionen (gemeint sind: Milliarden, Anm. der Redaktion) Dollar. Also, das sind enorme Kosten. Aber darf man vergessen, Herr Barenberg, wie das aussieht mit der Bilanz auf der irakischen Seite? – Ich glaube, es ist nicht sentimental, wenn man sagt, es ist ein Land am Boden. Man darf sich nicht täuschen lassen von all denen, die nun diese illegale Invasion 2003 in den Irak unterstützt haben, die nun sagen, das war es wert, der Diktator musste verschwinden. Natürlich musste dieser Diktator verschwinden. Aber wir haben doch heute eine Bilanz, die andeutet, dass im Irak mental, auch physisch, sozial, kulturell einfach ein Land auseinandergebrochen ist. Ich habe einen Fahrer, einen ehemaligen, in Bagdad, der mir vor ein paar Tagen sagte: Ich habe nur einen Wunsch, und das ist, so schnell wie möglich mein Land zu verlassen.
Barenberg: So schwierig, Graf von Sponeck, die Situation aussieht, muss man da nicht umso mehr die Frage stellen, ob es ein Stück weit vonseiten der USA auch die Flucht aus der eigenen Verantwortung ist?
von Sponeck: Ich glaube, das ist gar keine Frage. Die Amerikaner haben auch jetzt erkannt, dass sie nicht die Kapazität haben, in vielen Kriegsgebieten gleichzeitig zu operieren. Man kann nicht ein so Riesenunternehmen, wie es im Irak aufgebaut wurde, parallel laufen lassen mit einer Situation, einer ähnlichen Situation in Afghanistan. Da fehlt es schon rein an dem menschlichen Material und auch jetzt an dem Geld, um das aufrecht zu halten. Kein guter Grund, um abzuziehen.
Barenberg: Es wird schlimmer, bevor es besser werden wird. Das war ja die Militärstrategie der USA in den letzten Monaten. Sie haben einige Erfolge vorzuweisen. Die internationalen Truppen haben geschafft, einen blutigen Bürgerkrieg zumindest ein wenig einzudämmen. Können sich das die Amerikaner zugutehalten, wenn sie jetzt gehen?
von Sponeck: Das wird man versuchen, so darzustellen. Aber ich glaube, man darf in dieser Diskussion nicht vergessen, dass Operation Freiheit und das Ende dieser Operation ein Land im Trauma hinterlassen hat. Und die Hindernisse, die vor dem Irak liegen, sind, wenn ich mir das so anschaue, absolut enorm. Fragen wie, was wollen wir für ein System, säkulare oder klerikale Verwaltung. Die ganze Kurdenfrage, die immer noch ungelöst ist. Die Forderung der Kurden nach Kirkuk. Das sind alles ungelöste Probleme, die die Amerikaner dem Irak überlassen. Die Reintegration der vielen Flüchtlinge, der internen und auch der, die im Umfeld, in Syrien und in Jordanien leben. Die Verseuchung des Landes, darüber wird sehr wenig geschrieben und gesagt, aber es zeigt sich immer deutlicher an den Zahlen, die von den Medizinern veröffentlicht werden, auch von Organisationen wie der Organisation gegen Nuklearkrieg, die andeuten, dass da Schlimmes sich entwickelt. Nicht nur als Weiterführung des zweiten Golfkrieges von 1991, sondern auch durch das, was 2003 durch die amerikanischen Truppen verursacht worden ist. Das ist nicht Popularismus, was ich sage; das ist einfach eine Tatsache. Die Leukämiezahlen deuten das ganz klar.
Barenberg: Auf der anderen Seite, Graf von Sponeck, haben die Iraker es nach sechs Monaten nach den Parlamentswahlen nicht geschafft, die politischen Parteien jedenfalls nicht, eine regierungsfähige Koalition auf die Beine zu stellen.
von Sponeck: Absolut korrekt!
Barenberg: Wo liegt die Verantwortung der Iraker in der Politik, der Politiker selber für die Lage?
von Sponeck: Natürlich ist zum Schluss die politische Führung eines Landes verantwortlich für das, was dort geschieht. Aber zu diesem Zeitpunkt ist Chaos, ein politisches Chaos. Selbst die schiitischen Gruppen im irakischen Parlament sind nicht in der Lage, sich zu einer Einigung, geschweige denn zu einer Regierung der nationalen Einheit zusammenzufinden. Natürlich muss man das erwähnen, aber das ist ja alles entstanden durch eine siebenjährige Besatzung, die eben nicht an den Punkt gekommen ist am 31. August, als das Abkommen ablief, wo man sagen kann: Hier ist jetzt ein Anfang der Eigenständigkeit auf allen Gebieten, auch auf dem politischen. Also die Zukunft ist total ungewiss für den Irak.
Barenberg: Es gibt ein tiefes Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen, zwischen den Volksgruppen – Sie haben es angesprochen - zwischen den Schiiten, den Sunniten und den Kurden. Sie scheinen, den Fortschritt beim Aufbau des Landes auch zu verhindern. Was trauen Sie den irakischen Politikern zu?
von Sponeck: Ich möchte die Frage so beantworten, dass ich sage, ich traue der Bevölkerung viel zu. Ein Land, das in 30 Jahren drei Kriege, 13 Jahre Sanktionen, eine Invasion und eine Besatzung erlitten hat und immer noch versucht, wieder über den Tellerrand hinauszuschauen, zeigt, dass die Menschen dort eine Stärke haben. Leider ist es so, dass die politische Führung heute in Händen liegt, in denen sie nicht liegen sollte. Und das muss sich ändern. Ich glaube, der Irak wird neue Gesichter zeigen, vielleicht jüngere Politiker, die das anders machen wollen.
Barenberg: Vielen Dank für diese Einschätzungen. Hans-Christof Graf von Sponeck, der frühere Koordinator der UNO im Irak. Danke für das Gespräch.
von Sponeck: Bitte schön.