Sonntag, 28. April 2024

Archiv


"Es ist ein Schnellschuss"

Einen Schnellschuss und nicht mit der europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar nennt Strafrechtler Dünkel den Kompromiss der Regierungskoalition in der Debatte um die Sicherungsverwahrung. Für ihn ist dieser "bloß symbolische Gesetzgebung, die keinen Sinn macht."

Frieder Dünkel im Gespräch mit Christian Bremkamp | 27.08.2010
    Christian Bremkamp: Wochenlang gab es Streit darüber, was künftig mit Schwerverbrechern geschehen soll, die aus der nachträglichen Sicherungsverwahrung entlassen werden, entlassen werden müssen. Hintergrund: ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das diese nachträgliche Sicherungsverwahrung gekippt hatte. Gestern einigten sich Union und FDP auf einen Kompromiss. Danach sollen besonders gefährliche Straftäter künftig in speziellen Einrichtungen mit therapeutischer Betreuung untergebracht werden, losgelöst vom regulären Strafvollzug. Die Reaktionen auf diese Einigung fallen unterschiedlich aus.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Frieder Dünkel. Er ist Strafrechtler und Kriminologe an der Universität Greifswald und hat sich eingehend mit dem Thema Sicherungsverwahrung beschäftigt. Guten Tag, Herr Dünkel.

    Frieder Dünkel: Ja, guten Tag. Hallo!

    Bremkamp: Unterbringung in speziellen Einrichtungen, die es noch gar nicht gibt – ein Kompromiss, dem Sie zustimmen können?

    Dünkel: Nein, überhaupt nicht. Es ist ein Schnellschuss, der völlig daneben liegt und der auch mit der europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar sein wird. Also es wird dann in einigen Jahren spätestens die nächste Verurteilung gegen Deutschland geben, weil es nicht menschenrechtskonform sein wird.

    Bremkamp: Ein Schnellschuss, der völlig daneben liegt. Wie hätte Ihre Alternative ausgesehen?

    Dünkel: Es gibt hier keine Lösung, keine zufriedenstellende Lösung, wie schon in den vorigen Beiträgen gesagt wurde. Das eigentliche Problem liegt darin, dass die Landesjustizverwaltungen es versäumt haben, diese Fälle rechtzeitig vorzubereiten auf die Freiheit. Wir haben schon in einem Greifswalder Appell im Mai des Jahres, den wir in kurzer Zeit verfasst und von mehr als 100 Wissenschaftlern unterschrieben bekommen haben, darauf hingewiesen, dass schon im Dezember spätestens klar war, dass die Altfälle zu entlassen sind, wenn man menschenrechtskonform den Vollzug gestalten will. Ich sehe auch eine gute Chance, das so zu machen, wie das Bundesjustizministerium das ursprünglich vorgesehen hat, dass man mit elektronischer Fußfessel und einem eng gestrickten Weisungssystem die Leute entlassen kann. Es sind ja schon einige entlassen, die laufen ja auch einigermaßen. Also es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Wir müssen aber einfach auch sehen: Die Debatte wird eigentlich völlig falsch geführt. Es ist anzunehmen nach allen empirischen Studien, dass die Leute eigentlich gar nicht gefährlich sind. 95 Prozent werden nicht rückfällig werden.

    Bremkamp: Da gibt es aber Stimmen, die behaupten das Gegenteil.

    Dünkel: Wer?

    Bremkamp: Aus der Politik hört man ja, das sind ganz gefährliche Menschen, da muss die Bevölkerung vor geschützt werden.

    Dünkel: Die Politik ist leider nicht wissenschaftlich orientiert vielleicht. Wenn man die vorliegenden Studien zur Kenntnis nimmt, dann muss man sehen, dass der überwiegende Anteil, ganz überwiegende Anteil vermutlich eben nicht gefährlich ist. Natürlich sind wir vielleicht auch bereit, Leute, die nicht gefährlich sind, um der paar gefährlichen willen einzusperren, aber das sind Sonderopfer, die müssen dann besonders begründet werden.

    Bremkamp: Aber diese Personen sind ja nicht ohne Grund verurteilt worden?

    Dünkel: Natürlich nicht, aber sie sind eben unter Umständen nicht mehr gefährlich. – Ich denke, dass das Gesetz, um vielleicht auf Ihre Ausgangsfrage zu kommen, das jetzt infrage steht, Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter, es ist insofern falsch gestrickt, weil der Begriff psychische Störung, der ist definiert durch die europäische Menschenrechtskonvention. Darauf verweist ja auch dieses Eckpunktepapier. Dort steht aber in der deutschen Übersetzung, es geht um Geisteskranke. Diejenigen, die jetzt zu entlassen sind, sind nicht geisteskrank. In aller Regel sind die psychisch vielleicht persönlichkeitsgestört, aber das reicht ja nicht aus. Dafür wird dieses Gesetz gerade nicht ausreichen. Das Gesetz ist also ein symbolisches Gesetz, das nicht angewendet werden wird, und das ist eigentlich eine Lüge. Da werden die Leute beschwindelt. Es wird vorgegaukelt, dass sie Sicherheit bekommen, aber es wird nicht so sein.

    Bremkamp: Gehen wir mal davon aus, diese Einrichtungen kommen, die die Regierung jetzt plant, jetzt vorsieht. Wie müssten die denn aus Ihrer Sicht aussehen? Was wären denn trotz Ihrer Bedenken Mindeststandards?

    Dünkel: Die müssten eigentlich einer therapeutischen Anstalt gleichkommen, etwa einem psychiatrischen Krankenhaus, und die Voraussetzungen für die Einweisung in ein solches Krankenhaus, die sind ja im Gesetz vorgesehen. Da brauche ich ja kein neues Gesetz.
    Im Übrigen gibt es Unterbringungsgesetze der Länder für psychisch kranke, gefährliche Menschen. Da brauche ich auch kein Bundesgesetz. Es ist also völlig widersinnig, da noch ein Bundesgesetz jetzt draufzusetzen für Fälle, die eigentlich landesrechtlich schon geregelt sind.
    Und wenn man die Schwelle niedriger setzen will als die landespsychischen Krankengesetze, dann wiederum wird sicherlich ein Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention vorliegen. Also es gibt keinen Ausweg. Das ist alles symbolische Gesetzgebung, die keinen Sinn macht.

    Bremkamp: Die Rede ist von 60 bis 80 Männern, die als gefährlich eingestuft wurden. Braucht es da nicht auch mehrere Therapieansätze?

    Dünkel: Ja, natürlich! Das ist ja in diesen Fällen zumeist versäumt worden. Es gibt im Strafvollzug die sozialtherapeutischen Anstalten. Das wäre ein Weg gewesen, die rechtzeitig dorthin zu verlegen und mal zu versuchen, an dieser Gefährlichkeit zu arbeiten. Es gibt viele andere Behandlungsansätze natürlich auch noch, auch im Maßregelvollzug. Wir brauchen dann natürlich in solchen Einrichtungen, Spezialeinrichtungen eine Vielfalt von therapeutischen und intensivtherapeutischen Ansätzen. Das kann man auch nicht von heute auf morgen umsetzen. Solche Einrichtungen sind ja nicht dadurch geschaffen, dass man ein Etikett an die Tür klebt und sagt, das ist jetzt eine Sicherungsunterbringung und was ganz anderes als Strafe. Das wäre ein reiner Etikettenschwindel, wenn man das jetzt unmittelbar so machen würde.

    Bremkamp: Nun soll die elektronische Fußfessel ja hinzukommen bei denen, die freikommen sollen. Ist das denn quasi die Ideallösung, man überwacht die Menschen mit einer elektronischen Fußfessel und lässt irgendwie noch drei Polizeiwagen hinterher fahren quasi?

    Dünkel: Nein, das ist überhaupt nicht die Ideallösung. Das ist eine zusätzliche, sagen wir mal, sicherheitsorientierte Maßnahme. Eigentlich die entscheidende Sache in der Nachbetreuung ist natürlich auch hier die Therapie, die begleitende sozialarbeiterische, sozialpädagogische Betreuung. Es gibt forensische Ambulanzen seit 2007 in den Ländern, wo man auch nach einer Entlassung noch weitere therapeutische Maßnahmen ansetzen kann. Also es gibt ein ganzes Instrumentarium im Rahmen der Führungsaufsicht, die ja dann auch in jedem Fall stattfinden wird, mit denen man diesen Tätern gerecht werden kann. Das muss ausreichen. Mehr können wir nicht tun. Wir können sie nicht einfach einsperren.

    Bremkamp: Und dass die Bundesländer da die Zuständigkeit bekommen sollen, das, entnehme ich Ihren Worten, sehen Sie auch kritisch?

    Dünkel: Nein. Es ist ja nicht so gedacht. Das Gesetz soll ja ein Bundesgesetz, wenn ich es recht sehe, werden und bleiben.

    Bremkamp: Ja, aber die Zuständigkeit für die Unterbringung soll bei den Bundesländern liegen.

    Dünkel: Nein. Nur die Zuständigkeit für die psychisch Kranken. Darüber wird nicht diskutiert jetzt. Das ist so! Das ist der Gesetzeszustand. Es geht hier aber um Straftäter. Was ich vorhin sagen wollte ist nur, wenn es einen psychisch Kranken-Fall hier gibt, dann gibt es Landesgesetze, mit denen man Menschen unterbringen kann, die gefährlich sind. Wenn aber der Anknüpfungspunkt wie hier eine Straftat ist, dann kann ich das nicht so definieren, wie es jedenfalls in diesem Entwurf wohl jetzt passieren soll, um der europäischen Menschenrechtskonvention gerecht zu werden. Der Begriff der psychischen Krankheit oder psychischen Störung ist hier so nicht verwendbar.

    Bremkamp: Klare Worte von Professor Frieder Dünkel. Er ist Strafrechtler und Kriminologe an der Universität Greifswald. Herzlichen Dank für das Gespräch.

    Dünkel: Ja, bitte.