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"Es ist ein Zeichen für jüdisches Leben in Deutschland"

In der Münchner Innenstadt wird heute ein neues Jüdisches Zentrum eröffnet. Julius Hans Schoeps, Rektor des Moses Mendelssohns Zentrums für Europäisch-Jüdische Studien an der Uni Potsdam, gegrüßt das Konzept, das explizit eine Öffnung für die nicht-jüdische Gesellschaft vorsieht. Angesichts von 100.000 Juden in den Gemeinden sei es möglich, dass wieder ein deutsches Judentum entstehe.

09.11.2006
    Heckmann: Bevor am 9. November 1989 die Mauer fiel stand im Nachkriegsdeutschland alljährlich die Erinnerung an ein Ereignis ganz anderer Art im Fordergrund. Am 09. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen. Reichskristallnacht wurde dieser Tag von den Nazis zynisch genannt, der für viele klar machte, eine Zukunft für Juden wird es in diesem Land nicht mehr geben. Genau 68 Jahr später wird heute in der Münchner Innenstadt ein neues Jüdisches Zentrum eröffnet, das eine Synagoge beheimaten wird, ein jüdisches Museum und ein Gemeindehaus mit Grundschule, Kindergarten und Kulturzentrum. Zum Ort der Begegnung soll dieser Platz werden und dazu beitragen, jüdisches Leben in Deutschland aus dem Hinterhofdasein zu bekommen, so hat es die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Charlotte Knobloch formuliert.

    Am Telefon ist jetzt Julius Hans Schoeps, Rektor des Moses Mendelssohns Zentrum für Europäisch-Jüdische Studien an der Uni Potsdam. Schönen guten Tag.

    Schoeps: Guten Tag.

    Heckmann: Immer wieder, Herr Schoeps, wenn in Deutschland eine jüdische Einrichtung eröffnet wird, wird die Frage gestellt, ob dies ein Zeichen dafür sei, dass sich das Deutsch-Jüdische-Verhältnis normalisiert habe. Für was steht aus Ihrer Sicht diese immer wiederkehrende Frage nach der Normalisierung, die es doch nach dem Holocaust niemals wird geben können?

    Schoeps: Also, ich würde nicht von Normalisierung sprechen, aber ich würde davon sprechen, dass Juden in Deutschland wieder leben und ihre Institutionen aufbauen, Gemeindehäuser und Synagogen. Und das was jetzt in München geschieht, ist ein Zeichen für jüdisches Leben in Deutschland.

    Heckmann: Charlotte Knobloch sagte bei der Grundsteinlegung, sie sei jetzt ganz in ihrer Heimat angekommen, auch die Juden in Deutschland seien im Herzen der Bürger angekommen. Ist das mehr als eine Hoffnung?

    Schoeps: Das ist sicherlich eine Hoffnung. Ich hoffe sehr, dass das auch alles so zutrifft. In jedem Fall ist das so, dass heute wieder, sagen wir mal in Gemeinden mehr als 100.000 Juden gemeldet sind und das ist doch schon etwas.

    Heckmann: Haben Sie denn auch den Eindruck, dass die neuen jüdischen Einrichtungen auch von der deutschen, nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft begrüßt werden, denn das jüdische Gemeindezentrum in München soll ja ein Ort der Begegnung werden?

    Schoeps: Das Konzept ist sehr gut. Ich meine, wenn man so ein Gemeindezentrum baut, muss man es öffnen auch für die nicht-jüdische Gesellschaft. Ich halte nicht sehr viel davon, nur Institutionen zu schaffen, die für Juden da sind, sondern auch für Nicht-Juden. Und so ist das wohl auch in München gedacht, insbesondere auch mit dem Bau eines Museums oder Einrichtung eines Museums und das ist sehr zu begrüßen.

    Heckmann: Und Sie sind optimistisch, dass dieses Konzept aufgehen kann?

    Schoeps: Ich bin sicher, dass das Konzept aufgehen wird. Entscheidend ist, dass es ein bestimmter Ort ist, dass ein bestimmter Geist damit verbunden ist und das ist in München ganz sicher der Fall.

    Heckmann: Der jüdischen Gemeinde in München wurde immer wieder ein Grundstück am Stadtrand angeboten für dieses Projekt. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis jüdisches Leben in München wieder mitten in der Innenstadt sichtbar wird. Ist es nicht unbefriedigend, dass es so spät kommt?

    Schoeps: Gut, manchmal brauchen die Dinge länger und die Zeiten haben sich auch geändert. Seit 1990 haben wir eine Zuwanderung von Juden aus der früheren Sowjetunion, den früheren GUS-Staaten, insgesamt sind ungefähr 225.000 Juden zugewandert und da entsteht jüdisches Leben wieder. Es ist zwar ein anderes jüdisches Leben, als das vor 1933, aber es ist jüdisches Leben.

    Heckmann: Was ist daran anders? Wie hat sich das Selbstverständnis von Juden in Deutschland gewandelt?

    Schoeps: Es ist sicherlich nicht mehr so, dass das Judentum von heute in der Tradition des alten deutschen Judentums vor 1933 steht, das Goethe und Schiller, Hauff und Uhland in den Regalen hatte und Anhänger von Heinrich Heine und Ludwig Börne gewesen sind. Es ist ein anderes Judentum, das aus Osteuropa kommt, einen anderen kulturellen Hintergrund hat. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen oder auszuschließen, dass wieder ein neues deutsches Judentum entsteht, wenn auch dieses Judentum dann andere kulturelle Wurzeln haben wird. Aber wir sind alle keine Propheten, mal sehen, was auf uns zukommt.

    Heckmann: Herr Schoeps, Deutschland hat Wiedergutmachungszahlungen geleistet, die Leugnung des Holocaust steht unter Strafe, in Berlin steht ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas, der Kampf gegen den Antisemitismus ist Staatsräson. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder antisemitische Vorfälle, wie jüngst gehört und gelesen auf Schulhöfen und in Fußballstadien, gerade auch in Ostdeutschland. Das Tagebuch der Anne Frank wurde verbrannt in einem kleinen Ort. Welche Bedeutung hat Antisemitismus heute in Deutschland?

    Schoeps: Sehen Sie, zunächst einmal muss man sagen, der Antisemitismus ist nicht ein Problem der Juden, sondern ein Problem der nicht-jüdischen Gesellschaft und das ist alles sehr ernst zu nehmen, weil der Antisemitismus hat eine Wirkung, die über die Jahrhunderte geht und bis heute wirkt. Und unsere Gesellschaft muss sehr aufpassen, dass wir nicht wider Entwicklungen haben, wie wir sie schon einmal hatten.

    Heckmann: Und achtet die Gesellschaft stark genug auf diese Entwicklung?

    Schoeps: Ich meine ja. Also das ist ein gefestigter Rechtsstaat und die Politiker und die Verantwortlichen tun alles, um etwas gegen Antisemitismus zu tun und den Rechtsradikalismus. Sicher werden manche sagen nicht genug, aber immerhin.

    Heckmann: Zum jüdischen Leben in Deutschland, 68 Jahre nach der so genannten Reichspogromnacht war das der Historiker und Politikwissenschaftler Julius Hans Schoeps.