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'Es ist eine Stärke der Demokratie, Irrtümer zu erkennen'

Nutz: Der eine ein Gesinnungstäter, der andere ein Steinewerfer, der eine mit zu wenig Distanzierung, der andere mit zu vielen Lücken in der Erinnerung. Außenminister Joschka Fischer und Umweltminister Jürgen Trittin müssen sich in diesen Tagen eins ums andere Mal erklären: wie war es weiland im Frankfurter Häuserkampf und wie stand man zum sogenannten Meskalero-Pamphlet, das 1977 für den Mord am damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Bubak eine klammheimliche Freude empfand. Ankunft also in der Vätergeneration, die nun selbst Rede und Antwort stehen muss, wohl auch heute in der Fragestunde des Bundestages. Hans-Jochen Vogel ist ein Zeitzeuge, kann vielleicht erläutern, was warum geschah und was bis heute übrig blieb. 1977 stellte er als Bundesjustizminister Strafantrag gegen den unbekannten Meskalero. Der ehemalige SPD-Vorsitzende erinnert sich:

    Vogel: Ja, da habe ich eine noch ziemlich deutliche Erinnerung. Bubak, der Generalbundesanwalt, sein Fahrer Göbel und der Leiter seiner Fahrbereitschaft - die beiden werden nämlich häufig vergessen - waren 14 Tage zuvor ermordet worden. Dann wurde ich auf diesen Text aufmerksam, der zwar am Ende eine in den Formulierungen außerordentlich merkwürdige Absage an die Gewalt und an das, was dort geschehen war, enthielt, aber im übrigen derartig zynisch war und dann auch das Wort von der klammheimlichen Freude enthielt. Mir ging vor allen Dingen durch den Kopf, wie so etwas auf die Hinterbliebenen wirken musste, auf Frau Bubak, auch auf den Sohn, der sich ja jetzt auch wieder zu Wort gemeldet hat. Deswegen habe ich es für meine Pflicht gehalten, dass das strafrechtlich geprüft wird, und zwar auch in meiner Eigenschaft als der Dienstvorgesetzte von Siegfried Bubak. Es ist dann wohl auch daraufhin in einigen Ländern geprüft worden, ob man gegen die über 40 Professoren, die dafür eingetreten sind, dass man doch so über einen Ermordeten in Gottes Namen reden können müsse, strafrechtlich vorgehen könne. Das hat jedoch zu keinem juristischen Ergebnis geführt.

    Nutz: War Ihnen denn damals bekannt, welche Rolle Jürgen Trittin in diesem Zusammenhang gespielt hat?

    Vogel: Nein, überhaupt nicht. Herr Trittin war mir überhaupt kein Begriff. Der ist mir eigentlich erst in den 90er Jahren als Persönlichkeit ins Bewusstsein getreten. Dass es insofern einen örtlichen Zusammenhang gab, als er zu dieser Zeit wohl in Göttingen studierte und schon nach der Veröffentlichung wohl auch im ASTA war, das ist mir alles jetzt erst bekannt geworden.

    Nutz: Vielleicht sollten wir, Herr Vogel, auch über das damalige Klima sprechen. Inwiefern zum Beispiel unterscheiden sich in diesem Sinn die Ereignisse von _68 von denen im Jahre 1977?

    Vogel: Das ist schon ein ganz erheblicher Unterschied, denn bei allem was es an Auseinandersetzungen in den Jahren _67 und _68 gab, ist eben doch die Tötung von Menschen und die Gewaltanwendung in dieser Form, der Mord, kein Mittel gewesen, das von denen angewendet worden wäre, die glaubten sie müssten diese Republik verändern oder sie müssten auch dieses System, das ja gelegentlich Schweinesystem genannt wurde, zerstören. Das ist dann erst Mitte der 70er Jahre und in der zweiten Hälfte der 70er Jahre so gewesen.

    Nutz: Nun haben führende Grüne, also beispielsweise Rezzo Schlauch, gesagt, es hat damals kein liberales Klima geherrscht. Ströbele meint, die rechtswidrige Gewalt des Staates müsse auch diskutiert werden. In Ihre Zeit als Justizminister fallen das Kontaktsperregesetz wie Antiterrorgesetze. Wie ist denn damals auch innerhalb der Bundesregierung über dieses Thema diskutiert worden?

    Vogel: Die Bundesregierung stand damals vor der Aufgabe, das Gewaltmonopol des Staates zu verteidigen. Wir sprechen jetzt nicht mehr vom Jahr 1968, sondern wir sprechen vom Jahr 1977, in dem ja mehrere Morde unmittelbar aufeinander folgten. Das war die Aufgabe der Bundesregierung, das Gewaltmonopol zu verteidigen und die Schutzfähigkeit des Staates zu erhalten, das heißt die Fähigkeit des Staates, seine Bürger vor Mordanschlägen, vor Geiselnahmen, vor Entführungen zu schützen, denn das ist nun wirklich ein Grundelement gerade eines demokratischen Rechtstaates. Ich kann die Auffassung, dass damals in dieser Periode von 1977 die Maßnahmen des Staates zur Verteidigung seines Gewaltmonopols überzogen waren, nicht teilen. Das Kontaktsperregesetz hat ja überhaupt erst ermöglicht, dass über jeden einzelnen Fall der Bundesgerichtshof entscheiden musste, etwas was es bis dahin nicht gab. Das war ja eine Maßnahme, die eine zusätzliche rechtstaatliche Sicherung bedeutet hat. Dass damals die Nerven gelegentlich angespannt waren, das ist wohl wahr. Dass es in den 68er Jahren auch eine feindliche Auseinandersetzung etwa von Seiten bestimmter Medien mit der Studentenbewegung gab und dass es insbesondere bei Polizeieinsätzen auch Unverhältnismäßigkeit gab, das steht auf einem anderen Blatt. Das hat aber mit der Frage, wie der Staat auf diese Morde reagiert hat - es waren ja insgesamt über 40 Morde -, gar nichts zu tun.

    Nutz: Nachdem Sie das nun geschildert haben, wie bewerten Sie, Herr Vogel, denn nun die aktuelle Diskussion?

    Vogel: Die aktuelle Diskussion überzeugt mich wenig, und zwar insbesondere von denen, die nun sagen, dass ein Mann wie Herr Fischer in seinem gegenwärtigen Amt nicht mehr tragbar sei. Für mich ist es nicht eine Schwäche, sondern eine Stärke der Demokratie, dass jemand der mit den mörderischen Anschlägen nichts zu tun hat - und wer da Behauptungen aufstellt: es ist kein Beweis für solche Verbindungen vorhanden - von seinen Irrtümern abrückt, dass er zu Überzeugungen gelangt, wie sie unserem Grundgesetz entsprechen, dass sich auch entschuldigt für sein damaliges Verhalten. Das ist alles eine Stärke der Demokratie. Es ist für unser Gemeinwesen gar nicht schlecht, wenn in verantwortlicher Stelle auch Menschen mit diesen Lebenserfahrungen sind, die Irrtümer erkannt und überwunden haben, und nicht nur solche, die halt den üblichen Lebenslauf bis in die jeweiligen Ministerämter zurückgelegt haben.

    Nutz: Ist das für Sie auch eine Art Rücktrittsjagd gegen Fischer und Trittin?

    Vogel: Natürlich wird hier einmal mehr ein Problem instrumentalisiert. Es wird glaube ich weniger über Lösungen nachgedacht in dem Sinne, dass man eine Diskussion über die damalige Zeit führt und dass man daraus auch die gezogenen Lehren anerkennt, sondern es ist leider wie häufig in der Politik - und da gucke ich nicht nur nach der einen Seite - eine gewisse Neigung zu instrumentalisieren. Im übrigen meine ich, gerade Frau Merkel beruft sich ja neuerdings wieder stark auf die christliche Komponente im Menschenbild ihrer Partei. Zur christlichen Komponente gehört meiner Meinung nach auch, dass man jemand, der von einem Irrtum abrückt und der bereut, eine Chance gibt. Fischer jedenfalls hat seine Chance nun wahrlich genutzt.

    Nutz: Sie haben gesagt, die Vergangenheit muss diskutiert werden. Wie notwendig ist denn eine historische Aufarbeitung jener Zeit? Offenbar hat man diese bis heute nicht wirklich vermisst?

    Vogel: Ich habe gegen das Wort "aufarbeiten" immer gewisse Einwendungen. Es wird ja auch immer gesagt, man muss die NS-Vergangenheit aufarbeiten. Man kann Geschichte nicht aufarbeiten. Man kann darüber diskutieren, man kann daraus Schlussfolgerungen ziehen, man kann für sein eigenes Verhalten daraus etwas ableiten. Dass über die Jahre des RAF-Terrors nicht diskutiert worden wäre, das kann ich nicht anerkennen. Ich erinnere mich an eine ganze Reihe von lebhaften Diskussionen, die eigentlich erst im Laufe der zweiten Hälfte der 80er Jahre abgeklungen sind. Über die 68er Jahre wird ja immer wieder diskutiert. Im übrigen ist das, was Sie mich fragen, auch eine Frage an die Medien. Es ist doch nicht so, dass sie immer als Rundfunk, Fernsehen oder Presse bei Seite stehen und warten, ob nun aus dem Raum der Politik ein Thema angesprochen wird.

    Nutz: Nun macht sich das Thema im Augenblick vornehmlich an Personen fest.

    Vogel: Das ist fast immer so in der Politik, und manchmal ist es auch bedrückend, dass es sich zu sehr an Personen festmacht.

    Nutz: Wie sollte denn eine Diskussion dieser Vergangenheit aussehen und vor allen Dingen was sollte am Ende dabei herauskommen?

    Vogel: Es sollte am Ende dabei eine Stärkung unserer Demokratie herauskommen, ein noch breiterer, stärkerer Konsens über die Grundwerte, auf denen unser Grundgesetz beruht, und auf das, was Adolf Arndt einmal das "unabstimmbare" genannt hat, das einer solchen Verfassung vorausliegt. Bei allem, was sehr stark und übertrieben personenbezogen war, ist das meiner Meinung nach schon ein Zwischenergebnis dieser Diskussion. Man kann doch wirklich nicht mehr verlangen, als dass diese Grundwerte ausdrücklich durch das praktische Verhalten, aber nun auch durch ausdrückliche Äußerungen von Leuten anerkannt werden, die _68 und auch noch Anfang der 70er Jahre über unser Staatswesen und unsere Ordnung ganz anders gedacht haben.

    Nutz: Können Sie denn Wolfgang Thierse beipflichten der sagt, vielleicht ist es ja auch möglich, dass in 20 Jahren mal ein ehemaliger Skinhead auf einem Ministersessel sitzt. Er muss sich dafür im Augenblick ziemlich verteidigen, aber können Sie das nachvollziehen?

    Vogel: Dazu möchte ich gegenwärtig keine Prognosen geben. Dafür ist die Auseinandersetzung mit den Skinheads, die ja doch sehr stark an den Nationalsozialismus erinnern, noch viel zu sehr im Gange. Ich sehe eigentlich auch noch keine Notwendigkeit, sich darüber im Moment den Kopf zu zerbrechen. Ich habe das gelesen, was Thierse gesagt hat. Ich fürchte das ist auch wieder ein Fall, wo instrumentalisiert wird, um ihn anzugreifen.

    Nutz: Im Deutschlandfunk war das Hans-Jochen Vogel, früherer SPD-Vorsitzender und in den Jahren 1974 bis 1981 Bundesjustizminister. - Herr Vogel, wir bedanken uns für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio