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"Es ist für ihn eine Niederlage"

Für den britischen Premierminister David Cameron ist die Entscheidung des britischen Unterhauses gegen einen Militäreinsatz in Syrien eine Niederlage, kommentiert der britische Außenpolitiker Graham Watson. An einen Rücktritt Camerons glaubt er jedoch nicht.

Graham Watson im Gespräch mit Christine Heuer | 30.08.2013
    Christine Heuer: Überraschende und drastische Wende in London: Großbritannien wird sich nicht an einem Kriegseinsatz gegen Syrien beteiligen, das Unterhaus hat sich nach einer sehr leidenschaftlichen Debatte heute Nacht dagegen entschieden. Jochen Spengler berichtet.

    Jochen Spengler aus London. Am Telefon begrüße ich Graham Watson, Außenpolitiker der britischen Liberaldemokraten im Europäischen Parlament, in London sitzt seine Partei in der Regierungskoalition, und wir erreichen ihn am Flughafen, er wartet auf seine Maschine und hat sich trotzdem Zeit für uns genommen, das ist nett. Guten Morgen, Herr Watson!

    Graham Watson: Schönen guten Morgen!

    Heuer: Das ist ja heute Nacht dumm gelaufen für die britische Regierung, oder?

    Watson: Das war nicht sehr schön für Herrn Cameron. Es gab eine klare Stimmung im Unterhaus gegen eine militärische Intervention, und er wird das auch jetzt nicht mehr tun. Ich bedaure es persönlich, da ich denke, wir haben schon viele Beweise für den Gebrauch von Chemiestoffen im Irak und wir brauchen, eine Botschaft an Assad zu senden, sonst macht er das weiter. Und wenn es um Chemiestoffe geht und den Gebrauch von Chemiestoffen gegen sein eigenes Volk, dann sollte die Welt etwas sagen.

    Heuer: Aber Herr Watson, die Frage heute früh ist ja auch: Wie konnte David Cameron die Stimmung in seinem Land und auch in seiner eigenen Partei – es war ja nicht nur die Opposition – so falsch einschätzen?

    Watson: Es scheint merkwürdig. Ich glaube, dass, wenn das Unterhaus zwei Tage nach dem 21. August zurückgetreten wäre, dann hätte es vielleicht eine andere Stimmung gegeben. Aber seitdem hat es eine große Debatte gegeben über die Probleme von Irak, und ich glaube, Großbritannien ist kriegsmüde, nach Afghanistan, nach Irak, nach Libyen will das Volk nicht mehr, dass wir an solchen Konflikten teilnehmen, und glauben auch, dass das in Syrien auch sehr schwierig wird.

    Heuer: Das ist offensichtlich, aber wie konnte David Cameron das übersehen? Er ist ja sehr früh und sehr deutlich vorgeprescht und hat sich am entschlossensten von allen an die Seite der USA gestellt.

    Watson: Ja, und das konnte er auch nicht, und er versuchte, das auch rasch zu tun oder mindestens gab er diesen Eindruck, dass er etwas rasch tun wollte, ohne zu warten. Obwohl letzten Endes hätte es so was gegeben, ohne zu warten für einen Bericht von den UNO-Inspektoren. [Anm. d. Red. Satz teilweise unverständlich] Die meisten, die Opposition, aber auch Leute von seiner eigenen Partei und Abgeordneten von der Liberaldemokraten-Partei – weniger, aber genug – haben dagegen gestimmt.

    Heuer: Das ist jedenfalls eine sehr große Schlappe für David Cameron. Muss er zurücktreten?

    Watson: Ich glaube nein. Es ist für ihn eine Niederlage, sicher, es kann auch die Lage für Europa komplizieren, wenn andere Länder dafür sind, etwas zu tun, […]

    Heuer: Aber so sehr wie die Briten war ja niemand dafür.

    Watson: Aber ich glaube nicht, dass es für Cameron jetzt möglich wäre. Ich glaube nur: Wenn es noch mal solche Attacken, solche Angriffe geben sollte, dann könnte er vielleicht eine zweite Debatte und eine zweite Abstimmung kriegen. Aber ich sehe es für unwahrscheinlich, dass in den nächsten Tagen oder auch in den nächsten Wochen, dass es in Großbritannien eine parlamentarische Mehrheit gibt dafür.

    Heuer: Trübt denn das, was da heute Nacht passiert ist in London, das Verhältnis zwischen Großbritannien und den USA?

    Watson: Sicher, und es könnte auch vielleicht ein Zeichen dafür sein, dass Großbritannien nicht mehr bereit ist, immer der USA in diesen Sachen zu folgen. Es stimmt, dass es … Im Land herrscht jetzt der Eindruck, dass die Amerikaner zu rasch in Konflikte in Drittländern – und besonders im Nahosten – gehen und dass Großbritannien nicht mehr folgen wird.

    Heuer: Sind Sie denn dafür, dass die Amerikaner jetzt alleine loslegen?

    Watson: Ich ziehe es vor, natürlich, dass es bei der UNO-Versammlung eine Resolution gibt für eine Intervention. Ich glaube, wenn es keine solche Erlaubnis gibt, dann könnten die Amerikaner das auch selbst machen. Das hat sich in Bosnien so entwickelt, und ich glaube, auch in Kosovo.

    Heuer: Aber da hatten die Amerikaner ja noch ein paar Leute an ihrer Seite.

    Watson: Ja, aber wenn Russland oder andere Leute bei der UNO eine solche Prozedur nicht erlauben, dann, ich glaube, haben wir westliche Länder auch die Möglichkeit oder wir sollten das tun, reinzugehen. Wenn man Assad eine blanke Karte gibt, um Chemiestoffe gegen sein eigenes Volk zu verwenden, dann ist die Zukunft für unsere Welt viel, viel schwieriger.

    Heuer: Aber Herr Watson, öffnet sich nicht gerade, auch durch das, was heute Nacht im britischen Unterhaus passiert ist, wieder eine Tür für eine diplomatische Lösung, für Verhandlungen zum Beispiel mit Russland? Sollte man das nicht nutzen?

    Watson: Ich glaube, das ist jetzt für Cameron die einzige Möglichkeit, dass er etwas auf der diplomatischen Ebene versucht. Ich weiß nicht, ob das für Barack Obama reicht.

    Heuer: Wie könnte man denn Russland mit wieder an einen Tisch kriegen?

    Watson: Muss [man]sehen, Russland und China haben [sich] nicht für die Anwendung von Chemiestoffen ausgesprochen. Ich glaube, dass es auch in Russland und China eine große Sorge geben wird, was jetzt in Syrien passiert. Und die BBC hat neulich neue Filme gekriegt vom Gebrauch von Chemiewaffen auf eine Schule in Aleppo. Ich glaube, dass … Es muss auch in Russland und China eine solche Debatte geben, und es könnte dazu führen, dass die Welt etwas tut.

    Heuer: Was denn genau?

    Watson: Ja, begrenzt streiken auf Material von Assad, …

    Heuer: Und wie könnte denn eine …

    Watson: … nicht, um den Rebellen zu helfen, aber um klar zu sagen: Die Welt erlaubt es nicht, dass man in einem Bürgerkrieg oder in anderen Kriegen Chemiestoffe verwendet.

    Heuer: Herr Watson, aber eine solche Lösung, dass die Russen dazu ja sagen, die ist ja jetzt nicht eben wahrscheinlicher geworden heute Nacht. Wie könnte denn eine diplomatische Lösung aussehen für Syrien, mit Russland an Bord?

    Watson: Ja, natürlich könnten Russland und die Vereinigten Staaten und Europa auch Druck darauf setzen, [um] die beiden Seiten zusammen zu einer Genfer Konferenz zu bringen. Das ist bis jetzt nicht geschehen. Das könnte vielleicht eine Lösung sein. Aber ob das jetzt möglich ist innerhalb Syriens, das kann man nicht wissen. Die Lage scheint für viele, viele Leute hilflos zu sein.

    Heuer: Wie beurteilen Sie eigentlich die deutsche Haltung in dieser ganzen Debatte?

    Watson: Ich glaube, dass Deutschland sehr oft recht hat, mit großer Sorge diese Konflikte zu studieren und nicht zu rasch militärische Einsätze zu machen. Aber ich glaube, es wird auch in Deutschland – ich bin nicht sicher, ich sehe das auch unter deutschen Kollegen im Europaparlament –, … es gibt viele, die sagen: Wir müssen Assad stoppen.

    Heuer: Graham Watson von den britischen Liberalen. Herr Watson, danke für das Interview!

    Watson: Danke sehr!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.