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"Es ist kein Paket, das sich nur auf 2011 bezieht"

Das Sparpaket von Schwarz-Gelb ist - nicht nur in der Opposition - auf große Kritik gestoßen. Nun zeichnet sich zumindest ab, dass die Regierung deutlich weniger neue Kredite aufnehmen muss als bisher befürchtet. Florian Toncar (FDP), Mitglied des Bundestagshaushaltsausschusses, ist der Meinung, dass das Paket trotzdem nicht verändert werden sollte.

Florian Toncar im Gespräch mit Christian Bremkamp | 22.06.2010
    Christian Bremkamp: Der Aufschrei war groß, als die Bundesregierung kürzlich ihr Sparpaket vorlegte. "Sozial unausgewogen" schallte es der schwarz-gelben Koalition von Seiten der Opposition und von Sozialverbänden entgegen, und auch aus den eigenen Reihen gab es kritische Stimmen. Kanzlerin Merkel aber blieb hart, lehnte Korrekturen an dem Maßnahmenpaket strikt ab. Nur so sei der überschuldete Haushalt in den Griff zu bekommen. Heute dann diese überraschende Meldung: Der Bund muss dank der guten Konjunkturentwicklung offenbar deutlich weniger Geld aufnehmen, als bislang erwartet. Verbunden bin ich jetzt mit Florian Toncar von der FDP. Er ist Mitglied des Bundestagshaushaltsausschusses. Guten Tag, Herr Toncar.

    Florian Toncar: Guten Tag, Herr Bremkamp!

    Bremkamp: Herr Toncar, was sagen Sie vor diesem Hintergrund? Sollte das Sparpaket nicht nun doch geändert werden?

    Toncar: Nein, auf keinen Fall. Ich meine, man muss zunächst einmal sehen, dass das Sparpaket ja ein Paket ist für vier Jahre. Das heißt, es ist kein Paket, das sich nur auf 2011 bezieht. Das ist eine mittelfristige Planung. Und im Übrigen darf man bei der Schuldenbremse im Grundgesetz natürlich eines nicht falsch verstehen: diese Schuldenbremse ist für uns die Obergrenze der Neuverschuldung, aber es ist nicht so, dass wir diese Obergrenze zwangsläufig ausreizen müssen. Wenn Sie unterwegs sind auf einer Landstraße und Sie sehen ein Schild mit "Tempo 100", dann heißt dieses Schild ja auch nicht, dass Sie 100 fahren müssen, sondern wenn es regnet oder schneit oder sonst ungünstige Bedingungen sind kann es geboten sein, dass Sie 60 fahren oder 50, und so ähnlich ist das mit dieser Schuldenbremse auch. Es ist in der jetzigen Situation sicherlich klug, sie nicht auszureizen, sondern sie möglichst zu unterbieten.

    Bremkamp: Aber vielleicht könnte man das Sparpaket vor diesem Hintergrund zumindest etwas sozialer gestalten?

    Toncar: Ich halte diesen Vorwurf der sozialen Unausgewogenheit für ziemlich übertrieben. Wenn Sie sich wirklich mal anschauen, wo die Konsolidierungsbeiträge herkommen, dann werden Sie feststellen zum einen, dass da sehr viel aus dem Bereich der Industrie dabei ist, dass sehr viel auch im Verwaltungsbereich dabei ist, natürlich auch aus dem Sozialbereich, der ja nun rund 60 Prozent des Bundeshaushaltes umfasst. Da können sie nicht drum herum. Aber wenn Sie sich dann mal genau anschauen, wo im Sozialbereich gespart wird, dann ist auch das nichts, was jetzt überwiegend direkt bei den Leistungen für die Bürger ansetzt, sondern es ist etwas, was sehr stark auch in der Arbeitsverwaltung insbesondere ansetzt. Da kommt der Hauptanteil der Einsparungen her. Und die eigentlichen Leistungen, die vom Staat an Bürger bezahlt werden, das macht ungefähr eine Milliarde in einem Gesamtpaket von elf Milliarden Euro aus. Umgekehrt muss man auch sehen, dass die Koalition es geschafft hat, zusätzlich noch für die gesetzliche Krankenversicherung zwei Milliarden Euro extra sozusagen auch auszugeben und einzuplanen. Das heißt, gerade im Sozialbereich gibt es sogar zusätzliche Ausgaben, und das kommt mir in der Diskussion viel zu kurz.

    Bremkamp: Herr Toncar, wie erklären Sie sich eigentlich diese neuen Zahlen? So lange liegt die letzte Steuerschätzung des Finanzministers ja noch nicht zurück.

    Toncar: Ja, gut. Ich war immer skeptisch, was solche Steuerschätzungen angeht: zum einen wegen der Methoden, die dort angewandt werden. Man guckt so ein bisschen, was war die letzte Steuerschätzung, und dann guckt man, welche Rechtsänderungen gab es, und guckt ein bisschen auf die Konjunkturprognose, und letzten Endes kochen die auch nur mit Wasser. Es ist sehr schwer, so was abzuschätzen.
    Zum anderen muss man aber natürlich auch sagen, die Wirtschaftslage heute lang- oder mittelfristig zu planen, ist schier unmöglich. Keiner kann genau sagen, wie die nächsten zwölf Monate laufen. Es ist etwas besser und etwas stabiler geworden, auch etwas berechenbarer. Das sagen mir auch viele Unternehmer, die ich treffe. Aber trotzdem ist es unmöglich, da völlig verlässliche Prognosen zu machen, und dementsprechend freuen wir uns über die gute Nachricht, aber man kann auch nicht nach solchen Tagesmeldungen seine gesamte politische Konzeption umwerfen.

    Bremkamp: Die Steuereinnahmen steigen, möglicherweise auch längerfristig. Was soll mit dem Geld denn geschehen?

    Toncar: Solange wir Schulden machen in der Größenordnung, in der wir uns befinden, und wir reden dann für 2010 immer noch über 60 Milliarden statt 80, die geplant waren, das sind doch immer noch katastrophale Dimensionen und unser Grundgesetz verlangt, dass wir bis 2016 runterkommen auf 8,5 Milliarden strukturell. Das heißt, auf absehbare Zeit und übrigens auch egal wer regiert, im Bund oder in den Ländern, wird es diesen Konsolidierungskurs geben müssen. Unsere Verfassung verlangt das, aber die ökonomische Vernunft und die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen verlangen das genauso.

    Bremkamp: Katastrophale Dimensionen, heißt das nicht auch, den Spitzensteuersatz erhöhen?

    Toncar: Das sind Symboldiskussionen. Ich glaube, dass wir uns über unser Steuersystem unterhalten müssen. Das ist überhaupt keine Frage. Wir sehen ja auch, dass ein Teil des Konsolidierungspaketes Mehreinnahmen sind, zum Beispiel aus dem Bereich der Banken, der Energieunternehmen und auch des Luftverkehrs. Das ist eingeplant. Der Spitzensteuersatz steht natürlich genauso zur Diskussion wie das gesamte Steuersystem. Ich warne nur vor zu großen Erwartungen an der Stelle. Zum einen ist es so, dass diejenigen, die sehr vermögend sind in Deutschland, ohnehin an vielen Stellen sich aussuchen können, wo sie ihre Steuern bezahlen. Das ist ein Stück weit natürlich misslich, aber es ist die Realität. Und zum anderen zahlen die für den wesentlichen Teil ihrer Kapitaleinkünfte ohnehin nicht den Spitzensteuersatz, sondern es wird eine Abgeltungssteuer erhoben, die ja weit niedriger ist, und das ist das, was Sozialdemokraten unter Peer Steinbrück eingeführt haben. Also das heißt, die ganz hohen Vermögen erwische ich da nur sehr begrenzt, auf der anderen Seite aber alle Personengesellschaften, das heißt gerade die Familienunternehmen, gerade den Mittelstand, und deswegen bin ich sehr skeptisch, ob man sich mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes jetzt etwas Gutes tun würde. Man muss ja immer gucken, was man damit auch ökonomisch bewirkt, mit solchen Maßnahmen. Da geht es nicht nur um Symbolik, sondern um ganz reale ökonomische Auswirkungen.

    Bremkamp: Herr Toncar, wann fordert die FDP denn wieder Steuersenkungen?

    Toncar: Die FDP hat selbstverständlich weiterhin das Ziel, eine umfassende Reform unseres Steuerrechts auf den Weg zu bringen, und zwar nicht um uns selbst willen, sondern weil das etwas ist, was ihnen gerade im Mittelstand jeder erzählen wird, jeder vorhalten wird, dass dieses Steuersystem nicht mehr praktikabel, stellenweise willkürlich ist und auch nicht mehr vernünftig funktioniert. Nun ist es so, dass wir sicher in der jetzigen Lage uns zunächst mal darauf konzentrieren müssen, das Steuerrecht einfacher und gerechter zu machen. Da gibt es ja eine ganze Menge auch von Ideen und Vorschlägen und das ist was, was man, glaube ich, auch kurzfristig angehen kann. Und selbstverständlich haben wir in bestimmten Einkommensgruppen in unserem Steuersystem weiterhin Ungerechtigkeiten. Ich sehe das vor allem bei denjenigen, insbesondere Arbeitnehmern, die im Bereich eines durchschnittlichen Einkommens liegen oder leicht darunter, weil da ein ganz besonders starker Anstieg in der Progression drin ist, und das ist etwas, wo man eigentlich sagen muss, hier wird die Mittelschicht über Gebühr herangezogen. Solche Ungerechtigkeiten zu beseitigen – und das heißt natürlich am Ende auch eine Nettoentlastung -, bleibt das Ziel der FDP, aber wir werden uns sicher in dieser Haushaltslage und in der gesamten Situation (Stichwort Euro-Krise, Griechenland, all die Dinge, die in letzter Zeit passiert sind) zunächst einmal durch eine gute Haushaltspolitik die Spielräume erarbeiten müssen. Das ist unser Ziel.

    Bremkamp: ... , sagt Florian Toncar von der FDP. Er ist Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages. Herzlichen Dank für das Gespräch.

    Toncar: Vielen Dank, Herr Bremkamp.