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"Es ist klar, dass die EZB sich souveräne Rechte anmaßt"

Es gebe berechtigte juristische Einwände gegen die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte. Dennoch glaube er nicht an einen Erfolg der Klage vor Gericht, denn die Richter könnten eine daraus resultierende Verfassungskrise nicht ignorieren.

Max Otte im Gespräch mit Gerd Breker | 11.06.2013
    Gerd Breker: Im Prinzip geht es um das vornehmste Recht eines jeden Parlaments: Es geht ums Haushaltsrecht. Die Europäische Zentralbank hatte mit ihrem Chef Draghi auf dem Höhepunkt der Spekulationen angekündigt, alles zu tun, um den Euro zu schützen und unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Diese Wanderung auf dem schmalen Grat der Legalität birgt das Risiko, dass Deutschland mit seinen Steuergeldern in Haftung genommen wird, was die Abgeordneten nicht abgesegnet haben - eine Frage, die das Bundesverfassungsgericht ab heute zu klären hat.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Wirtschaftswissenschaftler Max Otte. Er ist auch Autor des Buches "Der Crash kommt". Guten Tag, Herr Otte!

    Max Otte: Guten Tag!

    Breker: Herr Otte, wenn das Verfassungsgericht nun Nein zu diesem unbegrenzten Anleihekauf sagen sollte, geht es dann wieder los? Gibt es einen neuen Crash?

    Otte: Dann gäbe es in der Tat einen Crash und dann würde der Euro auseinanderfallen, und zwar so, wie es befürchtet ist. Wenn Helmut Schmidt sagt, dass die EZB die einzige handlungsfähige Organisation in Europa im Moment ist, dann bezieht er sich gerade darauf, dass sie im Moment Staatsanleihen ohne Ende kaufen, auch vielleicht ohne Mandat, was jetzt zu prüfen ist. Wenn das Verfassungsgericht das sagen würde, dann hätten wir einen Crash. Aber ich glaube, dass es nicht so weit kommen wird.

    Breker: Sie haben Helmut Schmidt zitiert, der in der Tat gesagt hatte, die EZB sei die einzige europäische Einrichtung, die überhaupt in dieser Krise funktioniert. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Otte: In gewisser Weise ja. Das Problem ist, dass, wenn Sie nur einen Hammer haben, dann jedes Problem wie ein Nagel aussieht, und dann wird fleißig gehämmert. Wir wenden die Geldpolitik auf alles an, was in dieser Krise falsch läuft. Wir müssten Strukturreformen machen, wir müssten den Euro neu konstruieren, das können wir alles nicht aufgrund der Schwerfälligkeit der europäischen Institutionen, also machen wir eine Politik des billigen Geldes, die ja auch in der Tat einem der Grundpfeiler der deutschen Staatsräson, nämlich der Geldwertstabilität zuwiderläuft. Und das ist eine politische Frage, die natürlich von erheblichem Gewicht ist.

    Breker: Nun wird gesagt, die Ankündigung Draghis habe doch gewirkt. Also warum dagegen sein?

    Otte: Sie hat gewirkt, denn wenn jemand mit so einer Ankündigung kommt – er sprach ja von der großen Bertha - dann ist es natürlich so, dass in der Tat erst mal die Märkte beruhigt sind. Man sagt, man gibt wieder Morphium, man spritzt eine große Menge von Schmerzmitteln ins System infolge dieser Geldpolitik. Das hat erst mal gewirkt. Aber wie lange das vorhält, ist die andere Frage, denn etliche Probleme in Frankreich und Italien und Spanien, auch Griechenland, sind noch nicht behoben.

    Breker: Herr Otte, es ist ja so, dass in der Frage der Anleihekäufe die EZB im Grunde gegen die Bundesbank steht. Wie wirkt sich dieser Streit aus?

    Otte: Ja in der Tat. Ich meine, das Bundesverfassungsgericht streitet jetzt zunächst einmal, ob das grundgesetzkonform ist, was da passiert. Es ist klar, dass die EZB sich souveräne Rechte anmaßt, die eigentlich dem deutschen Volk oder seinem Souverän, dem Parlament zustehen und die hier zum Teil übertragen worden sind, zum Teil aber nicht behandelt, ohne dass vielleicht die gesetzlichen Grundlagen geklärt sind. Das ist das eine und das ist die formale Frage, die jetzt vom Verfassungsgericht geklärt werden soll.

    Daneben gibt es aber eine inhaltliche Frage. Also für die deutsche Staatsräson – und ich habe das vor 15 Jahren auch in einem Buch untersucht – standen ja maßgebliche Änderungen an, bei den Bundeswehreinsätzen und jetzt eben bei der Geldpolitik. Es war eigentlich ungeschriebenes Gesetz, dass die Bundesbank, und auch im Bundesbankgesetz geschriebenes Gesetz, dass die Bundesbank der Geldwertstabilität verpflichtet ist, sonst nichts. Und das, so wie ich das einschätze, wollen auch noch die Mehrheit der Deutschen. Ich spreche mit vielen Bürgerinnen und Bürgern. Im Parlament sieht es etwas anders aus: Da mahnt man an die internationalen Verpflichtungen, an den Euro und so weiter. Also die EZB verändert durch ihr einseitiges Handeln im Moment in der Tat die Staatsräson auch der Bundesrepublik und sie begibt sich natürlich in Konflikt mit der Bundesbank, die ein anderes Mandat hat.

    Breker: Wir haben es eben von dem Kollegen Detjen aus Karlsruhe gehört: Es könnte natürlich auch zu einer Zuständigkeitsfrage werden, also zwischen Karlsruhe und dem Europäischen Gerichtshof, der auch für die EZB ja zuständig ist. Was wäre, wenn das eine juristische Endlosgeschichte wird?

    Otte: Na ja, eine Endlosgeschichte kann es insofern nicht werden, als dass die EZB ja handelt. Sie setzt Kraft Gesetz Fakten, sie nutzt die normative Kraft des Faktischen, sie handelt, sie druckt Geld. Also in der Hinsicht sind die Kläger in der schwächeren Position: Sie müssen versuchen, etwas zurückzudrehen. Und wenn ich auf meine Eingangsbemerkung zurückkommen darf: Das ist eben fragwürdig, ob ein Bundesverfassungsgericht, das letztlich ja auch bei aller Objektivität und bei allem Respekt, den ich für das Gericht habe, eine politische Institution ist und nicht ganz das politische Spannungsfeld vernachlässigen kann bis hin zu möglichen Verfassungskrisen. Ich glaube, dass die Kläger trotz aller juristisch berechtigten Einwände, die sie bringen möchten, faktisch vielleicht eine eher schwächere Position haben.

    Breker: Herr Otte, Sie haben es eben angedeutet: In der Bekämpfung der Eurokrise sind diese Anleihekäufe nur ein Mittel, und zwar kein Mittel, was grundsätzliche Strukturen verändert. Nun hören wir von dem Internationalen Währungsfonds, dass sie finden, Griechenland bräuchte einen zweiten Schuldenschnitt. Das will die Bundesregierung vor der Wahl allerdings nicht. Wie schätzen Sie die Lage in Griechenland ein? Braucht es da einen zweiten Schuldenschnitt?

    Otte: Ich denke schon. Wir sehen jetzt zum Glück in Griechenland, dass die Wettbewerbsfähigkeit leicht und langsam dreht, dass also zum Teil die Strukturreformen greifen, wenn auch mit unglaublichen Kosten für die griechische Bevölkerung, die ja doch sehr leidet, die auch genauso unter dieser Rettungspolitik leidet, wie letztlich die deutsche Bevölkerung leidet.

    Ich kann mir vorstellen, dass da ein zweiter Schuldenschnitt sehr wichtig und sehr notwendig wird, und ich verstehe auch die Politik der Bundesregierung nicht ganz. Frau Merkel hat im Frühjahr 2010 sehr klar und deutlich gesagt, wir brauchen ein geordnetes Insolvenzverfahren für diese Staaten, und das wäre auch heute noch das richtige. Insolvenzverfahren heißt eben auch Reorganisation der Schuldner, der Schulden, Beteiligung der Gläubiger und nicht nur der Allgemeinheit. Es ist ja in der Finanzkrise und der Eurokrise so gewesen, dass die Finanzgläubiger und die großen Vermögen und diejenigen, die von diesem System am meisten profitieren, dann durch die Rettungsmaßnahmen die Risiken und die Kosten abgewälzt haben auf die Allgemeinheit, sprich auf die Bürgerinnen und Bürger in Griechenland, in den Südstaaten, aber auch in Europa, und das ist ein grundlegender Konstruktionsfehler des Systems, den man natürlich beheben muss. Insofern bin ich froh, dass die Sache vor dem Verfassungsgericht verhandelt wird, um diese Dinge mal zu beleuchten. Allerdings gebe ich der Klage nur relativ geringe Chancen, denn wie gesagt: Auch das Bundesverfassungsgericht bewegt sich in einer letztlich politischen Konstellation.

    Breker: Die Einschätzung des Wirtschaftswissenschaftlers Max Otte. Wir haben ihn – Sie haben es vielleicht gehört an der Telefonleitung – auf dem Flughafen per Handy erreicht. Herr Otte, ich danke für dieses Gespräch.

    Otte: Vielen Dank.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.