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"Es ist nachvollziehbar, dass hier ein großes Misstrauen existiert"

Der Strahlenschutz im Atomlager Asse sei "wesentlich verbessert worden", sagt Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz. Dennoch attestiert er dem Lager "einen Zustand, der für ein derartiges Endlager eigentlich unzumutbar ist" - und will Asse schließen.

Wolfram König im Gespräch mit Bettina Klein | 15.07.2009
    Bettina Klein: Und am Telefon begrüße ich jetzt den Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König. Guten Morgen!

    Wolfram König: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Herr König, die Sicherung des Atommülllagers Asse ist wohl eines Ihrer größten Projekte derzeit. Wie konnte es zu diesem neuen Vorfall kommen?

    König: Ja, wir sind noch auf der Spurensuche, aber wir werden tagtäglich nahezu mit neuen Erkenntnissen konfrontiert. Dieses Bergwerk ist kein ordentliches Endlager nach Atomrecht, sondern es ist eingerichtet worden als Forschungsbergwerk, und der Umgang entsprach, wie wir wissen inzwischen, nicht immer den rechtlichen Voraussetzungen, die auch schon damals gegolten haben. Und heute machen wir tagtäglich eben Gefahrenabwehrmaßnahmen, wir versuchen, den Betrieb zu sichern, aber die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen, ist die sichere Schließung dieser Anlage.

    Klein: Aber es gibt ja weitere Zwischenfälle, weshalb gelingt es Ihnen nicht, das sicherzustellen?

    König: Na, uns gelingt es schon. Wir haben in dem halben Jahr, in dem wir jetzt zuständig sind für diese Anlage, den Betrieb auf völlig neue Grundlagen gestellt. Der Strahlenschutz ist wesentlich verbessert worden, die Sicherheit des Betriebspersonals natürlich, aber auch der Bevölkerung steht im Vordergrund. Es sind die rechtlichen Anforderungen aus dem Atom- und Strahlenschutzrecht umgesetzt worden. Also hier ist für jeden auch, der in das Bergwerk einfährt, ersichtlich, dass es zu erheblichen Verbesserungen inzwischen gekommen ist. Aber diese Anlage ist sehr komplex. Es ist nicht vollständig klar, welche Abfälle in welcher Brisanz, in welchen Bereichen überall liegen. Und hier müssen wir jeweils drauf reagieren. Wenn wir neue Erkenntnisse haben, müssen entsprechende Schutzmaßnahmen eingerichtet werden. Die jetzt vorgefundenen Laugensümpfe sind keine akute Gefährdung, aber sie machen deutlich eben, dass wir vor Überraschungen nicht gefeit sind.

    Klein: Aber Sie schildern, das, was sie tun, sehr positiv und dennoch muss man sagen, dieses Austreten von Lauge zum Beispiel ist offenbar unvermeidbar?

    König: Wir können es nicht verhindern. Wir haben sowieso einen Zustand, der für ein derartiges Endlager eigentlich unzumutbar ist, nämlich wir haben tagtäglich zwölf Kubikmeter Grundwasser, das eindringt in dieses Bergwerk, und das ist die eigentliche große Gefährdungssituation. Wir können nicht genau sagen, wie lange die Standsicherheit für dieses Bergwerk noch gegeben ist, wenn es zu einer Erhöhung des Laugenzutritts kommt. Und von daher müssen wir uns auf Notsituationen vorbereiten. Aber unser Ziel ist, eine geordnete Schließung nach Atomrecht unter Einbeziehung der Bevölkerung, das ist ja eins der zentralen Probleme gewesen, dass man sehr lange, jahrelang eigentlich erzählt hat, jahrzehntelang, die Anlage ist sicher, und dann von einem Tag auf den anderen wurde gesagt, die ist so unsicher, dass nur noch eine einzige Verschlussmaßnahme möglich ist. Und dieses hat die Bevölkerung nicht nachvollziehen können, und das ist nachvollziehbar, dass hier ein großes Misstrauen existiert. Und unsere Antwort ist: Sicherung des laufenden Betriebs, Erarbeitung konsequent des Schließungskonzeptes und umfassende Einbeziehung der Bevölkerung in die laufenden Maßnahmen, damit jeder sich ein eigenes Bild machen kann.

    Klein: Aber verstehe ich Sie richtig, bis zur Schließung von Asse sind solche Vorfälle auch weiterhin nicht ausgeschlossen, dafür können Sie nicht garantieren, dass das eben nicht mehr passiert?

    König: Nein, dafür kann ich nicht garantieren, weil wir tagtäglich neue Erkenntnisse haben. Entscheidend ist, dass der Betreiber verantwortungsvoll mit solchen Herausforderungen umgeht, davor nicht die Augen verschließt und damit auch entsprechend öffentlich sich positioniert, welche potenziellen Gefährdungen jeweils davon ausgehen können. Und ich denke, das tun wir in durchaus beispielgebender Weise.

    Klein: Herr König, vielleicht können Sie noch mal kurz beschreiben, weshalb ist es denn technisch nicht möglich, dieses Austreten radioaktiver Lauge zum Beispiel zu verhindern? Was ist daran so problematisch?

    König: Es ist in dem Bergwerk in verschiedenste Kammerabfälle eingelagert worden. Insgesamt hat dieses Bergwerk 131 riesige Kammern gehabt, in denen Salz ausgebeutet worden ist, und in zwölf von diesen Kammern und zusätzlich noch eine dreizehnte in einem anderen Stockwerk sind erst mal Abfälle eingelagert worden, insgesamt 126.000 Fässer. Darüber hinaus hat der vorherige Betreiber auch Abfälle aus dem laufenden Betrieb, kontaminierte Laugen, in andere Bereiche eingeleitet, ohne dass dafür die Genehmigungen vorlagen, und von daher müssen wir in dem Bergwerk an verschiedensten Stellen auch mit Kontamination rechnen. Und dieses ist so ein Fall, der jetzt aufgetreten ist. Man hat in den Jahren 2005 bis 2008 dort Laugen eingeleitet in tiefere Bereiche, und jetzt drückt der Berg diese Laugen an anderer Stelle wieder heraus.

    Klein: Und wir halten noch mal fest: Es ist nicht möglich, das zu verhindern?

    König: Nein, es ist nicht möglich, so was zu verhindern. Wichtig ist, dass eine laufende Kontrolle stattfindet und dass sichergestellt wird, dass keine Gefahren für die Beschäftigten oder gar für die Bevölkerung davon ausgehen.

    Klein: Das ist ja jetzt wohl offenbar der Fall, keine Gefahren für die Beschäftigten oder für die Bevölkerung. Können Sie denn ausschließen, dass es, wenn es so schwierig ist, die Situation dort, dass sich eben Vorfälle ereignen werden, die eben doch ein gewisses Bedrohungspotenzial beinhalten?

    König: Nein, wir haben hierfür genau gerade in der vorletzten Woche Pläne vorgelegt, sogenannte Störfallanalysen sind durchgeführt, und dort sind verschiedene Szenarien auch dargestellt worden, bis hin zu dem unkontrollierten Absaufen der Grube. Und was macht der Betreiber, was macht ein verantwortungsvoller Betreiber einer kerntechnischen Anlage, wie stellt er sich auf solche Situationen ein? Das heißt, wir werden Vorsorgemaßnahmen auch entsprechend vorhalten, damit in so einem Fall bei einem sehr hohen Zufluss, Erhöhung von Grundwasser, wir sozusagen auch noch handlungsfähig in so einem Moment. Aber es ist so, dass wir derzeit, ja, ich sag mal salopp, auf Kante genäht fahren, weil wir keine Sicherheitsreserven haben mehr durch die geologische Struktur. Man hat ein Bergwerk für ein Endlager ausgewählt, was nicht die Voraussetzungen hat, nämlich die Abfälle dauerhaft von der Biosphäre abzusichern. Man ist mit dem Salzabbau bis in die geologischen Strukturen reingegangen, die Grundwasser führende Schichten darstellen können, und von dort haben wir sozusagen Probleme, die jetzt alle bekannt sind, aber mit denen muss man sozusagen umgehen, und wir müssen das Beste aus der sehr schwierigen Situation machen.

    Klein: Und wie wird die Situation sich in den kommenden Monaten oder Jahren darstellen, bis es zu einer Schließung von Asse kommen kann?

    König: Wir haben zunächst den laufenden Betrieb sicherzustellen, sicherzustellen, dass es zu keinen Grenzwertüberschreitungen bei den Emissionen kommt, und darüber hinaus wird parallel mit Hochdruck an einer Verschlusskonzeption gearbeitet. Wir haben derzeit drei Optionen in der Diskussion: Das eine ist die vollständige Rückholung der Abfälle, das Zweite ist die Verlagerung im Bergwerk und das Dritte ist das Verfüllen mit Beton. Diese drei Varianten werden derzeit von den Experten bewertet. Es wird einen öffentlichen Diskussionsprozess darüber geben, und dann werden wir - und das ist unser Ziel - am Ende des Jahres mit einer Verschlussstrategie in die weiteren Planungen einsteigen. Nochmals, die entscheidende Frage ist: Wie lange ist die Standsicherheit gewährleistet? Und hier ist nach dem jetzigen Stand, wenn es nicht zu einer Erhöhung des Wasserzuflusses kommt, bis zum Jahre 2020 diese gegeben. Aber wir müssen uns eben auch auf Situationen einstellen, dass es tagtäglich zu einer Erhöhung dieses Zuflusses kommen kann.

    Klein: Wolfram König, der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, zu den aktuellen Vorkommnissen im Atomlager Asse. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr König!

    König: Gern geschehen.