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"Es ist nie zu spät, sich wieder zu berappeln"

"Jedem Mitglied der FDP ist klar, dass wir einen Neustart unternehmen müssen", sagt FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt. Dazu gehörten auch personelle Veränderungen. Die Vorstandsmitglieder müssten sich selbst prüfen, welchen Beitrag sie für die Zukunft der Partei leisten könnten, sagte der Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung.

Wolfgang Gerhardt im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Wenn die Tonlage der Kommentatoren ein verlässlicher Gratmesser ist, dann steht es schlecht um die FDP. Im Münchner Merkur ist beispielsweise heute zu lesen, die FDP fliegt aus den Landtagen, aber einer bleibt: Guido Westerwelle. Pattex-Guido ist auf dem besten Weg, Deutschlands peinlichster Parteichef zu werden. Münchner Merkur, Zitat Ende. Später heißt es dann dort in dem Kommentar noch, die Grünen geben längst die besseren Liberalen. Das muss schmerzen, jedenfalls einen Liberalen wie Wolfgang Gerhardt, früher Partei- und Fraktionschef, heute Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung. Guten Morgen, Herr Gerhardt.

    Wolfgang Gerhardt: Hallo! Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Gerhardt, was denken Sie, wenn Sie solche Sätze lesen oder hören?

    Gerhardt: Ich weiß genau, dass wir in einer geradezu existenziellen Herausforderung sind. Es geht um die Zukunftsfähigkeit der Partei des politischen Liberalismus. Das ist niemand verborgen geblieben, die Wahlergebnisse haben das noch einmal sozusagen schriftlich bestätigt, und jetzt liegt es an uns, diese Herausforderung anzunehmen. Ich bin immer Optimist gewesen. Ich glaube auch, dass wir es können, aber wir kommen um eine gründliche Inventur nicht herum.

    Kapern: Wenn Sie sagen, existenzielle Herausforderung, sehen Sie das politische Überleben der FDP tatsächlich gefährdet?

    Gerhardt: Ich sehe uns in einer existenziellen Situation. Wir waren in der Geschichte der Bundesrepublik immer einmal in solchen Herausforderungen. Aber nach meinem Eindruck ist sie gegenwärtig größer, als ich sie jemals wahrgenommen habe, weil sie auch von uns erfordert, unseren Standort, unsere innere Philosophie, unsere Überzeugungen klar zu bestimmen und auch überzeugend zu vertreten.

    Guido Westerwelle hat ja mit seiner Bemerkung recht, dass, wenn wir in besserer Form gewesen wären, es uns sozusagen nicht so kalt erwischt hätte. Aber es war ja auch schon länger absehbar, dass wir an Sympathie und an Vertrauen verloren haben. Das begann ja unmittelbar eigentlich nach der Koalitionsbildung. Das heißt, man hätte sich auch länger darauf einstellen und ein Stück jedenfalls abwenden können. Das ist jetzt nachträglich für den Wahlsonntag zu spät, aber es ist nie zu spät, sich wieder zu berappeln.

    Kapern: Das heißt, da hat die FDP ein Versäumnis begangen, und verantwortlich dafür kann doch eigentlich nur einer sein.

    Gerhardt: Es ist nie nur einer verantwortlich. Wir haben ein ganzes Präsidium, wir haben einen ganzen Fraktionsvorstand. Wir haben bis zu jedem Bundestagsabgeordneten und auch zu mir Verantwortung. Aber wahrscheinlich dauert es immer lange Zeit, bevor alle begreifen, um was es wirklich geht, und ich möchte das nicht bis zur Neige durchleben, bevor Veränderungen kommen. Wir müssen jetzt in Personal und in Sache genau unseren Standort bestimmen, und das muss sehr überzeugend vor sich gehen. Das ist nicht angenehm, wenn man personelle Veränderungen für notwendig hält, aber sie sind, glaube ich, unumgänglich.

    Kapern: Wer muss gehen? Wer kann bleiben? Wie viele müssen gehen? Wie tief müssen die personellen Änderungen greifen?

    Gerhardt: Herr Kapern, ich schätze Sie sehr und ich verstehe auch Ihre Fragen, aber ich mache natürlich keine Personaldiskussion jetzt in dem Gespräch. Wahr ist, dass der erste Schritt immer Selbsterkenntnis ist. Man muss sich selbst prüfen, ob man an der jeweiligen Stelle für die Zukunft noch Großes bewirken kann. Dann müssen Gespräche ...

    Kapern: Sie setzen also darauf, dass die Vorstandsmitglieder ihr Versagen einsehen und freiwillig gehen?

    Gerhardt: Es geht nicht um Einsehen von Versagen, sondern es geht um ein Stück Selbsterkenntnis, indem man sich selbst prüft, welchen Beitrag man in der Zukunft leisten will, und zwar auf der Position, in der man sich befindet. Und dann werden natürlich intern auch viele Gespräche nicht nur in Personalfragen, sondern auch in Sachfragen geführt, denn im Grunde hat der Sonntag ja auch die Energiewende irreversibel gemacht. Man begegnet sich aber im Leben immer zweimal. Jetzt kommt es darauf an, über eine Infrastruktur zu reden. Das wird eine völlig erneute Diskussion sein, denn nur mit Wohlfühl-Befinden ist die Energiewende nicht zu schaffen. Wir müssen sehr harte und kluge Entscheidungen zum Netzausbau treffen und ich bin gespannt, wie die Debatte dann von unserem Wettbewerber, den Grünen, geführt wird, wenn es tatsächlich ernst wird. Das heißt, wir haben auch wieder Chancen, aber sie müssen dann überzeugend wahrgenommen werden und Überzeugungen und Bilder einer Partei setzen sich natürlich durch die Menschen, die die Partei vertreten.

    Kapern: Wenn Sie sagen, der Atomausstieg sei jetzt irreversibel geworden, dann heißt das doch, dass die FDP nun nicht mehr nur eine Steuersenkungspartei ohne Steuersenkung ist, sondern demnächst auch noch eine Atompartei ohne Atomreaktoren.

    Gerhardt: Ich glaube, dass wenn man sagt, man hat dieses Votum, diese Volksabstimmung sozusagen der Bevölkerung verstanden, daraus auch die Konsequenzen zu ziehen sind. Dann muss die FDP mit sehr intelligenten Strategien zu regenerativen Energiequellen und klugem Netzausbau dann die Partei sein, die sagt, jawohl, wir nehmen das Ergebnis zur Kenntnis, wir halten einen Widerstand gegen große Teile der Gesellschaft, die es eben anders wollen, als wir es bisher gesehen haben, einfach nicht aus, und das ist nur eine machtpolitische Bemerkung. Man muss den Menschen auch dann entgegenkommen, wenn sie solche Wünsche äußern. Es wird nicht von heute auf morgen gehen, es braucht auch seine Zeit, und nicht alle Blütenträume werden reifen. Ich glaube aber, dass die Menschen, wenn man überzeugend sagt, man hat verstanden, und sich darauf einstellt und an der Sache arbeitet, auch wieder bereit sind, Vertrauen zu geben.

    Kapern: Sie haben eben, Herr Gerhardt, das Wort der Inventur verwendet. Bei einer Inventur zählt man, was man hat, und lässt dann alles an seinem Platz.

    Gerhardt: Ich glaube, bei einer Inventur muss man auch sagen, welche neuen Ideen man vorlegen kann, denn im Grunde genommen geht es ja nicht nur um Gegenstände, mit denen wir hantieren; es geht um die innere Philosophie unseres Denkens. Die muss wieder vermittelt werden. Wir sind ja mehr als nur Marktwirtschaftspartei. Wir sind mehr als nur Steuersenkungspartei. Wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik die Bildung als Bürgerrecht benannt. Wir wollen, dass Deutschland seinen Platz im Blick auf seine Geschichte, aber auch auf die Herausforderung findet. Also die Liberalen haben ja nun ein Stück Erfahrung, sie haben ein Stück innere Philosophie, und das müssen wir nach außen bringen. Allein mit Tagespolitik, oder allein mit Regierungsbeteiligung wird es nicht sein Bewenden haben können.

    Kapern: Jetzt haben Sie gerade genannt, Herr Gerhardt, die Bürgerrechte, Sie haben genannt den Atomausstieg, Sie haben genannt die Forcierung der erneuerbaren Energien. Wann schlagen Sie die Fusion mit den Grünen vor?

    Gerhardt: Ich schlage keine Fusion mit den Grünen vor, denn die Grünen sind in einem bestimmten Sinne halbe Modernisierer. Sie gehen die Fragen dann, wenn sie ernsthafter werden, der Wirtschaftsordnung und der tatsächlichen, auch schwierigen Entscheidungen, die zu treffen sind, auch gegen manche Widerstände, wenn man die Regenerativen voranbringen will, ja nicht an. Die Grünen finden wir jetzt in dem großen Sieg, den sie erfochten haben. Wir werden sie aber sehr wahrscheinlich dann bei jeder Infrastrukturmaßnahme wieder als Gegner finden, die eigentlich notwendig ist, um das zu tun, was die Menschen haben möchten: eine sichere Energieversorgung auf anderer Basis. Deshalb: Man sieht sich im Leben immer zweimal, und die FDP hat auch in Zukunft Chancen.

    Kapern: Wenn der Prozess, vor dem die FDP jetzt steht, Herr Gerhardt, so schwierig ist, ist es dann klug, wenn derjenige, der diesen Prozess federführend leiten muss, dann gleichzeitig noch Außenminister ist?

    Gerhardt: Ich glaube, dass die FDP jetzt nicht jeden Tag wieder mit einzelnen Personalvorschlägen und mit Antworten auf Fragen, für die wir auch einige Tage Zeit brauchen, die Öffentlichkeit in Beschlag nimmt. Wir haben einen Bundesparteitag in diesem Frühjahr, wir haben jetzt Landesparteitage, Guido Westerwelle hat selbst die Landesvorsitzenden und weitere Entscheidungsträger zu einem Gespräch eingeladen. Ich glaube, das ist schon der richtige Weg, denn auch wenn es Veränderungen gibt, muss man mit Menschen, die Verantwortung haben, auch vernünftig umgehen und man muss ihnen auch die Zeit einräumen, selbst nachzudenken.

    Kapern: Angela Merkel – und damit zur letzten Frage, Herr Gerhardt – hat ja gesagt, dass die Realität nach dem Moratorium eine andere sein werde als vor dem Moratorium. Kann man das auf den nächsten FDP-Parteitag übertragen, so nach dem Motto, nach dem Parteitag wird der Vorstand ein anderer sein als vor dem Parteitag?

    Gerhardt: Ich glaube, dass es Veränderungen geben wird. Welche Dimension sie nehmen, wird in den nächsten Wochen mit Sicherheit deutlich werden. Aber jedem Mitglied der FDP ist klar, dass wir einen Neustart unternehmen müssen.

    Kapern: Wolfgang Gerhardt, der Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung, heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören, Herr Gerhardt.

    Gerhardt: Auf Wiederhören, Herr Kapern!