Doris Simon: Seit über drei Jahren gibt es das amerikanische Lager Guantanamo Bay auf Kuba. Über 500 Menschen werden in dem Lager festgehalten, Männer, die die US-Regierung als feindliche Kämpfer betrachtet. Die Männer kommen aus Afghanistan und Pakistan, aus Nordafrika, dem nahen Orient, aber auch aus Deutschland. Die üblichen Regelungen für Häftlinge oder Kriegsgefangene gelten für sie nicht. Menschenrechtsorganisationen haben immer wieder auf körperliche und psychische Folter in Guantanamo hingewiesen. Gestern nun hat der US-Senat Richtlinien verabschiedet, nach denen die brutale, unmenschliche und entwürdigende Behandlung von ausländischen Gefangenen bei Verhören verboten ist. Präsident Bush hat diese Entscheidung des Senats als Einmischung in seine Vollmachten kritisiert und sein Veto angekündigt. Am Telefon ist nun Bernhard Docke, er ist Anwalt von Murat Kurnaz. Dieser 27jährige, in Bremen geborene Türke ist seit bald vier Jahren in US-Gewahrsam. Herr Docke, gehen Sie davon aus, dass sich etwas ändern wird nach diesen Entscheidungen für Ihren Mandanten, für die anderen in Guantanamo?
Bernhard Docke: Ja, noch sind diese Richtlinien ja nicht in Kraft, darüber gibt es noch eine parlamentarische Auseinandersetzung im Vermittlungsausschuss. Die Regierung hat angekündigt, möglicherweise Veto einzulegen, aber wenn man sich mal ansieht, was der Senat beschlossen hat: Grausame, unmenschliche und demütigende Behandlung soll verboten sein. Eigentlich wird hier etwas völlig Selbstverständliches betont und auch etwas, was schon seit langem verboten ist. Es ist verboten nach der Genfer Konvention, nach der Anti-Folter-Konvention und auch nach dem so genannten Field Manual der US Army.
Simon: Die USA haben ja die Gefangenen nach Guantanamo Bay auf Kuba getan mit dem Argument, das sei dann nicht US-Rechtsgebiet. Im letzten Jahr hat der oberste Gerichtshof nun geurteilt, Guantanamo Bay gehöre sehr wohl rechtlich zu den USA. Es hat in der Zeit viel Protest auch aus den USA gegen das Lager gegeben, gegen die Haftbedingungen, jetzt diese neue Forderung des Senats nach den Richtlinien. Verändert sich etwas in der öffentlichen Meinung in den USA?
Docke: Ja, in der öffentlichen Meinung hat sich im letzten Jahr viel verändert und einer der wesentlichen Punkte war die Supreme-Court-Entscheidung Ende Juni. Und das Augenmerk geriet auf Guantanamo unter anderem über das, was über Abu Ghraib bekannt wurde. Und als dann klar war, dass alles, was in Abu Ghraib passiert und dokumentiert wurde, vorher auch in Guantanamo exerziert wurde, ist mehr und mehr Empörung gewachsen und haben sich mehr und mehr Leute gefragt, ob das wirklich amerikanisch ist, was dort passiert oder ob das nicht ein Exzess ist, der auch politisch gestoppt werden muss. Wir haben für dein Einzelfall Murat Kurnaz große Geschichten sowohl in der Washington Post wie in der New York Times gehabt, sehr regierungskritisch, die haben gesagt, entweder ihr klagt an, aber ihr habt ja keine Beweise und nichts in der Hand, also lasst die Leute frei.
Simon: Es hat ja in diesem Zusammenhang auch eine US-Bundesrichterin im Januar geurteilt, ihr Mandant Murat Kurnaz sei durch einen "selbstherrlichen, rechtswidrigen Akt ohne Haftbefehl, Haftgründe und Anklage" auf Guantanamo. Also das, was auch in den US-Zeitungen stand. Die US-Regierung hat daraufhin ein Berufungsverfahren angestrebt und das läuft. Wie stehen denn die Chancen für Ihren Mandanten?
Docke: Wir haben gehofft, nach der Entscheidung von Bundesrichterin Greene im Januar - die Entscheidung haben Sie gerade zitiert -, dass Murat Kurnaz kurzfristig freigelassen werden würde, aber statt der Freilassung kam die Berufung, die Regierung hat diese Entscheidung nicht akzeptieren wollen und wir haben jetzt jüngst am 8. September die mündliche Anhörung im Berufungsrechtsstreit vor dem Federal Court of Appeals in Washington gehabt. Die Entscheidung wird in zwei bis vier Wochen erwartet und aus der mündlichen Anhörung hat mein amerikanischer Kollege, der dort vertreten war, sowie die amerikanische Presse den Schluss gezogen, dass die Tendenz gegen Bush geht, dass die Richter also, obwohl sie als sehr konservativ gelten, sich nicht mit der Rechtsauffassung der Bush-Regierung, dass Richter in Guantanamo nichts zu suchen hätten, anfreunden konnten.
Simon: Wenn das Berufungsgericht so entscheidet, kommt dann Murat Kurnaz frei oder was passiert dann?
Docke: Nein, wenn das Berufungsgericht in unserem Sinne entscheidet, dann kann die Regierung nochmals Rechtsmittel zum Supreme Court einlegen, und erst wenn dieser Verfahrensgang, das wird erst im Juni nächsten Jahres sein, zu Ende ist, kommen wir auf die untere gerichtliche Ebene zurück, wo wir dann direkt an den Haftbefehl rangehen können.
Simon: Und bis dahin ist nichts klar. Wie erklären Sie es sich eigentlich, dass sehr viele europäische Inhaftierte in Guantanamo inzwischen in ihre Heimatländer haben zurückkehren können, teilweise wurde sie da noch oder werden da noch in Verfahren festgehalten, aber sie sind zurück in Großbritannien, Spanien und Schweden. Murat Kurnaz aber nicht.
Docke: Warum Murat Kurnaz überhaupt noch in Guantanamo sitzt, das ist uns allen ein Rätsel. Wir kennen die Akten des Pentagon, daraus ist ersichtlich, dass man nichts gegen ihn in den Händen hat. Warum er nicht wie andere auch freigelassen wird, wir verstehen es nicht. Ein Grund mag sein, dass Murat Kurnaz nicht so eine starke diplomatische und politische Lobby hat wie andere, weil er in Deutschland aufgewachsen ist und die türkische Staatsangehörigkeit hat, so dass er in eine Art diplomatisches Versorgungsloch zwischen diesen beiden Ländern fällt. Das mag ein Grund sein. Es ist aber so, dass niemand, also auch von denen, die sehr viel von Guantanamo und den Hintergründen verstehen, in diesem Einzelfall nachvollziehen kann, warum er nicht längst freigelassen ist. Und das ist für die Familie und für Herrn Kurnaz selber natürlich ein ganz bitteres seelisches Nervenspiel.
Simon: Stichwort Familie. Bis auf den Kontakt zu ihrem amerikanischen Kollegen, seinem amerikanischen Anwalt, gibt es für Murat Kurnaz bislang keinerlei Kontakt nach außen.
Docke: Ja, das ist richtig, es gibt nur Kontakt über meinen amerikanischen Kollegen, der ihn bislang dreimal besuchen konnte und auch dieser Kontakt ist nicht etwa freiwillig genehmigt worden, sondern den mussten wir mühsam gerichtlich erstreiten, weil das Pentagon sagt: Gut, nachdem der Supreme Court entschieden hat, dürfen die zwar Gerichte anrufen, aber das können sie auch ohne Anwalt, dafür brauchen sie keinen. Selbst so eine Selbstverständlichkeit mussten wir erstmal gerichtlich durchsetzen.
Bernhard Docke: Ja, noch sind diese Richtlinien ja nicht in Kraft, darüber gibt es noch eine parlamentarische Auseinandersetzung im Vermittlungsausschuss. Die Regierung hat angekündigt, möglicherweise Veto einzulegen, aber wenn man sich mal ansieht, was der Senat beschlossen hat: Grausame, unmenschliche und demütigende Behandlung soll verboten sein. Eigentlich wird hier etwas völlig Selbstverständliches betont und auch etwas, was schon seit langem verboten ist. Es ist verboten nach der Genfer Konvention, nach der Anti-Folter-Konvention und auch nach dem so genannten Field Manual der US Army.
Simon: Die USA haben ja die Gefangenen nach Guantanamo Bay auf Kuba getan mit dem Argument, das sei dann nicht US-Rechtsgebiet. Im letzten Jahr hat der oberste Gerichtshof nun geurteilt, Guantanamo Bay gehöre sehr wohl rechtlich zu den USA. Es hat in der Zeit viel Protest auch aus den USA gegen das Lager gegeben, gegen die Haftbedingungen, jetzt diese neue Forderung des Senats nach den Richtlinien. Verändert sich etwas in der öffentlichen Meinung in den USA?
Docke: Ja, in der öffentlichen Meinung hat sich im letzten Jahr viel verändert und einer der wesentlichen Punkte war die Supreme-Court-Entscheidung Ende Juni. Und das Augenmerk geriet auf Guantanamo unter anderem über das, was über Abu Ghraib bekannt wurde. Und als dann klar war, dass alles, was in Abu Ghraib passiert und dokumentiert wurde, vorher auch in Guantanamo exerziert wurde, ist mehr und mehr Empörung gewachsen und haben sich mehr und mehr Leute gefragt, ob das wirklich amerikanisch ist, was dort passiert oder ob das nicht ein Exzess ist, der auch politisch gestoppt werden muss. Wir haben für dein Einzelfall Murat Kurnaz große Geschichten sowohl in der Washington Post wie in der New York Times gehabt, sehr regierungskritisch, die haben gesagt, entweder ihr klagt an, aber ihr habt ja keine Beweise und nichts in der Hand, also lasst die Leute frei.
Simon: Es hat ja in diesem Zusammenhang auch eine US-Bundesrichterin im Januar geurteilt, ihr Mandant Murat Kurnaz sei durch einen "selbstherrlichen, rechtswidrigen Akt ohne Haftbefehl, Haftgründe und Anklage" auf Guantanamo. Also das, was auch in den US-Zeitungen stand. Die US-Regierung hat daraufhin ein Berufungsverfahren angestrebt und das läuft. Wie stehen denn die Chancen für Ihren Mandanten?
Docke: Wir haben gehofft, nach der Entscheidung von Bundesrichterin Greene im Januar - die Entscheidung haben Sie gerade zitiert -, dass Murat Kurnaz kurzfristig freigelassen werden würde, aber statt der Freilassung kam die Berufung, die Regierung hat diese Entscheidung nicht akzeptieren wollen und wir haben jetzt jüngst am 8. September die mündliche Anhörung im Berufungsrechtsstreit vor dem Federal Court of Appeals in Washington gehabt. Die Entscheidung wird in zwei bis vier Wochen erwartet und aus der mündlichen Anhörung hat mein amerikanischer Kollege, der dort vertreten war, sowie die amerikanische Presse den Schluss gezogen, dass die Tendenz gegen Bush geht, dass die Richter also, obwohl sie als sehr konservativ gelten, sich nicht mit der Rechtsauffassung der Bush-Regierung, dass Richter in Guantanamo nichts zu suchen hätten, anfreunden konnten.
Simon: Wenn das Berufungsgericht so entscheidet, kommt dann Murat Kurnaz frei oder was passiert dann?
Docke: Nein, wenn das Berufungsgericht in unserem Sinne entscheidet, dann kann die Regierung nochmals Rechtsmittel zum Supreme Court einlegen, und erst wenn dieser Verfahrensgang, das wird erst im Juni nächsten Jahres sein, zu Ende ist, kommen wir auf die untere gerichtliche Ebene zurück, wo wir dann direkt an den Haftbefehl rangehen können.
Simon: Und bis dahin ist nichts klar. Wie erklären Sie es sich eigentlich, dass sehr viele europäische Inhaftierte in Guantanamo inzwischen in ihre Heimatländer haben zurückkehren können, teilweise wurde sie da noch oder werden da noch in Verfahren festgehalten, aber sie sind zurück in Großbritannien, Spanien und Schweden. Murat Kurnaz aber nicht.
Docke: Warum Murat Kurnaz überhaupt noch in Guantanamo sitzt, das ist uns allen ein Rätsel. Wir kennen die Akten des Pentagon, daraus ist ersichtlich, dass man nichts gegen ihn in den Händen hat. Warum er nicht wie andere auch freigelassen wird, wir verstehen es nicht. Ein Grund mag sein, dass Murat Kurnaz nicht so eine starke diplomatische und politische Lobby hat wie andere, weil er in Deutschland aufgewachsen ist und die türkische Staatsangehörigkeit hat, so dass er in eine Art diplomatisches Versorgungsloch zwischen diesen beiden Ländern fällt. Das mag ein Grund sein. Es ist aber so, dass niemand, also auch von denen, die sehr viel von Guantanamo und den Hintergründen verstehen, in diesem Einzelfall nachvollziehen kann, warum er nicht längst freigelassen ist. Und das ist für die Familie und für Herrn Kurnaz selber natürlich ein ganz bitteres seelisches Nervenspiel.
Simon: Stichwort Familie. Bis auf den Kontakt zu ihrem amerikanischen Kollegen, seinem amerikanischen Anwalt, gibt es für Murat Kurnaz bislang keinerlei Kontakt nach außen.
Docke: Ja, das ist richtig, es gibt nur Kontakt über meinen amerikanischen Kollegen, der ihn bislang dreimal besuchen konnte und auch dieser Kontakt ist nicht etwa freiwillig genehmigt worden, sondern den mussten wir mühsam gerichtlich erstreiten, weil das Pentagon sagt: Gut, nachdem der Supreme Court entschieden hat, dürfen die zwar Gerichte anrufen, aber das können sie auch ohne Anwalt, dafür brauchen sie keinen. Selbst so eine Selbstverständlichkeit mussten wir erstmal gerichtlich durchsetzen.