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"Es ist viel Lärm um nichts"

"Tibet ist eine der letzten Kolonien dieser Welt und wir, die wir die Menschenrechte verteidigen, dürfen das nicht unkritisch hinnehmen", betont der Chinaexperte Oskar Weggel. Es gebe keinen Grund, warum die USA den Dalai Lama, der für Gewaltfreiheit und Autonomie stehe, nicht empfangen sollte.

Oskar Weggel im Gespräch mit Stefan Heinlein | 19.02.2010
    Stefan Heinlein: Barack Obama und die Außenpolitik, auch nach über einem Jahr im Amt wird der US-Präsident daheim in den USA immer noch von vielen mit Misstrauen beäugt. Die Republikaner pflegen das Bild vom außenpolitischen Novizen, nur begrenzt in der Lage, die Großmacht durch schwieriges Fahrwasser zu steuern. Der Empfang des Dalai Lama im Weißen Haus war deshalb auch ein innenpolitisches Signal. Der US-Präsident wollte Stärke zeigen, auch gegenüber der Weltmacht China. Dennoch eine Gratwanderung.

    Trotz der deutlichen Versuche also des Präsidenten, eine Provokation Pekings zu vermeiden, kam es wie zu erwarten und wie nach jedem Auslandsbesuch des Dalai Lama. Die chinesische Staats- und Parteiführung reagiert empört, der US-Botschafter wird zum Rapport einbestellt und China droht mit einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen.

    Am Telefon ist nun der Asien- und Chinaexperte Oskar Weggel. Guten Tag, Herr Weggel.

    Oskar Weggel: Guten Tag, Herr Heinlein!

    Heinlein: Die Empörung in Peking, ist das mehr als ein Ritual?

    Weggel: Nein. Es ist viel Lärm um nichts. Sie wissen ganz genau, dass Obama den Dalai Lama empfangen musste. Innenpolitisch ist der Dalai Lama in den USA genauso populär wie ein Popstar. Er spricht gutes Englisch, er verlangt Gewaltfreiheit, er hat den Nobelpreis 1989 bekommen, er hat ein persönliches Charisma. Also da gibt es keinen Grund, besonders erstaunt zu sein, und das ist auch schon mehrere Male durch andere Staaten geschehen. Ich denke an 2007 beispielsweise, dort wurde der Dalai Lama empfangen von Angela Merkel, er wurde empfangen in der Schweiz, in Österreich, in Spanien, in Großbritannien, in Belgien und so weiter. Man hat natürlich jedes Mal die üblichen Worte dazu gewählt und protestiert, aber dann ist das Ganze wie nichts im Sande verlaufen.

    Heinlein: Was sind dennoch die Gründe, warum Peking geradezu jedes Mal dann hysterisch reagiert auf den Empfang des Dalai Lama, egal wo?

    Weggel: Sie haben halt ein schlechtes Gewissen und die Pekinger wissen auch ganz genau, dass in ihrer Verfassung von 1982 drin steht, dass jede Minderheit eine Autonomie – und die ist ganz genau definiert – bekommt. Sie wissen auch, dass der Dalai Lama gewaltfrei das Ganze verlangt. Gewaltfreiheit und Autonomie, das ist ein dickes Paket, das müsste man sich zu Herzen nehmen. Das tun sie allerdings nicht. Sie verstoßen dagegen. Da ist viel Animosität mit im Spiel, nicht zuletzt, weil Hu Jintao, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, der Vorsitzende des Militärausschusses in China und der Staatspräsident – er hat diese drei großen Funktionen -, längere Zeit der Gouverneur in Tibet war. Das sind also ganz merkwürdige Anliegen. Man beißt sich da durch, man weiß, man ist im Unrecht, man weiß, dass die übrige Welt sowohl die chinesischen Argumente mit ins Spiel führen kann als auch menschenrechtliche, und man muss sich dagegen wehren und man fühlt sich natürlich sehr, sehr unwohl in seiner Haut, will aber trotzdem auf den Rechten bestehen, die sich vielleicht nicht dauernd aufrecht erhalten lassen, denn eines Tages, wenn die chinesische Gesellschaft sich nämlich mal demokratisiert und man mit einer Zivilgesellschaft sich unterhalten kann, dann werden möglicherweise in China zur Tibet-Frage ganz andere Positionen eingenommen, als dies heute von dieser immer noch sehr autoritären Regierung getan wird.

    Heinlein: Wie stichhaltig, Herr Weggel, sind denn die Vorwürfe der chinesischen Staats- und Parteiführung, der Dalai Lama sei ein Separatist?

    Weggel: Das ist ein Vorwurf, der mich persönlich nun ganz besonders ärgert. Übrigens seit Tagen wird berichtet, dass Obama und der Dalai Lama sich treffen werden, aber in der deutschen Öffentlichkeit wird das chinesische Argument des Separatismus, der Separatismusbestrebungen, der Spalterbestrebungen des Dalai Lama immer unkritischer hingenommen, entgegengenommen, und das ist für jeden ärgerlich, der sich mit beiden Ländern beschäftigt.

    Ich gebe zu bedenken, dass China und Tibet sich zueinander verhalten wie Feuer und Holz. Wenn wir da vom Ausland her nicht löschen, dann wird das geschehen, was immer dann geschieht, wenn Feuer und Holz zusammenkommen.

    Zweitens – ich wiederhole mich noch mal – verlangt der Dalai Lama nichts anderes als Autonomie, und das Ganze in gewaltloser Form. Da gibt es also ganz andere Organisationen wie die tibetische Jugendorganisation, die beispielsweise Gewalt predigt. Noch billiger, nochmals, als vom Dalai Lama kann man die Tibet-Frage überhaupt nicht gelöst bekommen.

    Drittens halte ich die chinesischen Besitzansprüche auf Tibet, die mit drei Argumenten begründet werden, für unberechtigt. Weder ist ein historischer Besitzanspruch da, noch ist Tibet von China befreit worden, denn die Tibeter wollten gar nicht von China befreit werden, und auch das Leistungsargument, das heute so beliebt ist in China, dass man nämlich Universitäten und Schulen, Eisenbahnen und so weiter gebaut hat, das ist genauso berechtigt, wie wenn Großbritannien beispielsweise auf Indien einen Daueranspruch erhoben hätte, weil es eben dort Eisenbahnen gebaut hat.

    Tibet ist – das sollte man sich ganz klar vor Augen halten und das sollte man in dieser Härte auch ausdrücken – eine der letzten Kolonien dieser Welt und wir, die wir die Menschenrechte verteidigen, dürfen das nicht unkritisch hinnehmen.

    Heinlein: Mehr Rechte für Tibet, so kurz gefasst das Ziel des Dalai Lama. Wie erfolgversprechend ist denn seine Strategie, dieses Thema in der Weltöffentlichkeit zu halten, indem er bei möglichst vielen Empfängen oder von möglichst vielen Staats- und Regierungschefs empfangen wird?

    Weggel: Zunächst einmal erhält er einfach den Anspruch aufrecht und er weiß natürlich auch, wenn er eines Tages stirbt – und er ist jetzt 75 Jahre alt -, dann werden die Chinesen alles verhindern, dass seine Nachfolge ernannt wird. Er muss also diesen Anspruch jetzt ganz groß aufbauen. Allerdings wenn sein Tod eher eintreten sollte als eine Demokratisierung Chinas, dann wird es peinlich, dann gehen viele dieser Ansprüche von ihm, diese Autonomieansprüche verloren. Deswegen kann man nur hoffen, dass die chinesische Gesellschaft, das heißt der chinesische Mittelstand, möglichst schnell Partizipationsrechte einfordern kann, sodass es zu einer Demokratisierung in China kommt und eine völlig neue Gesprächssituation entsteht.

    Heinlein: Welches Interesse haben denn die USA, welches Interesse hat der US-Präsident an diesem Thema Tibet?

    Weggel: Wie gesagt, der US-Präsident muss zunächst einmal den innenpolitischen Erwartungen nachkommen. Ich wiederhole das noch mal: Der Dalai Lama ist eben populär wie ein Popstar. Es hat übrigens damals geheißen, als der Dalai Lama nach Deutschland kam, im Jahre 2007 hat der "Spiegel" eine Umfrage veranstaltet, da hat es dann geheißen, dass der Dalai Lama populärer ist als Papst Benedikt XVI. So muss man sich das auch ungefähr vorstellen.

    Der zweite Grund ist eben der menschenrechtliche Grund. China hat sich in Tibet benommen wie die Axt im Walde und vor allem während der Kulturrevolution in den Jahren 1966 bis 1976 sind Tausende von tibetischen Tempeln zerstört worden und die tibetische Kultur wäre beinahe extertiert worden. Es ist deswegen auch zu Aufständen immer wieder gekommen. Die größten waren davon 1959, 1988, 2008 am Vorabend der Olympischen Spiele, und wenn ein Land wie die USA, die sich stark für die Menschenrechte engagieren, hier nichts tun, dann wäre das eine Schande.

    Vielleicht noch einen dritten Grund, warum die USA sich für Tibet so interessieren sollten. Wir dürfen uns China – das ist jetzt eine allgemein strategische Frage – niemals anbiedern, sonst verlieren wir Gesicht und werden von den Chinesen gar nicht mehr ernst genommen, sondern wir müssen mit China immer ernsthaft in Diskussion bleiben. Die kennen unseren Standpunkt und dieser menschenrechtliche Standpunkt muss aufrecht erhalten werden, koste es was es wolle. Der amerikanische Präsident kann sich das auch deswegen leisten, weil die schlimmen Folgen für die US-amerikanische Wirtschaft natürlich lächerlich sind, wie sie von den Chinesen behauptet werden. Auf keine andere Volkswirtschaft sind die Chinesen stärker angewiesen als auf die Amerikaner. Das heißt, die sind Hauptabnehmer chinesischer Güter, sie sind Hauptinvestoren dort. Sonst wären beispielsweise die Chinesen niemals Exportweltmeister in diesem Jahr geworden. Dann haben sie ungefähr 800 Milliarden US-Dollar in amerikanische State Trasheries angelegt. Wenn der Dollar beispielsweise abdriftete, wären die Chinesen mit die Hauptverlierer, und und und.

    Heinlein: Der Tibet-Konflikt in der internationalen Politik. Dazu heute Mittag hier im Deutschlandfunk der Asien- und China-Experte Oskar Weggel. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Weggel: Gerne! – Auf Wiederhören!