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"Es ist zu unschönen Szenen gekommen"

Hendrik Sander, Sprecher der globalisierungskritischen Organisation Attac, ist von der Friedfertigkeit eines Großteils der Demonstranten beim Klimagipfel in Kopenhagen überzeugt. Unverhältnismäßige Härte der Polizei gegenüber den Protestierenden hätte aber die Gewaltbereitschaft erhöht.

Hendrik Sander im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Der Schutz des Klimas ist heute auch ein Thema im Düsseldorfer Landtag. Doch wer nun glaubt, die schwarz-gelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen werde eine parlamentarische Mehrheit für strengere CO2-Emissionsregeln suchen, der täuscht sich. Nein, es geht CDU und FDP vielmehr darum, einen Paragrafen zu streichen, der bislang eigentlich der Art der Energiegewinnung in Nordrhein-Westfalen Grenzen setzte.

    Wir haben es gehört: Bei den Klimaverhandlungen in Kopenhagen zeichnet sich noch kein Durchbruch ab. Neben diesen inhaltlichen Sorgen macht den Veranstaltern in Kopenhagen auch die Sicherheitslage zu schaffen. In den ersten Tagen der Konferenz sorgten gewaltbereite Ausschreitungen am Rande für zerstörte Autos und fliegende Steine. Die dänische Polizei nahm seit Konferenzbeginn über 1500 Demonstranten fest, die meisten vorübergehend. Wegen dieses harten Vorgehens wurde sie von vielen Seiten kritisiert. Heute haben wiederum einige radikale Gruppen angekündigt, das Gipfelgelände stürmen zu wollen. Die Geschichte der Proteste auf Großveranstaltungen, die sich dann einige Randalierer zu Nutze machen, sie ist schon einige Jahre alt und sie reicht von den Weltwirtschaftsforen in Davos bis hin zu den G8-Gipfeln in Heiligendamm.

    Am Telefon ist nun einer derjenigen, der die Proteste beim Klimagipfel in Kopenhagen friedlich organisieren will: Hendrik Sander, Sprecher der globalisierungskritischen Organisation Attac. Guten Morgen!

    Hendrik Sander: Guten Morgen.

    Engels: Wie haben Sie die bisherigen Tage in Kopenhagen aus der Perspektive eines Demonstranten erlebt?

    Sander: Meine Bilanz ist eher eine gemischte, wenn ich vor allen Dingen auf den Samstag blicke, auf die Großdemonstration. Dort haben wir eine eher friedliche, eine sehr starke Demonstration erlebt. Über 100.000 Menschen waren dort aus ganz verschiedenen Ländern vor Ort zum Demonstrieren. Aber gleichzeitig ist es eben auch zu unschönen Szenen gekommen und das wurde gerade schon mal bei Ihnen angesprochen. Hier muss ich insbesondere betonen, dass von der Polizei ein sehr unverhältnismäßiges Verhalten zu beobachten war, da sie zumindest für uns aus unersichtlichem Grund 1000 Menschen in einen Kessel genommen hat, dann auch den größeren Teil vorübergehend in Gewahrsam genommen hat, die Menschen stundenlang auf dem eiskalten Asphaltboden sitzen mussten. Hier muss man auch deutlich sagen, dass die Polizei da eine Mitschuld trägt, dass hier die Proteste immer wieder in Gewalt ausarten.

    Engels: Nun sind allerdings auch unter den Demonstranten immer wieder vereinzelt Gewalttäter, die auch ganz bewusst provozieren wollen. Machen Sie sich es da nicht etwas einfach, die Verantwortung allein der Polizei zu geben?

    Sander: Das ist sicher richtig, aber wenn Sie sich zum Beispiel anschauen – Sie haben auch eben schon die Aktion am heutigen Tag angesprochen -, die steht eben ganz explizit unter dem Vorzeichen des zivilen Ungehorsams. Das heißt, da werden möglichst viele Menschen tatsächlich friedliche Mittel versuchen, mit dem Einsatz ihres Körpers möglichst nah an das Gipfelgelände heranzukommen, eben nicht, um dort alles auseinanderzunehmen oder Ähnliches, sondern um ganz klar mit vielen verschiedenen Menschen eben auch aus dem globalen Süden eine Botschaft an die Weltöffentlichkeit zu senden, dass die bisherigen Verhandlungen dem Problem einfach nicht angemessen sind, vor allen Dingen, dass die Gerechtigkeitsdimension, sprich insbesondere das Verhältnis zwischen Nord und Süd, vollkommen unzureichend berücksichtigt wird und dass wir eigentlich ein ganz anderes Klimaabkommen bräuchten, das tatsächlich dem Klimawandel Herr werden könnte. Das wollen wir mit dieser ganz deutlichen Aktion in die Öffentlichkeit bringen.

    Engels: Herr Sander, Sie sprechen den berechtigten friedlichen Protest und zivilen Ungehorsam an. Allerdings: Die Szene der Nichtregierungsorganisationen, die auf der Straße protestieren, ist ja zersplittert und neben den friedlich protestierenden Gruppen wie eben Attac gibt es auch radikale Plattformen wie "Never trust a Cop" oder "Climate Justice Action" und diese Organisationen sagen deutlich, dass sie den Gipfel lahmlegen wollen, zum Teil auch mit Gewalt. Muss sich Attac nicht da deutlicher abgrenzen?

    Sander: Da würde ich doch gerne noch mal ein Stück weit differenzieren. Sie sprechen gerade dieses Netzwerk "Climate Justice Action" an. Das hat die Aktion wesentlich vorbereitet, die heute stattfinden soll, und dieses Netzwerk sagt auch ganz explizit, es geht hier um zivilen Ungehorsam, wir wollen keine gewaltsamen Ausschreitungen, und ich bin auch zuversichtlich, dass dieser Aktionskonsens eingehalten wird.

    Engels: Aber das Grundproblem besteht ja darin, dass sich vielleicht unter die friedlichen Demonstranten immer wieder Provokateure ganz bestimmter radikaler Gruppen mischen. Wie können Sie auch aus der Erfahrung der vergangenen Jahre da besser sicherstellen, vielleicht auch gemeinsam im Gespräch mit den Sicherheitskräften, dass es eben nicht zu Ausschreitungen kommt?

    Sander: Wenn wir beispielsweise den G8-Gipfel in Heiligendamm anschauen, dort gab es ganz unterschiedliche Protesttage und da gab es unter anderem ja auch diese G8-Blockaden, wo tatsächlich mit vielen Tausenden Menschen friedlich die Zugangsstraßen blockiert wurden. Dort ist es trotz einer unübersichtlichen Lage, trotz einer angespannten Stimmung im Vorhinein gelungen, einen zumindest von der Demonstrantenseite aus vollkommen friedlichen Protest hinzubekommen, und ich bin zuversichtlich, dass das auch heute wieder gelingen kann.

    Engels: Es kann gelingen. Noch mal die Frage: Muss sich Attac dann auch von gewissen kleinen radikalen Gruppen noch deutlicher abgrenzen, räumlich und auch inhaltlich?

    Sander: Natürlich. Ich muss ganz klar sagen, dass Attac sich nur friedlicher Mittel bedient und insofern auch mit diesen Aktionen nicht solidarisch ist. Aber inhaltlich gibt es ja durchaus einen Bezugspunkt, weil auch wir deutlich sagen, dass der Klimawandel selbst auch eine Form von Gewalthaftigkeit ist, insofern, dass durch den westlichen Lebensstil, aber auch durch das Agieren konkreter Konzerne – ich habe gerade in Ihr Programm reingehört; es wurde von einem Kohlekraftwerksbau von E.On beispielsweise gesprochen – es ganz konkrete Akteure gibt, die den Klimawandel verursachen und ein millionenfaches Leid auf der Welt verursachen, und das ist auch eine Form von Gewalt. Dagegen gilt es zu protestieren, natürlich mit friedlichen Mitteln, aber diese Seite möchte ich eben auch betonen.

    Engels: Hendrik Sander, Sprecher der globalisierungskritischen Organisation Attac. Er ist einer der Organisatoren der friedlichen Proteste beim Klimagipfel und wir haben ihn in Kopenhagen direkt erreicht. Ich danke für das Gespräch.

    Sander: Ebenso. Danke schön!