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"Es kann ein reiner brutaler krimineller Akt sein"

Der Leiter der "Die Grünhelme", Rupert Neudeck, hat die Entführung eines ehemaligen deutschen Mitarbeiters seiner Hilfsorganisation in Afghanistan bestätigt. Der 42-jährige Schreiner aus Süddeutschland sei auf dem Wege von Herat in das Dorf Toteschi verschleppt worden. Der Grund für die Tat könne rein krimineller Natur sein. Eine Stammesfehde als Ursache sei jedoch auch nicht auszuschließen.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Die Hintergründe der Verschleppung des Deutschen in Afghanistan sind weiterhin nicht geklärt. Auch in Berlin gibt es sehr viele Fragezeichen.
    Bei uns am Telefon ist nun Rupert Neudeck, Chef der Hilfsorganisation Grünhelme. Guten Morgen!

    Rupert Neudeck: Guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Herr Neudeck, haben Sie Kontakt gehabt zu Bekannten in Herat?

    Neudeck: Ja. Ich habe sowohl Kontakt zu unserem Mitarbeiter dort in Herat selbst, der in den Dörfern gerade dabei ist, wieder zwei neue Schulen aufzubauen, und ich habe auch zu Mitarbeitern von Cap Anamur, die in Karabok tätig sind, Kontakt gehabt. Die haben das nun sehr nah miterlebt oder mitbekommen. Es ist in der Tat so: die Entführung kann nicht mehr bestritten werden. Harald K. ist in der Tat auf dem Wege von Herat in ein Dorf - das liegt im Nordwesten des Landes zur iranischen und zur turkmenischen Grenze und heißt Toteschi - entführt worden. Seine Frau, sein Kind, sein Schwager sind nicht entführt worden. Das ist der blanke Befund, den wir haben. Das Ganze deutet aber eben darauf hin: Es ist eine Entführung und das ist in Afghanistan eine ziemlich schlimme Sache, weil es ja keine Polizeiverhältnisse gibt, wo man sich darauf berufen kann, dass jetzt die Polizei ausgeschickt wird, um diese Entführung zu beenden.

    Müller: Wir müssen ein wenig weiter spekulieren, Herr Neudeck. Könnte es familiäre Hintergründe haben?

    Neudeck: Alles kann es sein. Es kann ein reiner brutaler krimineller Akt sein, weil wir ja in Afghanistan landesweit wissen, dass man bis an fünf Millionen Euro für eine Entführung verdienen kann. Das wissen alle Banden, die dort tätig sind. In dem Land sind nach 23 Jahren Krieg die Verhältnisse natürlich nicht so, dass man diese alle schon zur Ruhe gebracht hat oder ins Gefängnis gebracht hat. Es kann natürlich auch eine alte Rechnung sein zwischen zwei Dörfern. Harald K. ist verheiratet mit einer Frau aus einem Dorf. Da sind bestimmte Stammesverhältnisse. Das nächste Dorf ist schon wieder ein anderes ethnisch bestimmtes Dorf. Das kann aus der Kriegszeit noch herrühren. Es kann auch sein, dass es einen privaten Hintergrund hat, den ihr Korrespondent eben erwähnt hat. Also alles das ist möglich. Wir haben leider in Afghanistan keine Möglichkeit, über Polizeierkenntnisse etwas zu haben, weil es gibt noch keine richtige fundierte Polizei, die uns Aufklärung gibt.

    Müller: Harald K. hatte für die Grünhelme gearbeitet. Wie gut kannten Sie ihn?

    Neudeck: Wir kannten ihn natürlich gut, weil wir jeden Mitarbeiter eigentlich so gut kennen wie fast in einer Familie. 2003 hat er sich bei uns beworben. Er hatte den richtigen Beruf, er hatte die richtige Einstellung des Respekts zu Afghanen. Er hat dann die ersten zwei Schulen in dem Dorf Toteschi mit aufgebaut mit einem Architekten aus Hamburg, den wir auch für die Grünhelme gewonnen hatten. Er hat dann als Tischlermeister, der er war, eine Tischlereiwerkstatt und eine kleine Berufsschulausbildung dort für junge Afghanen gemacht. Dann ging diese Zeit zu Ende. Er hat dann geheiratet, ist zum Islam übergetreten. Das alles konnte ich natürlich nicht nur nicht schlecht finden, sondern ich war eigentlich eher dabei, das gut zu finden, wie er sich in diese Gesellschaft integriert hat. Er hat dann geheiratet, ein Kind bekommen. Wir hatten allerdings einigen Ärger mit ihm. Das muss ich bestätigen. Deshalb gibt es auch weiter diese Forderung der Rückgabe der veruntreuten Gelder.

    Müller: Um da noch mal nachzufragen. Sie können diese Betrugsvorwürfe ausdrücklich bestätigen?

    Neudeck: Ja, ich kann das bestätigen. Eindeutig, ja!

    Müller: Reden wir über die allgemeine Situation von Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, vielleicht auch von deutschen Mitarbeitern in Afghanistan. Ist die Situation unsicherer geworden?

    Neudeck: Eindeutig ja! Wir haben ja auch daraus die Konsequenz gezogen. Wir hatten 2006 einen Angriff, ein Attentat auf zwei unserer deutschen Mitarbeiter in Boson, einem Dorf, wo auch eine Schule aufgebaut werden sollte. Danach haben wir als Organisation uns entschlossen, keinen rein deutschen Mitarbeiter mehr nach Afghanistan zu schicken. Das ist übrigens auch im Moment gar nicht mehr der Fall, dass sich bei uns jemand bewirbt für Afghanistan. Dafür hat sich die Sicherheitslage auch über die Medien so zugespitzt, dass das keiner mehr tut. Wir haben aber eine Möglichkeit, die Arbeit weiter zu tun, weil es insgesamt an die 40.000 Afghanen in Deutschland gibt, die genau die richtigen Berufe haben für diese Arbeit, nämlich sie sind Bauingenieure, Architekten, sie sind Lehrer, sie sind Ärzte, Ärztinnen. Wir haben ein großes Potenzial an Deutsch-Afghanen, die man jetzt werben kann für diesen Einsatz in Afghanistan. Es gab am Wochenende eine große Konferenz der afghanischen Diaspora hier in Iserlohn im Sauerland. Da war auch ein Minister aus Kabul dabei und wir haben uns wieder darüber unterhalten. Es ist möglich, diese Arbeit jetzt weiterzuführen, vielleicht sogar zu verstärken, weil wir dieses große Potenzial an deutschen Afghanen in Deutschland haben. Die müssten bereit sein, jetzt diese Arbeit zu übernehmen.

    Müller: Andererseits, Herr Neudeck, sagen Sie eindeutig ja auf die Frage "ist es unsicherer geworden für Deutsche". Warum ist dieser Bonus für Deutsche in Afghanistan offenbar aufgebraucht?

    Neudeck: Das ist eine ganz schlimme Sache. Wir haben es nicht geschafft. Ich hatte vor zwei Jahren Joschka Fischer, unseren Außenminister, noch mal eindringlich darauf hingewiesen, dass es gut wäre bei der Gemengelage, in der sich Afghanistan jetzt befindet, dass wir Deutschen uns mit unserem guten Ruf, der seit Jahrhunderten andauert und der auch eigentlich nicht verloren ist, der noch nicht verloren gegangen ist, von den amerikanischen Machenschaften in den Südprovinzen distanzieren, weil wir gelten natürlich als die Verbündeten der Amerikaner. Die Amerikaner haben eine Methode, die wirklich mit Sitten und Gebräuchen der Afghanen nicht übereinkommt. Sie hauen einfach rein in Häuser, in umfriedete Bezirke, gehen in die Frauengemächer, haben das alles gemacht, haben auch immer wieder sogar Hochzeitsgesellschaften bombardiert, sind immer wieder dabei, Übergriffe zu machen, sich nicht entsprechend den Gewohnheiten und Sitten und Gebräuchen des Paschtunwali, des großen Ehrenkodex der Afghanen zu benehmen. Da hat die Bundesregierung glaube ich, haben auch die deutschen Organisationen nicht Entscheidendes getan, damit der Ruf der Deutschen weiter so geblieben ist, dass wir ungefährdet waren. Ich besinne mich, dass ich 2002 durch das Land gefahren bin mit einem Abgeordneten des Bundestages, Ulrich Kasparick. Der ist jetzt Staatssekretär im Verkehrsministerium. Damals war der erste Anschlag auf deutsche Soldaten in Kabul. Man entsinnt sich vielleicht: Da gab es eine Rückkehr von einigen Soldaten. Die fuhren zum Flughafen von Kabul und wurden dabei ermordet. Wir sind in jedem Dorf angesprochen worden von Afghanen, die uns kondoliert haben. Weil wir Deutsche waren hat man uns gesagt, das können nicht Afghanen sein, die diese Deutschen umgebracht haben. Diese Situation - das muss ich leider sagen - hat sich ein bisschen geändert. Ich hoffe, dass es noch gelingt durch einen großen Umschwung, jetzt diese Situation für uns Deutsche als die besten Freunde der Afghanen noch weiter zu retten, aber dafür wäre es notwendig, dass wir wieder 75 Prozent unserer Anstrengungen in den Wiederaufbau und in die Zusammenarbeit zur Verstärkung der Wirtschaft in Afghanistan legen und nur noch 25 Prozent für unser Militär ausgeben. Das wäre eigentlich die entsprechende Schlussfolgerung, die ich daraus ziehen würde.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen Rupert Neudeck, Chef der Hilfsorganisation Grünhelme. Vielen Dank für das Gespräch.