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"Es kann nicht abgesendete E-Mails mitlesen"

Die offenbar vom Land Bayern eingesetzte Trojaner-Software kann mehr als erlaubt ist. Das hat der Chaos Computer Club festgestellt. Der frühere FDP-Politiker Burkhard Hirsch sagt, das Programm könne fremden Computern sogar heimlich Dateien unterschieben, zum Beispiel Kinderpornos.

Burkhard Hirsch im Gespräch mit Bettina Klein | 11.10.2011
    Bettina Klein: Es herrscht rechtlich Nachbesserungsbedarf, nicht nur nach Meinung von Computerexperten. Nach den Erkenntnissen des Chaos Computer Clubs über viel zu weit gehende Einsätze staatlicher Überwachungssoftware, deren Qualität und Sicherheit, hat heute Morgen hier im Deutschlandfunk auch die Gewerkschaft der Polizei klarere rechtliche Vorgaben verlangt. Gestern wurde bekannt, dass einer der von den Computerexperten untersuchten Fälle einem bayerischen Ermittlungsverfahren zuzuordnen ist. Dort hatte ein Landgericht bereits im Januar die Praxis für rechtswidrig erklärt.
    Am Telefon begrüße ich den früheren FDP-Politiker und Innenexperten Burkhard Hirsch. Schönen guten Tag!

    Burkhard Hirsch: Einen schönen guten Tag.

    Klein: Herr Hirsch, zunächst mal die Frage: Sie haben das Bundesinnenministerium vorab informiert, dass da Erkenntnisse des Chaos Computer Clubs kommen würden. Was genau ist und war Ihre Rolle dabei?

    Hirsch: Ich bin gebeten worden, das Innenministerium zu informieren, dass an dem kommenden Tag eine Veröffentlichung über den Bundestrojaner erfolgen wird und dabei entstandene Missbrauchsfälle, damit das Innenministerium die Möglichkeit hat, sich zu vergewissern, was im eigenen Bereich läuft und ob durch diese Veröffentlichung irgendwelche Gefährdungen entstehen könnten. Deswegen dieser Vorlauf von einem Tag.

    Klein: Weshalb war das wichtig, Sie als, sagen wir mal, Mittelsmann dort einzusetzen?

    Hirsch: Ich habe eine anwaltliche Verpflichtung übernommen und sie ausgeübt.

    Klein: Herr Hirsch, ist denn jetzt eigentlich zweifelsfrei erwiesen, dass die untersuchte Software im Einsatz war im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren, bei dem das Landgericht Landshut im Januar bereits Rechtswidrigkeit festgestellt habe, denn der bayerische Innenminister Herrmann hat genau das ja bestritten?

    Hirsch: Also der Herr Herrmann, der sollte sich eine rechtsstaatliche Brille beschaffen. Er hat bestritten, dass dabei rechtswidrig vorgegangen worden sei, und daran bestehen ja wohl nach dem Urteil des Landgerichts erhebliche Zweifel, denn wenn sogenannte Screenshots vorgenommen worden sind, also die Bildfläche des Computers immer wieder fotografiert worden ist, dann ist das von jedenfalls der sogenannten Quellen-TKÜ nicht gedeckt. Man muss also sagen, das Bundesverfassungsgericht hat in einer sehr sorgfältigen Entscheidung über die Computervertraulichkeit und –Integrität festgelegt, dass man zwar die sogenannte Quellen-TKÜ machen kann, also verschlüsselte Telefongespräche, die über einen Computer geführt werden, dass man die hören kann. Dann aber hat es gesagt, da muss aber bei der Software, die dabei verwendet wird, geklärt sein, rechtlich und tatsächlich, dass sie nicht mehr kann als eben diese Telefonüberwachung. Die Software – das haben wir in dem Verfahren festgestellt – kann nämlich in Wirklichkeit den gesamten Inhalt eines Computers auslesen, es kann mitschreiben, was geschrieben wird, es kann nicht abgesendete E-Mails mitlesen und man kann sogar als Krönung des ganzen einem Computer heimlich eine Datei unterschieben, also meinetwegen eine kinderpornografische Datei auf einen fremden Computer laden, und der Besitzer dieses Computers merkt davon gar nichts.

    Klein: Aber genau das bestreitet der bayerische Innenminister ja, dass diese Software so viel mehr kann, und sagt, das müsse erst noch geprüft werden.

    Hirsch: Na bitte! Dann soll er prüfen. Dann wird er sehen, dass der Chaos Computer Club mit seiner Analyse genau diese Dinge festgestellt hat, dass das jedenfalls in den Festplatten, die dem Chaos Computer Club vorliegen, möglich ist. Und es gibt ja eine Firma, die gesagt hat, wir haben das Programm hergestellt, wir haben das auch angeboten. Also ich glaube, Herr Herrmann ist sehr gut beraten, wenn er entweder in seinem eigenen Landtag einen Untersuchungsausschuss einsetzen lässt, oder wenn er abwartet, was der Innenausschuss des Deutschen Bundestages in der kommenden Woche dazu feststellen wird.

    Klein: Herr Hirsch, wie klar ist denn die Rechtslage? Die Gewerkschaft der Polizei hat heute Morgen noch mal moniert, dass die Forderungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils aus dem Jahre 2008 eben nicht ausreichend in Gesetze gegossen worden sei, so dass es eben keine eindeutigen Handlungsanweisungen gibt für die Polizei.

    Hirsch: Das ist eine "haltet den Dieb!"-Argumentation. Wir sind nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts davon ausgegangen, dass diese Software, also die Quellen-TKÜ-Überwachung, nicht eingesetzt wird, bevor es eine gesetzliche Klarstellung dazu gibt. Zu dieser gesetzlichen Klarstellung ist es in der Tat bisher nicht gekommen, so dass man sagen muss, wer das macht – und zwar zum Beispiel das Zollkriminalamt hat dazu eine richterliche Entscheidung bekommen -, das muss aber dann eng begrenzt sein auf das Abhören eines Telefongespräches, das über den Computer geführt wird.

    Klein: Lassen Sie mich noch mal nachfragen, Herr Hirsch. Es muss eine gesetzliche Klarstellung geben?

    Hirsch: Ein Satz noch bitte. Alles was darüber hinausgeht ist verfassungswidrig.

    Klein: Sie sagen, es muss eine gesetzliche Klarstellung geben. Muss es die auf Bundes- oder auch auf Landesebene geben?

    Hirsch: Das Polizeirecht ist Ländersache.

    Klein: Und weshalb hat es die bisher noch nicht gegeben?

    Hirsch: Ja, da fragen Sie mal Herrn Herrmann. Ich weiß das nicht. Das ist nicht meine Aufgabe, das müssen die Parlamente sich fragen.

    Klein: Das heißt, wir halten noch mal fest: in allen 16 Bundesländern müsste dieses Verfassungsgerichtsurteil gesondert umgesetzt werden und jeweils in Landesrecht gegossen werden?

    Hirsch: In jedem Polizeigesetz, das es ermöglicht, das die Computerüberwachung dieser Art vorsieht. Das ist nicht nur Bayern, das sind auch andere Länder, Thüringen zum Beispiel, ich glaube auch Brandenburg, eine ganze Reihe von Ländern. Die müssen, wenn sie dieses Instrument nutzen wollen, es gesetzlich regeln, wie sie es denn haben wollen, und sind dabei an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gebunden.

    Klein: Und in einigen Ländern gibt es diese gesetzliche Grundlage bereits und in anderen nicht?

    Hirsch: Es gibt in einigen Ländern nur die pauschale Formel, dass die Polizei das können müsste oder können soll, aber es gibt meines Wissens in den Ländern keine exakte Regelung darüber, welche Software eingesetzt werden darf und dass sie nur auf die TKÜ beschränkt ist. Das ist der Punkt, wo in der Tat die Gesetzgeber nacharbeiten müssen, wenn sie diese Art der Polizeikontrolle haben wollen, und da sagt das Verfassungsgericht, wer darüber hinausgehen will, darf das nur bei einer konkreten Gefahr für Leib und Leben einer Person und bei einer existenziellen Gefährdung des Staates.

    Klein: Die Länder sind am Zuge, das haben wir jetzt mal festgehalten. Ich sage an der Stelle noch mal: TKÜ, das steht für Telekommunikationsüberwachung. Diese Abkürzung fällt in diesen Tagen so oft, dass man es einfach noch mal erklären sollte. Abschließend, Herr Hirsch: Es bleiben ja auch andere Punkte offen, die Überwachungssoftware ist etwa frei erhältlich. Kann das überhaupt unterbunden werden, kann es überhaupt einen Schutz dagegen geben?

    Hirsch: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich meine, das muss unterbunden werden und man muss sehen, dass dieses Programm, über das wir hier reden, ja ganz heimtückisch angelegt worden ist, dass nämlich die einzelnen Computerbefehle, die über die TKÜ hinausgehen, so zerlegt sind, dass man bei einer oberflächlichen Betrachtung des Programms das gar nicht erkennen kann, was dieses Programm alles ermöglicht, und das ist schon ein starkes Stück. Auch dass die Daten, die damit erworben werden, über einen ausländischen Staat gelenkt werden, das sind Dinge, von denen in meinen Augen derjenige, der das Programm entwickelt und einsetzt, dass er weiß, das das verfassungswidrig ist.

    Klein: Burkhard Hirsch, der FDP-Innenexperte. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Hirsch, und noch einen schönen Tag.

    Hirsch: Gleichfalls! – Danke! – Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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