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"Es kommt auf die Wahlbeteiligung an"

SPD-Chef Franz Müntefering glaubt trotz schlechter Umfragewerte noch an einen Sieg bei der Landtagswahl am Sonntag in Nordrhein-Westfalen. Entscheidend sei die Wahlbeteiligung. Laut Müntefering hätte ein Wahlsieg der CDU keine unmittelbaren Folgen für die Bundesregierung. Allerdings würde das Regieren in Berlin aufgrund der Machtverhältnisse im Bundesrat schwieriger werden.

Moderation: Doris Simon |
    Doris Simon: Peer Steinbrück sagte ganz am Schluss dieses Fernsehduells: "Wenn sie Steinbrück wollen, dann müssen sie die SPD wählen". Die Umfragen sagen es, der Ministerpräsident weiß es und sagt es: Er ist weitaus populärer als seine Partei, die SPD. Am Telefon ist der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering. Guten Morgen!

    Franz Müntefering: Guten Morgen Frau Simon!

    Simon: Herr Müntefering, Sie sind selber Nordrhein-Westfale. Trifft Sie das nicht, dass die Leute in Nordrhein-Westfalen immer mehr nichts mehr von der SPD wissen wollen?

    Müntefering: Ja, wir haben kein gutes Frühjahr gehabt. Das ist wahr. Aber wir waren Weihnachten, Anfang des Jahres auf gleicher Höhe mit den anderen und wir holen auf in den letzten Tagen und Wochen und das war gestern Abend noch mal ein guter Schritt. Ich habe das gesehen. Peer Steinbrück hat deutlich gemacht, er kann das und er zieht die Partei natürlich auch mit dabei.

    Simon: Aber die Leute haben in einer Blitzumfrage gesagt, die besseren Argumente hatte der Rüttgers. Mit welchen Argumenten wollen sie in den letzten vier Tagen denn noch Leute ziehen können?

    Müntefering: Dass es wichtig ist, dass Peer Steinbrück weiterregiert, zum Beispiel was die Arbeitnehmerrechte angeht. Das ist auch noch mal deutlich geworden in dem Duell gestern Abend und das ist für Nordrhein-Westfalen eine ganz wichtige Sache. Da ist Rüttgers auf der völlig falschen Seite. Er ist dabei zusammen mit Frau Merkel, die Tarifautonomie und den Kündigungsschutz zu schleifen und die Arbeitnehmerrechte klein zu machen. Das wird unser Land tiefgreifend verändern. Ein ganz wichtiges Argument in Nordrhein-Westfalen und natürlich bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland überhaupt.

    Simon: Aber Arbeitnehmerrechte, wird das reichen, um hier noch mal den Umschwung zu bringen? Es sind doch etliche%e, die ihnen fehlen?

    Müntefering: Ja, das weiß man nicht ganz genau. Das wissen die Forscher eben nie. Das haben wir bei den letzten Wahlen immer wieder festgestellt. Die haben sich erheblich verschätzt und deshalb geht es darum, die letzten Tage auch weiter zu nutzen. Es kommt auf die Wahlbeteiligung an. Wenn alle die, die wenn sie hingehen auch SPD wählen, auch hingehen, dann werden wir in Nordrhein-Westfalen gut aussehen. Das Potenzial ist da und ich glaube in den letzten Tagen ist noch mal deutlicher geworden: Es geht um etwas. Das ist nicht egal, wer da regiert. Das gilt für viele Politikbereiche, für die soziale Sicherheit im Lande, aber auch für die Bildungspolitik.

    Simon: Dass die Unternehmenssteuern im Bund jetzt erst mal nicht gesenkt werden - das Gesetz hätte keine Mehrheit bekommen auch in Ihrer eigenen Koalition -, hat das auch mit den Wahlen in Nordrhein-Westfalen zu tun? Passt das nicht in die Zeit?

    Müntefering: Das, was Sie da gesagt haben, ist nicht richtig. Ich weiß nicht woher das kommt, aber es ist so: Der Bundesrat hat seine Einspruchsmöglichkeiten, seine Fristregeln nicht genutzt und das Gesetz wird in der nächsten Sitzungswoche, also Ende Mai, Anfang Juni, auf der Tagesordnung des deutschen Bundestages sein. Also das läuft im Zeitplan noch vor der Sommerpause und es wird dafür auch Mehrheiten geben.

    Simon: Das heißt die Unternehmenssteuer kommt. Es ist damit nicht der Versuch gemacht worden, die SPD anders zu positionieren?

    Müntefering: Die Unternehmenssteuer sinkt, weil Sie sagen sie kommt. Das klingt so, als wenn erhöht würde. Es geht vielmehr darum, dass der Satz der Körperschaftssteuer gesenkt wird auf 19 Prozent, und es geht vor allen Dingen darum, dass den kleinen Unternehmen im Bereich der Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer noch mal eine verbesserte Chance gegeben wird. Das Gesetz ist ja eingebracht durch die Bundesregierung. Das kann die Bundesregierung einbringen oder der Bundestag. In diesem Falle hat es die Bundesregierung getan und jetzt wird sich zeigen, was denn die Bundesländer machen, ob denn die CDU/CSU-Länder mitmachen dabei oder ob sie die Backen nur aufgeblasen haben und jetzt keinen Mut haben, etwas zu tun.

    Simon: Herr Müntefering Sie sagen, sie wollen die kleinen Unternehmen in dieser Sache unterstützen. Passt da auch nicht der Vorschlag, dass Unternehmen nicht auch noch steuerlich begünstigt werden sollen, wenn sie Teile ins Ausland verlagern, ins Bild, auch wenn er von den Grünen kommt? Wäre das nicht auch etwas für Sie?

    Müntefering: Das ist ja viele Male geprüft worden in den vergangenen Jahren. Ich wundere mich über das, was einige da im Augenblick sagen. Es ist ganz einfach so: wenn Betriebsverlagerungen stattfinden innerhalb Europas, kann man die nach europäischem Recht nicht unterschiedlich besteuern. Das heißt wenn einer in Deutschland selbst verlagert, kann man die Kosten, die er da hat, nicht in Frage stellen. Das gilt auch für das europäische Ausland. Alle die jetzt etwas anderes sagen müssen wissen, dass sie sofort vor europäischen Gerichten landen.

    Simon: All diese Diskussionen in Berlin, welche Auswirkungen haben die in Düsseldorf? Meinen Sie daran liegt es, dass es so schlecht läuft für die SPD?

    Müntefering: Ja, die Großwetterlage ist natürlich ganz wichtig dabei. Wir haben in Berlin in den letzten Jahren mit der Agenda 2010 schwierige Dinge machen müssen, aber die waren richtig. Sie gehen in die richtige Richtung. Dass es immer den einen oder anderen Punkt gibt, worüber man noch mal sprechen kann, ist klar, aber im Großen stimmt die Sache. Das hängt damit zusammen, dass die Globalisierung die Märkte geöffnet hat und das Geld weit unterwegs ist. Das hängt damit zusammen, dass Europa zusammenwachsen muss, und das hängt damit zusammen, dass wir sehr viel länger leben. Das ist schön und gut, aber nicht länger arbeiten.

    Simon: Das heißt aber es sind andere verantwortlich und nicht die Leute in Nordrhein-Westfalen für das, was jetzt in Nordrhein-Westfalen an Problemen da ist?

    Müntefering: Nordrhein-Westfalen ist ein großes, starkes Stück in Deutschland selbst und das stellt ja niemand in Frage. Ich glaube aber, dass die Stimmung insgesamt im Lande auch sehr von dieser Großwetterlage abhängt. Deshalb freue ich mich, dass Per Steinbrück als Person eine so wichtige Rolle spielen kann. Er ist ganz zweifellos der, der am ehesten es schafft, Nordrhein-Westfalen voranzubringen, und das hat man gestern Abend auch noch mal deutlich gesehen. Ich habe mir das natürlich angeguckt und habe das miterlebt und ich bin ganz sicher, dass alle, die es mitbekommen haben, auch so empfunden haben. Der kann das! Das ist ein kantiger Typ. In Berlin sage ich immer er ist am meisten freundlich zu uns, aber wenn er die Interessen seines Landes zu vertreten hat, dann kann er auch mal auf den Tisch hauen. So jemand braucht Nordrhein-Westfalen auch. Nordrhein-Westfalen kann nicht von Weicheiern regiert werden, sondern das muss jemand sein, der starke und kantige Politik machen kann.

    Simon: In den Umfragen liegen die Weicheier im Augenblick aber ganz gut. Was ändert sich denn, wenn die Opposition in Nordrhein-Westfalen gewinnt, in Berlin?

    Müntefering: Es wird noch ein größeres Gewicht im Bundesrat da sein. Rüttgers war ja am Wochenende in Bayern, hat sich noch mal Rat geholt von Herrn Stoiber, so als ob Bayern da das Vorbild wäre für Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen hat über Jahrzehnte in die Bundeskasse gezahlt, in die gemeinsame Länderkasse gezahlt, damit Bayern Geld bekommen hat. Deshalb finde ich, wir müssen uns dort keinen Ratschlag holen. Wir wissen: wir haben Probleme der Umstrukturierung in Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen war über Jahrzehnte die große, starke Lokomotive in Deutschland und das können wir immer noch sein, aber wir müssen die Umstrukturierung auch organisieren. Das haben Johannes Rau und Wolfgang Clement und jetzt Per Steinbrück gut begonnen und das sind noch schwierige Schritte. Das ist klar. Wir haben aber den Mut und wir kennen das Land.

    Simon: Sie sehen aber nicht, dass sich in der Bundesregierung etwas ändern wird, wenn sich in Düsseldorf etwas ändert?

    Müntefering: Nein. Das hat damit nicht unmittelbar etwas zu tun.

    Simon: Wie gehen Sie eigentlich, Herr Müntefering, im Kopf um mit dem Stress dieser großen Wahrscheinlichkeit, dass die SPD am Sonntag die Wahl verliert in NRW?

    Müntefering: Demokratie ist spannend, Wahlkämpfe auch. Ich hoffe, dass genügend Leute kapieren, dass das eine wichtige Entscheidung ist und dass man sich dieser Sache jetzt stellen muss und nicht mal zugucken kann, was da eben rauskommen kann.

    Simon: Das heißt also Autosuggestion, woran ich nicht glaube, das passiert auch nicht?

    Müntefering: Nein, aber wir wissen ja - wir haben ja schon viele Wahlkämpfe mitgemacht -, dass sich auf der letzten Strecke noch etwas verändert. Wissen Sie bei der letzten Wahl hat sich innerhalb von 24 Stunden bei 10 Prozent der Wählerinnen und Wähler erst entschieden, ob sie hingehen ja oder nein. Das ist nicht mehr wie in den 50er oder 60er Jahren, sondern es ist von Wahl zu Wahl eine große Bewegung da. Deshalb sind die Tage bis Sonntag 18 Uhr noch mal wichtig. Nordrhein-Westfalen muss auch darauf achten, dass jeder nur eine Stimme hat. Das ist auch noch wieder anders als in anderen Ländern.

    Simon: Franz Müntefering, der SPD-Vorsitzende. Vielen Dank für das Gespräch!

    Müntefering: Ja, bitte schön Frau Simon.