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"Es kommt ein neuer Krieg"

Die Situation im Jemen und die daraus resultierende Terrorgefahr wird zu einem Problem für US-Präsident Barack Obama: "Die Einkreisung des Jemen wird sicherlich jetzt verstärkt werden", sagt Politikwissenschaftler Professor Karl Kaiser von der Kennedy-School der Harvard-Universität.

Karl Kaiser im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Im Jemen hat das Terrornetzwerk el-Kaida eine breite Basis gefunden, eine weitere Erkenntnis, die nach dem verhinderten Anschlag von Detroit ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gerückt ist. Im Fokus steht damit ein Land, das von einer korrupten Staatsspitze gebeutelt ist und von Armut. Die USA und Großbritannien wollen Sanaa jetzt bei der Terrorbekämpfung unter die Arme greifen. Dabei schaffen die USA schon seit Jahren immer wieder selbst Fakten.
    Unter anderem der Umgang mit dem Krisenstaat Jemen soll auch in den kommenden Minuten unser Thema sein. Am Telefon begrüße ich den Politikwissenschaftler Professor Karl Kaiser von der Kennedy-School der Harvard-Universität. Guten Morgen!

    Karl Kaiser: Guten Tag, Frau Schulz.

    Schulz: Herr Kaiser, führt Barack Obama seinen nächsten Krieg im Jemen?

    Kaiser: Ja, es kommt ein neuer Krieg. Er hatte zwar schon begonnen. Wir wissen: Während des Wahlkampfes griff bekanntlich Obama ja Bush an, die Politik von Bush in der Vergangenheit, weil sie die eigentlichen Probleme vernachlässigt hatte und einen falschen Krieg am falschen Ort, nämlich im Irak führte, und Afghanistan, wo el-Kaida zurückgehen könnte, vernachlässigte. Jetzt ist es aber so, dass der Jemen schon eine Basis ist. In Afghanistan soll sie ja lediglich verhindert werden für die Zukunft. Also es kommt ein großer neuer dritter Konflikt auf die USA zu und es wird auch zunehmlich zu einem innenpolitischen Problem für Obama.

    Schulz: Holt da jetzt der Anti-Terror-Krieg von George W. Bush Barack Obama hier nochmals ein, oder ist es genau umgekehrt?

    Kaiser: Obama drückt das anders aus. Es geht nicht darum, den Terror zu bekämpfen, denn der Terror ist ja nur eine Methode, sondern die Ursachen des Terrors zu bekämpfen, und er hat ja in seiner Afghanistan-Strategie eine neue Kombination vorgeschlagen, die für die Europäer eigentlich nichts Neues ist, denn sie hatten so etwas schon seit langem gefordert, nämlich eine Kombination von militärischen und zivilen Maßnahmen, also Staatsaufbau und dergleichen. Das hat er für Afghanistan angekündigt und dieses Problem stellt sich jetzt im Jemen im Grunde in noch schwierigerer Form, weil der Jemen als zerfallender Staat Probleme stellt, die in mancherlei Hinsicht noch schwieriger sind als die von Afghanistan. Also es ist jetzt hier eine neue Situation entstanden, die einen Einsatz von Mitteln erfordert, die weit über das hinausgehen, was bisher für den Jemen eingesetzt worden war.

    Schulz: Das heißt ein Einsatz von Mitteln, die über Drohnen, gezielte Tötungen hinausgehen?

    Kaiser: Diese Mittel werden sicherlich auch in Zukunft eingesetzt werden, aber jetzt geht es darum, einen Staat, der von einem relativ alten Präsidenten geführt wird, der nur eine mangelhafte Kontrolle über die Stämme ausübt, so zu stützen, dass daraus keine Katastrophe wird, und das wird sehr schwer werden.

    Schulz: Jetzt sagt die Regierung des Jemen, dass sie den Kampf gegen die el-Kaida-Terroristen souverän führen will, dass sie keine ausländischen Interventionen dulden will. Lassen sich die USA davon abhalten?

    Kaiser: Wahrscheinlich wird man wie bisher versuchen, möglichst unter Vermeidung einer Präsenz von amerikanischen Truppen zu handeln, was ja in Afghanistan nicht möglich ist. Ob das in Zukunft durchführbar ist, wird sich zeigen, denn die Lage ist dort so kompliziert, dass die Delegation dieser Aufgabe an die jemenitischen Kräfte wahrscheinlich nicht genügen wird. Kommt es aber jetzt zu einer amerikanischen Präsenz, dann wird die Lage sehr, sehr schwierig, denn wir dürfen nicht vergessen: der Jemen ist benachbart zu Saudi-Arabien, den heiligen Stätten des Islam. Eine amerikanische Präsenz dort wirft Probleme auf, die weit über das hinausgehen, was sich in Afghanistan stellt.

    Schulz: Wenn die Lage so kompliziert ist, welche Option hat Barack Obama dann überhaupt, um die Gefahren, die vom Jemen ausgehen, zumindest zu reduzieren?

    Kaiser: Er wird sicherlich jetzt die Strategie der Unterstützung der jemenitischen Regierung fortsetzen, die Mittel vergrößern, die zur Verfügung gestellt werden, die verdeckten Operationen verstärken, versuchen, mehr zivile Helfer ins Land zu bringen und zu hoffen, dass man es damit schaffen wird, vielleicht auch einen stärkeren Einsatz der Verbündeten und ihrer Geheimdienste, um zu verhindern, dass von dortaus Operationen der el-Kaida im Westen durchgeführt werden können, und dann wird man weiter sehen. Die Einkreisung des Jemen durch die amerikanische Strategie, die hat ja schon vor einiger Zeit begonnen und sie wird sicherlich jetzt verstärkt werden.

    Schulz: Die Entscheidungen, die jetzt anstehen, die ja auch gewichtige Entscheidungen sind, wie man hört, kann Barack Obama die überhaupt souverän treffen, oder steht er jetzt ohnehin schon unter zu starkem Druck auf der konservativen Seite, die ihm ja schon lange unterstellt, er greife nicht hart genug durch?

    Kaiser: Das ist in der Tat sein großes Problem. Seine außenpolitischen Erfolge entsprechen leider nicht dem, was er sich vorgenommen hat. Vorerst sind dies alles noch Pläne, die die Konservativen, vor allen Dingen geführt jetzt von Cheney, kritisieren, dass er nicht genug tut, und er braucht dringend außenpolitische Erfolge. Dieser beinahe erfolgreiche Anschlag ist ja kein Ruhmesblatt in der amerikanischen Terrorabwehr und zeigt auch, dass aus den Fehlern des großen Angriffes vom September 2001 leider nicht alle notwendigen Schlussfolgerungen gezogen wurden, und er wird jetzt dafür verantwortlich gemacht. Er kommt also durch diesen Zwischenfall in einige Schwierigkeiten und muss deshalb vielleicht mehr als er ursprünglich wollte, Härte zeigen.

    Schulz: Barack Obama hat in der vergangenen Woche ja mit einem Wutanfall reagiert. Er hat Versäumnisse bei den Geheimdiensten gegeißelt. Wie viel Schaden nimmt er?

    Kaiser: Unvermeidlicherweise ist der Präsident immer verantwortlich für Fehler. Er muss dies auf sich nehmen und er muss dann auch die Konsequenz ziehen, Veränderungen durchzusetzen in der Organisation der Terrorabwehr. Aber er ist am Ende verantwortlich und aufgrund der jetzigen Beunruhigung in der amerikanischen Öffentlichkeit wird er viel mehr als in der Vergangenheit seine Aufmerksamkeit auf dieses Problem lenken müssen.

    Schulz: Der Politikwissenschaftler Professor Karl Kaiser von der Kennedy-School der Harvard-Universität, heute in den "Informationen am Morgen". Vielen Dank!

    Kaiser: Auf Wiederhören!