Archiv


"Es muss eine Mitbestimmung und Mitentscheidung des Bundesrates geben"

Die SPD-Länder halten an der Verfassungsklage gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken fest. Das Parlament sei bei einer der schwierigsten und wichtigsten Entscheidungen nicht ordnungsgemäß beteiligt worden, sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, Kurt Beck.

Kurt Beck im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Der Bundesrat hat gestern einen wahren Abstimmungsmarathon hingelegt, von Hartz IV bis zur Atompolitik war da vieles dabei. Allerdings eines war immer gleich: Die Mehrheit von Schwarz-Gelb, sie stand. Die Opposition hat das natürlich kräftig geärgert, zumal man in der einen oder anderen Frage die leise Hoffnung hatte, vielleicht doch der Regierung noch mal ein Bein stellen zu können. Das war nicht so und ich begrüße jetzt jemanden am Telefon, der sich da vermutlich auch geärgert hat, Kurt Beck, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident ist bei uns. Guten Morgen, Herr Beck!

    Kurt Beck: Schönen guten Morgen!

    Zurheide: Herr Beck, zunächst einmal: Sie wollen jetzt das Verfassungsgericht in Sachen Atom anrufen. Die Frage lautet: Warum akzeptieren Sie die Mehrheitsentscheidung von Bundestag und Bundesrat nicht?

    Beck: Weil sie nach unserer Überzeugung nicht ordnungsgemäß zustande gekommen sind. Der Bundesrat ist nur in Form eines Einspruchsgesetzes beteiligt worden und die Verfassung ist nach unserer Aussage völlig eindeutig, nämlich es muss eine Mitbestimmung und Mitentscheidung des Bundesrates geben. Bei uns ist diese riesige Gesetzesmaschinerie durchgepeitscht worden und nicht ordnungsgemäß beraten.

    Zurheide: Jetzt könnte man natürlich sagen, die Bundesregierung argumentiert in diesem Fall genau so, wie es Rot-Grün seinerzeit getan hat, als die Laufzeiten gekürzt worden sind. Warum bewerten Sie das jetzt ganz unterschiedlich?

    Beck: Weil es eine völlig unterschiedliche Sache ist, ob man die Aufgaben, die die Länder haben, für die Sicherheit verantwortlich zu sein und die Kontrolle von Kraftwerken, ob man diese Aufgabe verkürzt oder ob man sie bis 2040 verlängert und intensiviert. Denn es ist unstreitig: Je länger Kraftwerke laufen, umso auffälliger werden sie, umso intensiver wird die Kontrolle sein müssen, umso großer, heißt das, ist die Gefährdung.

    Zurheide: Was halten Sie jenen entgegen, die nun sagen, da macht man wieder einmal Politik mithilfe des Verfassungsgerichtes? Im Gericht selbst scheint man das ja auch etwas problematisch zu sehen, wie zumindest der Präsident kürzlich gesagt hat, dass viele Entscheidungen dann am Ende in den Gerichten landen. Warum reicht die politische Auseinandersetzung nicht?

    Beck: Ich gebe dem Präsident des Bundesverfassungsgerichts generell recht. Allerdings wenn ein Parlament nicht ordnungsgemäß beteiligt ist bei einer der wichtigsten und schwierigsten Gesetzgebungen, die es wahrscheinlich in diesem Jahrzehnt gibt, dann muss man eben auch die Entscheidung suchen. Denn wissend, dass das nicht in Ordnung ist, hat sich die Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit so verhalten, dass sie am Bundesrat vorbeigezielt hat. Und das ist nicht in Ordnung. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Papier, hat dazu ein sehr eindeutiges Gutachten geschrieben.

    Zurheide: Wann wird es konkret so weit sein, wann können wir damit rechnen, dass Sie den Antrag stellen, wer wird ihn genau stellen?

    Beck: Wenn das Gesetz in Kraft tritt, das heißt, sollte der Bundespräsident unterzeichnen, der muss ja auch ...

    Zurheide: ... haben Sie da noch Hoffnung, dass er es vielleicht nicht tut?

    Beck: Ich mach keinen Druck auf den Bundespräsidenten, das gehört sich nicht, aber es ist die Voraussetzung natürlich für eine Klage, dass das Gesetz noch mal geprüft und von ihm unterzeichnet, ausgefertigt ist. Dann werden wir klagen und zwar wird diese Rheinland-Pfalz sein, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin.

    Zurheide: Kommen wir noch mal zu einer anderen Frage, die damit verbunden war: Mindestens da hatten Sie ja die Hoffnung, dass sich was bewegt, weil bei der Brennelementesteuer geht es ja um die nicht bestrittene Konsequenz, dass dadurch das, was da an neuen Steuern gezahlt wird, sinken die Gewinne, das heißt für Länder und Kommunen fällt weniger ab bei den Atomkonzernen, bei jenen, die Atomkraft haben. Da hatten Sie die gewisse Hoffnung, dass auch CDU-Länder da kritisch waren. Jetzt heißt es, na ja, da wird über Kompensation irgendwann mal nachgedacht, das wird geprüft. Reicht Ihnen das, was da jetzt beschlossen wurde?

    Beck: Wenn es nicht so bitter wäre, was da gestern erzählt worden ist im Bundesrat vonseiten der Bundesregierung, müsste man drüber lachen. Das ist wirklich eine böswillige, das kann man nicht anders sagen, Austricksung der CDU-geführten Länder, die haben sich da am Nasenring durch die Arena führen lassen. Nein, das ist gar nichts. Man muss sagen, ich kann nur vermuten, dass auch an dieser Stelle die Stromkonzerne die Federführung hatten und in den Block diktiert haben, wie sie es haben wollen. Denn das heißt, ein Drittel dessen, was die angeblich leisten für regenerative Energien, das zahlen die Länder und die Kommunen, und das kann ja nicht wirklich Sinn und Zweck der Sache sein.

    Zurheide: Kommen wir noch mal auf die grundsätzliche Lage der SPD: Was heißt dieses Atomthema eigentlich? Auch in den eigenen Reihen sagt der ein oder andere selbstkritisch, na ja, das ist ein Thema, wo am Ende die Grünen im Wesentlichen von profitieren werden. Ist die Sicht der Genossinnen und Genossen, die das so sehen, zu kurz und falsch?

    Beck: Nein, das ist sicher so, dass die Grünen da eher mit dem Thema identifiziert werden, aber ich finde, Politik kann an einem solchen zukunftsentscheidenden Thema nicht darüber nachdenken, wessen taktischer Vorteil oder Nachteil das ist. Da muss man Position beziehen und das haben wir ganz eindeutig getan im Interesse der Sache. Hier geht es um die Menschheit, das kann man nicht anders sagen. Wir haben kein Endlager, wir haben nicht mal ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe, wir haben Sicherheitsrisiken, sieben der Kraftwerke sind nach allgemeiner Überzeugung nicht ausreichend gegen Terrorangriffe zu sichern. Also wenn das nicht Grund genug ist, um sich mit einem solchen Thema auseinanderzusetzen, und da dann parteitaktisch vorzugehen, dann würde ich nicht mehr Politik machen, muss ich sagen.

    Zurheide: Haben Sie keine Sorge, dass gerade bei den Themen, die im Moment so besonders stark diskutiert werden – das ist die Atomfrage, Stuttgart 21, wir werden es gleich auch hier noch thematisieren im Anschluss –, dass das alles Themen sind, die sozusagen eher den Grünen hier zuspielen und die SPD gerät an den Rand? Die Sorge sehen Sie nicht?

    Beck: Ja natürlich mag das sein, dass man das so auffasst und dass das auch parteitaktisch so ist. Trotzdem ist es so, ich bleibe dabei: Stuttgart 21 ist glaube ich noch mal eine andere Frage, die muss grundsätzlich ja demokratiepolitisch diskutiert werden; aber die Atomausstiegsfrage ist eine zentrale Zukunftsfrage und daran hat man sich als Politik zu messen, und nicht an parteitaktischen Vorteilen oder Nachteilen.

    Zurheide: Nun hat der Seeheimer Kreis in der SPD gesagt, es wird zu sehr klar, wogegen wir sind, aber zu wenig, wofür. Und das war auch ein Hinweis an Sigmar Gabriel, den neuen Parteivorsitzenden. Auf welcher Seite stehen Sie in dieser Debatte?

    Beck: Ich glaube nicht, dass es dort Seiten gibt, sondern ich glaube, dass es richtig ist, unseren Weg zu gehen. Wir haben uns nach der Regierungsverantwortung wieder neu zu orientieren gehabt, man muss sehen, das ist jetzt alles gerade ein gutes Jahr her. Ich finde, Sigmar Gabriel hat einen guten Job gemacht bisher und ich stehe an seiner Seite, keine Frage. Aber wir haben natürlich einen Teil dessen, was uns dort an Vertrauen verloren gegangen ist – nicht wegen der großen Linie, glaube ich, sondern wegen einiger Einzelentscheidungen, die die Menschen als zutiefst ungerecht empfanden –, wir haben also Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Daran arbeiten wir. Ansonsten glaube ich, dass die SPD eine klare Linie hat und dass das Setzen auf Solidarität und auf eine Gesellschaft, die sich nicht auseinanderdividiert – Stichwort Gesundheitsreform, Pflegereform –, dass das die Themen sind, die jetzt vor der Tür stehen. Und das sind unsere Themen und dazu haben wir eine klare Zukunftslinie mit der Bürgerversicherung, wir haben eine klare Position in Fragen des Rechtes der Arbeitnehmer, für ordentliche Arbeit einen ordentlichen Lohn zu bekommen. Das alles sind Themen, die werden uns deutlich wieder nach vorne bringen.

    Zurheide: Das heißt aber jetzt so in der Rückschau: Wenn ich genannt hab Stuttgart 21, Atom, waren das die Themen, die eher bei den Grünen einzahlen, Sie sagen, das, was Sie jetzt gerade genannt haben – Stichwort Bürgerversicherung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit –, das sind dann die Themen, die jetzt stärker benutzt werden müssen aus Ihrer Sicht?

    Beck: Das sehe ich so, ja. Aber nicht, weil es jetzt um Parteitaktik dort geht, sondern weil diese Themen anstehen und die Gesetzgebung vor der Tür steht, und die Bundesregierung versucht, die Solidarität in unserer Gesellschaft zu schwächen und über Kopfpauschalen et cetera das Solidarprinzip und wenn man so will am Ende eben auch das, was Unternehmen und was Arbeitnehmer verbunden hat, die Sozialpartnerschaft, infrage zu stellen.

    Zurheide: Atom- und andere Fragen – in der SPD wird diskutiert. Wir haben es heute morgen getan mit Kurt Beck, dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz. Herr Beck, ich danke für das Gespräch!

    Beck: Danke auch!

    Zurheide: Bitte schön, auf Wiederhören!

    Beck: Tschüss!