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"Es muss Licht ins Dunkel dieser Angelegenheit"

Mit Blick auf die umstrittene Weitergabe von Informationen im Fall El Masri hat die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast die Beantragung eines Untersuchungsausschusses zur CIA-Affäre nicht ausgeschlossen. Sie forderte die lückenlose Aufklärung aller Fragen. Gleichzeitig betonte Künast, dass man zur Terrorismusbekämpfung Geheimdienste brauche, die Daten austauschten.

    Spengler: Die Bundesregierung will heute ausführlich informieren über die Verschleppung des Deutsch-Libanesen el Masri. Die Frage ist, wann hat wer was von der Verschleppung gewusst und was ist daraufhin geschehen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Justizministerin Brigitte Zypries und Innenminister Wolfgang Schäuble werden den Bundestagsausschüssen Innen, Außen und Justiz Rede und Antwort stehen, und anschließend debattiert der Bundestag über den Fall. Am Telefon ist die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast. Frau Künast, was genau erwarten Sie denn heute von den Unterrichtungen der Bundesregierung?

    Künast: Na, zunächst mal Aufklärung, weil die Akten gesichtet sein müssen, und insofern erwarte ich einmal eine im Wesentlichen lückenlose Darstellung, was wann passiert ist, und zwar nicht nur bezüglich El Masri, sondern es gibt ja auch durchaus Fragen bezüglich anderer Personen, und ich sage mal, ich gucke dabei auch sehr genau auf diese Frage, was zum Beispiel die USA an Verhaltensweisen haben, die Art und Weise, offensichtlich Menschen dem Zugriff von US-Gerichten und damit rechtsstaatlichen Verfahren zu entziehen, indem man sie in andere Länder zerbringt. Also es ist ein großer Komplex, den wir natürlich dann am Ende diskutieren müssen im Zusammenhang damit, um was es hier geht, nämlich Terrorismusbekämpfung, und wir wissen ja, dass das für uns alle eine Bedrohung ist.

    Spengler: Es steht ja fest, dass Otto Schily am 31. Mai 2004 vom damaligen US-Botschafter Daniel Coates unterrichtet worden ist. Was glauben Sie, wann spätestens hätte Otto Schily sein Wissen dem Kabinett weitergeben müssen?

    Künast: Geben müssen zu diesem Zeitpunkt, wobei ich jetzt sagen würde, wir sollten jetzt nicht zur Erwartsvornahme schreiten und die Daten solange umeinander drehen, bis wir nicht mehr wissen, worum es geht. Zu diesem Zeitpunkt, als Otto Schily diese Daten erhalten hat, war Herr El Masri ja entlassen, das heißt, es ging jetzt nicht darum, einen rechtswidrigen Zustand zu beenden, sondern darum, die Nacharbeit zu machen. Aber logischerweise gehört so etwas zu den entsprechenden Ressorts, damit man notfalls nachfolgende Maßnahmen ergreifen kann, und das ist hier offensichtlich nicht gerade beschleunigt worden. Im Gegenteil: Es kam dann erst ein halbes Jahr später ans Licht, und insofern konnten erst später Aktivitäten vorgenommen werden.

    Spengler: Nun waren etwas später als Otto Schily, nämlich im Juni, Anfang Juni waren auch das Auswärtige Amt, also Joschka Fischer und der damalige Kanzleramtsminister Steinmeier informiert worden. Herr Steinmeier hat daraufhin auch die Ermittlungsbehörde informiert darüber. Das heißt, auch Steinmeier und Fischer hätten das ins Kabinett bringen können. Warum hat Joschka Fischer das nicht gemacht?

    Künast: Die Frage ist – leider Gottes muss ich das mal sagen, Herr Spengler – falsch, weil wir machen hier ja gerade nicht, recherchieren, warum hat nicht jeder über alles geredet, sondern lassen Sie uns mal zurückkommen auf die Frage, über was wir reden. Es geht hier um das Thema Terrorismusbekämpfung, und wenn ich daran erinnern darf, sind das Themen, denken Sie an den 11. September in New York, denken Sie an Madrid und die U-Bahn-Anschläge, denken Sie an London und viele andere Ereignisse. Also für Terrorismusbekämpfung braucht man offensichtlich einen Geheimdienst, der auch Daten austauscht, aber wir beide sind ja, denke ich, und auch die Zuhörer nicht so naiv, dass wir glauben, dass diese Dinge immer mit einer Vielfalt von Menschen, die davon Kenntnis haben, von solchen Ermittlungen, einhergeht, sondern wir wollen Sicherheit für Sie, für mich und für alle, die jetzt zuhören, und wir wollen das systematisch bearbeitet haben. Deshalb kann es nur ein Richtiges geben, nämlich dass man das auf dieser Ebene der Vertraulichkeit behandelt. So etwas gehört gar nicht auf den Kabinettstisch, sondern so etwas gehört durch die zuständigen Behörden bearbeitet, und das ist im Übrigen auch passiert. Also zu dem Zeitpunkt war es so, dass dieses tatsächlich über das Kanzleramt bearbeitet werden sollte, wo es meines Erachtens auch hingehört, weil dort die Koordination der Geheimdienste ist und weil man nur darüber auch zum Beispiel in einen ernsthaften Kontakt mit den USA treten konnte, um tatsächlich auch die Informationen darüber zu bekommen und das aufzuklären und dafür Sorge zu tragen, dass sich so etwas mit deutschen Staatsbürgern nicht wiederholt.

    Spengler: Habe ich Sie richtig verstanden, Sie sind der Ansicht, dass wenn ein deutscher Staatsbürger von einer fremden Macht verschleppt wird, dass das nicht Sache einer Bundesregierung ist, darüber zu reden?

    Künast: Wie Sie auf diese Zusammenfassung kommen, ist mir jetzt unerklärlich. Nein, ich habe gerade versucht zu erklären, auf welcher Ebene etwas bearbeitet werden muss. Ich sage mal so, ich bin definitiv der Auffassung, dass das logischerweise in diese Aufgaben gehört, aber drehen wir es doch mal nicht um. Wir reden über eines, dass hier offensichtlich die USA Praktiken hat, um die es geht, die man abstellen muss. Das sind inakzeptable Praktiken, im Übrigen nicht nur gegenüber deutschen Staatsangehörigen, sondern auch gegenüber anderen Staatsangehörigen. Das sind Dinge, die wir nicht akzeptieren können, und ich sage ganz klar, so etwas darf auch im Kampf gegen den Terrorismus, ein großes Problem, nicht passieren, weil die Auseinandersetzung mit Terrorismus und auch der Dialog am Ende zwischen uns und dem Islam kann ja nur sinnvoll erfolgen, wenn sich alle Beteiligten sich an rechtsstaatliche Regeln halten, und die gelten in unserem Kulturkreis logischerweise auch für Täter oder potentielle Täter oder Mitwisser. Insofern ganz klar, ich habe gerade im Übrigen nur über Zuständigkeitsregeln geredet, und unter uns Pastorentöchtern: Sie glauben ja nicht, dass man am großen Tisch mit 30 Leuten sozusagen jedes Geheimwissen bespricht, das ist gar nicht der Punkt, sondern die zuständigen Behörden müssen aktiv werden, und wenn ein Kabinettsmitglied dazu Wissen hat, muss man das sozusagen umsetzen.

    Spengler: Also die Frage der Schuld der USA, das ist natürlich die eine Frage. Die andere Frage ist, ob möglicherweise Mitglieder der Bundesregierung oder die Bundesregierung als solche auch mit Verantwortung trägt. Also bislang hat sich ja keiner bei Herrn El Masri entschuldigt, es ist das alles nicht passiert, und die Frage ist, betrifft es wirklich nur die Geheimdienste? Sie haben selber gesagt, El Masri war zu dem Zeitpunkt frei. Man hätte also durchaus in einem Kabinett darüber sprechen können, sagen Sie mal, da ist ein deutscher Staatsbürger entführt worden, wie geht denn so etwas, können wir das aufklären? Ich frage mich, hätte man anders reagiert, wenn da kein deutsch-libanesischer Arbeitsloser LKW-Fahrer entführt worden wäre, sondern ein deutscher Hochschulprofessor?

    Künast: Also das ist jetzt eine Frage der Arbeitsabläufe. Nicht alles, was 15 Ministerien machen, wird im Detail am Kabinettstisch gesprochen, aber schließen wir doch daraus nicht, dass sich nicht die einzelnen Ressorts mit dieser Geschichte tatsächlich beschäftigen. Also Sie sehen ja, dass der Anwalt von El Masri sich in der Zwischenzeit offensichtlich nicht beschwert hatte, bis jetzt diese Geschichte wieder hochkam. Es sind ja Aktivitäten unternommen worden, und über genau diese Aktivitäten wollen wir reden, was ist unternommen, und reicht das für die Zukunft? Ich habe die gleichen Fragen wie Sie. Ich sage jetzt nur, wir diskutieren über die Frage Aufklärung von Terrorismus, diskutieren auch über Ihre Sicherheit, und in diesem Zusammenhang will ich nur eines sagen, es braucht Geheimnis, es braucht einen Datenaustausch, und damit sind wir auch schon alle miteinander in einer Vielzahl von Problemen, und zwar Probleme gerade, weil wir ja merken, dass an einem Ende dieser Kette offensichtlich jemand sich nicht an die internationalen üblichen Regeln hält. Aber ich habe mit Ihnen die gleiche Erwartung, und deshalb haben wir auch Fragen. Wir haben uns heute in vier Ausschüssen auch auf Antrag der Grünen, wir haben eine ganze Menge Fragen, die wir beantwortet wissen wollen, und wenn die nicht beantwortet werden über die Abläufe, dann stehen wir auch da und überlegen uns, auch einen Untersuchungsausschuss zu beantragen, das ist sonst nicht richtig. Es muss Licht ins Dunkel dieser Angelegenheit, weil wir sagen, für jeden, notfalls auch für Täter, gilt, dass die rechtsstaatlichen Verfahren praktiziert werden müssen.

    Spengler: Könnte Joschka Fischer auch etwas mehr Licht ins Dunkel bringen?

    Künast: Ich glaube nicht, dass da noch mehr aufzuklären ist. Das wird in der Aktendarlegung der jetzigen Bundesregierung, glaube ich, mit dargestellt werden, und dann habe ich gar keine Scheu.

    Spengler: Also ich entnehme den Äußerungen zum Beispiel von Fritz Kuhn, dass da bislang noch nicht viel Aufklärung gekommen ist von dem ehemaligen Außenminister. Deswegen frage ich.

    Künast: Nein, also es wird alles mit in diese Darstellung der Bundesregierung drin sein, das erwarte ich, und da wird es um die Abläufe gehen. Aber ich bitte Sie jetzt auch, geben Sie jetzt bitte nicht immer nur Zeitungen und Zeitschriften weiter, das wissen Sie selbst, es schreiben jetzt einige jede Menge. Ich sage, der Ansatzpunkt ist der, dass wir jetzt ganz klar Aufklärung brauchen, weil es hier um ungeheure Vorgänge geht, und deshalb wollen wir alle Daten wissen. Bezüglich Joschka Fischer hatte ich jetzt gesehen, gesagt, dass da tatsächlich der Brief ankam nach der Entlassung, und der Brief ist auch weiterbearbeitet worden, und jetzt gucken wir und wollen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes die Details angucken, im Übrigen ja nicht jetzt, sondern offensichtlich wird an dem Thema schon viel länger gearbeitet, und jetzt muss mal gucken, wer hat wann was getan. Im Augenblick bin ich ja zwischendurch mal ganz verwundert, wer jetzt alles auf ein Thema einsteigt und Bundesregierung ein bisschen allein gelassen hat, als vor Monaten Dinge in der Zeitung standen. Dazu gab es einige, die immer noch gesagt haben, die USA darf man nicht kritisieren. Sehen Sie mal, wie sich die Zeiten ändern. Ich meine, dass auch die alte Bundesregierung früher Unterstützung gebraucht hätte und verdient hätte, als sie kritisch sich mit Menschenrechten beschäftigt hat, aber da hat die eine Hälfte des Parlaments immer nur transatlantische Freundschaft beschworen und so getan, als dürfte man nicht kritisieren. Sehen Sie mal, so ändern sich die Zeiten. Politik wird dadurch aber nicht einfacher.

    Spengler: Herzlichen Dank für das Gespräch.