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"Es muss Transparenz hergestellt werden"

Die G10-Kommission des Bundestages kontrolliert Abhörmaßnahmen der deutschen Geheimdienste. Kommissionsmitglied Ulrich Maurer findet, britische und US-amerikanische Nachrichtendienste verstoßen mit "Prism" und "Tempora" "wohl schon gegen geltendes Recht." Zu einem internationalen Abkommen über den Schutz digitaler Daten gebe es daher "keine Alternative".

Ulrich Maurer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 26.06.2013
    Jasper Barenberg: Je mehr bekannt darüber wird, in welchem Umfang sich die Geheimdienste in den USA und auch in Großbritannien offenbar Zugriff auf Internet-Daten weltweit verschaffen, desto bohrender werden auch die Fragen, wie sich all das eigentlich mit dem Schutz unserer Daten, mit dem Schutz unserer Privatsphäre verträgt. Das gilt zumal für die Aktivitäten der Briten, sie sind schließlich in der Europäischen Union, und deren Datensammelwut halten etwa die Grünen schon für eine Verletzung der europäischen Verträge. Auch Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger verlangt von London Aufklärung darüber, was abgeschöpft wird, wie viel und auf welcher gesetzlichen Grundlage. Auf der anderen Seite überwachen natürlich auch deutsche Geheimdienste die Kommunikation im Internet, beispielsweise der Bundesnachrichtendienst. Was unterscheidet sich und wie unterscheidet sich das vom amerikanischen Programm Prism oder von dem britischen Tempora?
    Ulrich Maurer von der Linkspartei ist Mitglied in der sogenannten G10-Kommission, die sich mit der Kontrolle der Überwachungsmaßnahmen deutscher Dienste beschäftigt. Schönen guten Tag, Herr Maurer.

    Ulrich Maurer: Guten Tag.

    Barenberg: Ist die Empörung dieser Tage über die umfangreichen Maßnahmen, von denen wir aus Großbritannien hören und aus den USA, ist diese Empörung ein wenig heuchlerisch, angesichts der Tatsache, dass auch der Bundesnachrichtendienst selbstverständlich Kommunikation überwacht?

    Maurer: Nein. Heuchlerisch ist sie vielleicht bei der Bundesregierung, weil die ja nun behauptet, sie hätte davon nie was erfahren und gewusst, und jetzt offiziell Fragen gestellt hat. Das kann ich nicht widerlegen, aber glauben tue ich es nicht, dass der BND vom Treiben seiner Partnerdienste nichts weiß. Aber wir in Deutschland haben bisher in dieser Kommission ein Verfahren nach Recht und Gesetz. Das heißt, es muss einzeln die Überwachung von Personen gut begründet beantragt werden, und dann wird sie genehmigt oder auch nicht genehmigt.

    Barenberg: Und Sie glauben, dass die Kontrolle auch gewährleistet ist, dass die ordentlich gewährleistet ist, beispielsweise mit der G10-Kommission, der Sie angehören?

    Maurer: Wenn die Dienste sich, wovon ich bis zum Beweis des Gegenteils mal ausgehe, an Recht und Gesetz halten, ja. Natürlich sind beide Überwachungskommissionen des Parlaments, also auch das Gremium für die Kontrolle der Nachrichtendienste, personell sehr schwach ausgestattet. Das heißt, wir können die Berechtigung von vorgelegten Anträgen prüfen. Natürlich sind beide Gremien – da hat mein Kollege Neskovic schon früher drauf hingewiesen – nicht in der Lage, jetzt sozusagen quasi investigatorisch nachzugucken, ob denn die Dienste sich in ihrem Rahmen bewegen.

    Barenberg: Das Gremium G10-Kommission trifft sich, soweit ich das in Erfahrung bringen konnte, regelmäßig einmal im Monat. Sie haben als Mitglied die Möglichkeit, auch Kontrollbesuche bei den Nachrichtendiensten zu machen und dort auch Zugang zu Unterlagen und Dateien, zu Diensträumen zu erlangen. Nutzen Sie diese Möglichkeiten, die in Ihrem Auftrag genannt sind?

    Maurer: Es gibt solche Besuche der Kommission, ja, aber ich denke, wenn Sie so was mit Misstrauen und sehr effektiv machen wollen, dann bräuchten Sie natürlich serienweise Spezialisten. Frau Bundeskanzlerin hat uns ja mitgeteilt, dass sie da auch Neuland betritt. Sie bräuchten eigentlich, wenn Sie von einer Misstrauensbasis aus operieren, natürlich einen ziemlich erheblichen Apparat, um dann wirklich investigatorisch bei den Diensten vorgehen zu können.

    Barenberg: Das heißt, Ihre eigene Arbeit würden Sie eher so beschreiben, dass Sie das entgegennehmen, was von den Diensten kommt, und das auf Solidität prüfen. Aber Nachforschungen in der Form stellen Sie nicht an?

    Maurer: Wie gesagt, es gibt diese Besuche, aber ich glaube, wenn man nun wirklich extrem forschen wollte, dann bräuchte man schon auf der technischen Seite ein unglaubliches Spezialistenwissen.

    Barenberg: Nun heißt es ja dieser Tage, dass der Bundesnachrichtendienst anders als die NSA in den USA und auch als der britische Geheimdienst relativ begrenzt nur die Internet-Kommunikation überwacht und ausspäht. Haben Sie denn derzeit Vertrauen, dass das so ist?

    Maurer: Das vermute ich, dass das zutrifft. Ich glaube, die Probleme, die wir zu klären haben, liegen eher an dem Punkt, dass man wohl davon ausgehen muss, dass die britischen Geheimdienste, die amerikanischen aufgrund ihrer Methoden zu Erkenntnissen kommen, die sie dann an andere Dienste weitergeben. Da stellt sich dann für einen Juristen beispielsweise die Frage, wenn die erlangt werden, rechtswidrig erlangt werden, ob dann nicht ein Verwertungsverbot solcher Erkenntnisse besteht.

    Barenberg: Wir haben ja alle miteinander in den letzten Tagen den Eindruck gewonnen, dass jedes Land für sich nach den eigenen nationalen Gesetzen vorgeht, dass allerdings die Rechte, sagen wir mal, der Bürger anderer Staaten kaum geschützt und gewährleistet sind. Wenn Sie jetzt sagen, aber hinter den Kulissen tauschen sich die Dienste dann mit den Informationen aus, ist dann nicht tatsächlich umso dringlicher, was Datenschützer dieser Tage fordern, dass es nämlich internationale Abkommen darüber geben muss?

    Maurer: Ja, das ist genau der entscheidende Punkt. Es muss Transparenz hergestellt werden, soweit das geht, jedenfalls über die Methoden, und da gebe ich dem Kollegen Beck vollkommen recht. Das, was die Briten und insbesondere die Amerikaner machen, verstößt wohl schon gegen geltendes Recht. Wir haben es mit massiven Grundrechtsverletzungen wahrscheinlich zu tun, auch gegenüber deutschen Bürgerinnen und Bürgern durch diese Dienste und ihre Methoden, und das muss natürlich unterbunden werden. Wissen Sie, es sind ja merkwürdige Leute mittlerweile auch im Westen an der Macht. Wenn ich mir nun vorstelle, Herr Berlusconi verschafft sich Zugang zu allen Internet-Informationen, die man so kriegen kann, und setzt das dann als politische Waffe ein, da kann es einem schon kalt den Buckel herunterlaufen.

    Barenberg: Ob Silvio Berlusconi jetzt dieser Tage, gerade nach dem Urteil gestern, da noch die große Gefahr darstellt, da kann man bestimmt unterschiedlicher Meinung sein.

    Maurer: Nun ja, er war schon Ministerpräsident, wissen Sie.

    Barenberg: Was die Bundesregierung angeht, wollte ich Sie fragen: Wenn jetzt die Bundesjustizministerin lauter Fragenkataloge nach London schickt, oder der Bundesinnenminister in Richtung USA, wie glaubhaft finden Sie denn, dass die Bundesregierung von nichts weiß und erst mal ein paar Fakten auf den Tisch haben möchte, bevor sie sich dazu verhält?

    Maurer: Ich kann es nicht widerlegen, aber ich finde es wenig glaubhaft. Ich habe auch den Verdacht, dass das eine Strategie ist, um Zeit zu gewinnen und zu hoffen, dass das Thema dann vom Herd kommt.

    Barenberg: Und glauben Sie, dass das Thema auf der Agenda bleiben wird und die Bundesregierung genötigt sein wird, mehr in Erfahrung zu bringen und auch mehr der Öffentlichkeit bekannt zu geben, was da alles gesammelt wird?

    Maurer: Wir werden alles dafür tun, dass es auf der Agenda bleibt. Aber die entscheidende Frage ist natürlich, wie reagieren die deutschen Nutzer des Netzes. Kann man die einschläfern, kann man die dazu kriegen, dass Sie das vergessen, wie stark ist der Wille der Bevölkerung, unserer Bevölkerung, da Demokratie und Transparenz einzufordern. Das wird die entscheidende Frage sein.

    Barenberg: Und da gibt es ja derzeit Arbeiten an einer neuen europäischen Datenschutz-Verordnung. Wie zuversichtlich sind Sie, dass diese Fragen zufriedenstellend beantwortet werden?

    Maurer: Na ja, nach den Erfahrungen mit der EU in den letzten Jahren nicht so sehr. Deswegen wird eine kritische Öffentlichkeit umso notwendiger sein.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Maurer: Der Bundesdatenschutzbeauftragte, Peter Schaar, er verlangt – wir haben das angesprochen –, den Datenschutz endlich dem digitalen Zeitalter anzupassen mit einem internationalen Abkommen. Hat das realistische Chancen, etwas zu werden?

    Maurer: Man muss es versuchen. Es gibt ja keine Alternative dazu. Man muss es versuchen. Ob das klappt, da habe ich erhebliche Fragezeichen. Aber das ist kein Grund, es nicht zu versuchen.

    Barenberg: Und wann und wie könnte man das auf die politische Agenda setzen? Was können Sie, was kann die Linkspartei beisteuern, um das zu tun?
    Maurer: Wir können im Parlament, wenn wir Mehrheiten finden, die Regierung auffordern, das zu tun, und wir werden es versuchen – klar!

    Barenberg: Und gilt das auch für Ihre Arbeit in dieser G10-Kommission? Werden Sie da jetzt anders agieren als bisher?

    Maurer: Wir haben das zur Kenntnis genommen und Sie können davon ausgehen, dass wir uns damit befasst haben. Das wird auf der Tagesordnung bleiben.

    Barenberg: …, sagt Ulrich Maurer von der Linkspartei, Mitglied der sogenannten G10-Kommission. Vielen Dank für das Gespräch heute Mittag.

    Maurer: Ja, danke schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Zentrale des US-Geheimdienstes NSA
    Zentrale des US-Geheimdienstes NSA (picture alliance / AP / Patrick Semansky)