Nutz: Herr Behrens, das Programm soll Repression verstärken und Vorbeugung ausbauen, haben Sie gesagt. Dass Politik aktiv wird, werden viele begrüßen, vor allem die, die hier Versäumnisse in den vergangenen zehn Jahren kritisiert haben. Welche Wirkung versprechen Sie sich davon?
Behrens: Es gibt tatsächlich den Vorwurf an die Politik, etwas versäumt zu haben, aber ich denke, man muss dennoch zunächst einmal richtig stellen, dass wir jetzt nicht bei null anfangen, sondern dass wir gerade in Nordrhein-Westfalen sehr stolz sind auf eine langjährige Tradition konsequenter Politik gegen rechts durch die Landesregierung. Da haben sich viele beteiligt. Es gibt seit vielen Jahren, seit 20, 30 Jahren sehr intensive Bemühungen, etwa die Kontakte nach Israel auszubauen, den Austausch mit Israel auf der Schulebene zu forcieren. Es gibt in vielerlei Hinsicht Aufklärungsbemühungen der Landeszentrale für politische Bildung, die mit ihren Veröffentlichungen über die ganzen Jahre vorbildlich war. Und dennoch sagen wir: das reicht nicht. Wir müssen jetzt einen Neuanfang machen und noch zulegen, um dazu beizutragen, dass wir dem, was wir nun in unserer Gesellschaft beobachten, diese braune Flut, endlich Herr werden. Das geht nicht, indem man nur auf Verbote etwa der NPD oder anderer Organisationen setzt, so richtig sie sein mögen. Auch ich habe sehr viel gegen die NPD und sage dennoch, ich weiß nicht, ob es ausreicht, nur gegen die NPD vorzugehen. Man bekommt ja damit dieses braune Gedankengut nicht weg. Die Menschen bleiben da, die dieses Gedankengut tragen und verbreiten. Sie werden sich anders organisieren. Es braucht deshalb - da sind wir in Nordrhein-Westfalen innerhalb der Regierung und ich glaube auch mit sehr vielen anderen einer Meinung - deshalb eine breite Aktion in allen denkbaren Handlungsfeldern, um gegen rechts aufzustehen und zu mobilisieren.
Nutz: Herr Behrens, Sie fordern den gesellschaftlichen Aufbruch gegen rechts, nicht nur in den Institutionen, sondern auch in den Köpfen. Das ist aber offenbar trotz aller Bündnisse, Aktionen und Lichterketten in den vergangenen Jahren nicht gelungen. Warum sollte es jetzt gelingen?
Behrens: Ich glaube, dass es in den vergangenen Jahren doch weithin gelungen ist, dass es allerdings auch regional spezifisch und mit bestimmten Schwerpunkten in unserem Lande nötig ist, noch einmal nachzulegen und noch einmal ganz gezielt vorzugehen. Deshalb sehen wir ja auch sehr gezielte Maßnahmen etwa der Polizei vor. Wir wollen unsere Aufklärungsbemühungen durch den Verfassungsschutz stärken. Ich muss allerdings zugestehen, dass es möglicherweise in der Bundesrepublik Deutschland sehr unterschiedliche Entwicklungen in diesem Felde gibt, dass die Probleme in anderen Teilen unseres Staates möglicherweise anders sind als in Nordrhein-Westfalen. Wir wollen nun sehr gezielt vorgehen. Wir wollen heute noch einmal konkrete Verabredungen treffen mit allen, die mitmachen können. 81 Maßnahmen enthält unser Paket. Wir wollen diese nun diskutieren, sind offen für weitere Vorschläge von anderen Gesprächspartnern und wollen so weit es geht vor Ort Bündnisse schmieden.
Nutz: Der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel sagt, Demokratie stellt sich immer mehr als kaltes Projekt dar. Der Wärmestrom von der Politik zur Gesellschaft fehlt. Menschen wandern ab in die rechte Isolation, weil die Bindungen verloren gehen. Kann Politik, kann man mit diesen Bündnissen dagegen wirklich etwas tun?
Behrens: Die Bündnisse können vielleicht den Boden bereiten. Es ist sicher so, dass der Rechtsextremismus sehr vielfältige, sehr unterschiedliche Ursachen hat. Es ist von sozialer Benachteiligung, von einer Randlage derer die Rede, die sich dort engagieren oder die dort anfällig sind für dieses Gedankengut. Das sind alles, glaube ich, Überlegungen, die richtig sind. Wir werden auch das heute diskutieren was die Ursachen angeht. Natürlich brauchen wir Engagement und Möglichkeiten des Engagements für die Bürgerinnen und Bürger, die auch ausgeweitet werden in unserer Gesellschaft, um Demokratie erlebbar zu machen, um eben das zu vermeiden, was Herr Gabriel kritisiert: Költe. Dennoch glaube ich, dass man diese rechten Schläger, um es mal so zu formulieren und zuzuspitzen, damit allein nicht erreicht, sondern man muss tatsächlich auf sie zugehen. Man muss ihnen sagen: bis hierher und nicht weiter. Man muss ihnen Grenzen setzen. Man muss ihnen sagen, dass die große Mehrheit und die staatlichen Institutionen ihr Verhalten nicht toleriert, dass man mit aller Konsequenz etwa Straftaten verfolgt. Das alles, glaube ich, zusammen muss kommen in einer breiten Aktion über alle Ebenen und Aktionsformen hinweg, um deutlich zu machen: wir lassen uns das nicht gefallen, wir wollen den Anfängen wehren.
Nutz: Herr Behrens, Stichwort Repression. Das ist ja das, was Sie gerade ansprechen. Es gibt immer noch die Diskussion um das NPD-Verbot. Sie haben eben gesagt, Sie sind skeptisch. Die Regierung in Berlin scheint entschlossen, nach Karlsruhe zu gehen, vorausgesetzt die Bund-Länder-Kommission kann es juristisch wasserfest machen. Wie wollen Sie denn die differierenden Ländermeinungen unter einen Hut bringen, wenn Sie selbst eine so dezidierte Position haben? Am Freitag wird sich ja sicherlich die Sonderkonferenz damit beschäftigen.
Behrens: Ja, am Freitag werden wir auch wieder die gesamte Palette aller denkbaren Maßnahmen natürlich diskutieren. Das NPD-Verbot ist ja nur eine dieser Maßnahmen. Zunächst einmal muss eine Entscheidung vorbereitet werden. Deshalb ist eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die Material sammelt. Es mag sein, dass am Ende dieser Vorarbeiten, die etwa im Oktober abgeschlossen sein sollen, die Erkenntnis steht, dass das, was an Erkenntnissen über die NPD vorhanden ist, einen Verbotsantrag rein faktisch tragen würde. Dann bedarf es immer noch einer juristischen Beurteilung und schließlich einer politischen Beurteilung, ob man den Antrag beim Bundesverfassungsgericht wirklich stellt. Da kommt es nicht so sehr darauf an, dass nun alle in den Ländern einer Meinung sind, sondern es kommt darauf an, dass etwa die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat - die sind es nämlich - einen entsprechenden Antrag in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht beschließen. Ob es dazu kommen wird, das muss man jetzt abwarten, weil man dieser Entscheidung natürlich nicht vorgreifen kann. Mir scheint, dass bundesweit der politische Wille zugenommen hat, hier einen Antrag zu stellen. Ob es dabei bleiben wird muss man abwarten, wenn die Materialien aufbereitet sind.
Nutz: Was ist denn mit rechtsradikalen Organisationen im Umfeld der NPD, zum Beispiel auch Skinhead-Organisationen oder Vereinen? Wird es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen so wie in Hamburg Verbote gegen sie geben?
Behrens: Es hat ja in Nordrhein-Westfalen auch in der Vergangenheit schon solche Verbote gegeben. Im Moment haben wir keine konkrete Absicht, irgendeine dieser Organisationen zu verbieten, weil sich dafür bisher nicht genügend Anhaltspunkte und Verdachtspunkte ergeben haben. Aber prinzipiell sind wir natürlich immer bereit, ein Vereinsverbot auszusprechen, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Nutz: Thüringens Innenminister Köckert fürchtet, dass der Druck gegen rechts, der jetzt gemacht wird, auch Eskalation bedeutet. Druck, sagt er, erzeugt Gegendruck und neigt nun anders eben als vorher einem Verbot der NPD zu. Was spielt sich da ab? Wird es Ihrer Einschätzung nach tatsächlich zu einer solchen Eskalation kommen?
Behrens: Ob man das eine Eskalation nennen kann weiß ich nicht. Ich sehe auch mit großer Sorge, dass die gegenwärtige Diskussion natürlich den rechten Aufmerksamkeit und möglicherweise auch Zulauf beschert. So genau wissen wir das noch nicht. Das ist eine Frage, der wir noch nachgehen. Eine solche Diskussion hat immer zwei Seiten. Ich bin dafür, mit aller Konsequenz gegen den Rechtsextremismus vorzugehen. Deshalb braucht es auch öffentliche Diskussionen. Allerdings dürfen die nicht hysterisch werden. Man darf auch das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Man darf nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Das scheint mir bei einigen der Vorschläge, die in den letzten Tagen auf den Tisch gekommen sind, doch so zu sein.
Nutz: Das 81-Punkte-Programm gegen Rechtsextremismus. - SPD-Innenminister Fritz Behrens von Nordrhein-Westfalen im Deutschlandfunk. Wir bedanken uns für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Herta Däubler-Gmelin
Link: Interview als RealAudio