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"Es sind dieselben Anschläge, die wir Ende der 90er-Jahre"

Der islamische Terror befinde sich wieder im Aufschwung - vor allem aus der Region des Nordkaukasus, glaubt Alexander Rahr, der Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die Staatsmacht sei in diesen Gebieten machtlos.

Alexander Rahr im Gespräch mit Jürgen Liminski | 29.03.2010
    Jürgen Liminski: Bei der Explosion in der Moskauer U-Bahn sind heute Morgen mindestens 35 Menschen getötet worden. Viel mehr weiß man noch nicht, aber dass es ein Terroranschlag war, daran besteht kein Zweifel. Am Telefon ist nun Alexander Rahr, der Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Morgen, Herr Rahr.

    Alexander Rahr: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Rahr, ein Doppelanschlag im Herzen von Moskau. Kann man den Kreis der möglichen Täter umschreiben, vielleicht sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit ausmachen?

    Rahr: Ja, sicherlich! Ich glaube, dass dieser Terroranschlag einen tschetschenischen oder einen nordkaukasischen Hintergrund hat, obwohl man nicht völlig ausschließen kann, dass der Terroranschlag auch von rechts kam, denn in Russland gibt es inzwischen auch eine rechtsextremistische Szene. Ich verweise darauf, dass vor wenigen Wochen es zwei Anschläge auf den Express St. Petersburg-Moskau gegeben hat, auch mit einigen Toten, und der Drahtzieher war ein Extremist der rechten Szene. Er wurde schließlich nachher gefasst.

    Liminski: Für einen islamistischen Hintergrund, Stichwort Tschetschenen, gibt es noch keine konkreten Hinweise. Geht denn von dieser Seite überhaupt eine reale Gefahr aus?

    Rahr: Ich denke, dass dieser spektakuläre Anschlag, wie wir ihn jetzt gesehen haben, natürlich eine Handschrift islamischer Extremisten trägt. Die sind ja weiterhin im Nordkaukasus sehr aktiv. Zwar ist Tschetschenien als Republik heute unter der Kontrolle des Kadyrov-Clans und von dort droht Russland heute keine Gegenwehr, keine Gefahr. Die Separatisten sind dort alle von Kadyrov eingekauft und integriert worden in seine Clanstruktur. Aber in den Nachbarrepubliken, in Dagistan und auch in Inguschetien, rumort es. Dort gibt es seit Wochen, wenn nicht seit Monaten Anschläge gegen staatliche Behörden. Auch der Gouverneur von Inguschetien ist einem Terroranschlag zum Opfer gefallen.

    Liminski: Sind das islamistische Anschläge?

    Rahr: Es sind dieselben Anschläge, die wir Ende der 90er-Jahre, Anfang des Jahrhunderts in Russland erlebt haben, mit der Steigerung bis zu Beslan im Nordkaukasus, als es diese furchtbaren Geiselnahmen gegeben hat. Ich glaube, dass sich der islamische Terror, möglicherweise unterstützt auch von Strukturen wie El Kaida, weil irgendjemand muss ja die Terroristen dort mit Waffen und mit der notwendigen Logistik versorgen, natürlich wieder im Aufschwung befindet. Die Staatsmacht ist fassungslos, ist machtlos in dieser Region, und vor allen Dingen hat die Finanzkrise natürlich den notwendigen Nährboden für diesen Terrorismus hier wieder geschaffen, weil es wirtschaftlich in dieser Region weiterhin sehr bergab geht.

    Liminski: Ein Hinweis ist vielleicht der Ort des ersten Anschlags, die Metro-Station Lubianka unter dem Sitz des Geheimdienstes. Steht der Geheimdienst im Visier des Terrorkrieges?

    Rahr: Der Geheimdienst steht tatsächlich im Visier des Terrorkrieges. Auch in Inguschetien oder in Dagistan werden hauptsächlich FSB- oder Polizeizentralen angegriffen. Jetzt erinnert mich natürlich dieser furchtbare Anschlag in Moskau wieder an die Anschläge von 2002 und 2003, wo, wir erinnern uns, sich eine tschetschenische Selbstmordattentäterin direkt unter dem Kreml in die Luft jagen wollte, das aber einige Meter weiter getan hat und dann im Manegenplatz die Bombe explodierte, auch mit vielen Toten. Danach folgte übrigens Beslan, das furchtbare Geiseldrama im Nordkaukasus. Ja, ich glaube, dass jetzt der FSB und natürlich die Staatsmacht an sich ins Visier der Terroristen genommen worden ist.

    Liminski: Die Anschläge erfolgten ganz überraschend. Man hielt Russland eigentlich für relativ sicher. Das war wohl ein Trugschluss. Sind die Sicherheitsbehörden schlechter als ihr Ruf?

    Rahr: Die Sicherheitsbehörden sind in einer schwachen Verfassung in Russland. Präsident Medwedew hat jetzt eine große Säuberung im Polizeiapparat angeordnet. Das Problem ist dort die auswuchernde Korruption, auch die schlechten Gehälter der Beamten. Ich weiß nicht, wie die Situation im FSB selbst ist, aber wir haben schon lange nichts von größeren Erfolgen im Kampf gegen den Terrorismus im Nordkaukasus gehört. Das Problem bleibt bestehen und die Finanzkrise, die Lage in Russland, die sich ja genauso wie in Europa nicht unbedingt schnell verbessert nach der Finanzkrise, macht das Notwendige, um die Situation zu verschlechtern.

    Liminski: Auch der Terror hat in der Regel einen politischen Kern, oder zumindest eine politische Botschaft. Hat dieser Terror in Russland etwas zu tun vielleicht mit kommenden Wahlen?

    Rahr: Na ja, die Wahlen in Russland bringen, denke ich, momentan keine größeren Überraschungen. Man kann nicht auf etwas anderes hoffen, als auf die Fortsetzung des jetzigen Kurses. Die liberalen Kräfte sind zu schwach und um sie zu unterstützen, würden die Terroristen bestimmt keine Bomben werfen. Nein, ich glaube, es geht wieder darum, hier im Nordkaukasus Unruhe zu schaffen. Ich glaube, dass dieser Spannungsbogen vom Iran, der übrigens jetzt mit Russland wieder im Konflikt steckt, weil die Russen mehr jetzt für die westliche Position tun in der Druckausübung auf den Iran, keine Atombomben zu bauen, bis Afghanistan, Irak, südliche Grenzen der ehemaligen Sowjetunion natürlich dazu beiträgt, dass ein neues Gefahrenpotenzial entsteht, das man geglaubt hatte, im Tschetschenien-Krieg beseitigt zu haben.

    Liminski: Terror in Moskau. Alexander Rahr war das, der Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Besten Dank für das Gespräch und auch für die kurzfristige Bereitschaft dazu, Herr Rahr.

    Rahr: Gerne.