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"Es sind viele Ängste da"

"Das sind Punkte, in denen man ins Gespräch kommen muss", sagt Christa Goetsch, Senatorin für Schule, Beruf und Weiterbildung in Hamburg über den Protest von 180.000 Hamburger Bürger gegen die beschlossene Schulreform. Sie möchte die Tradition der Elternbeteiligung ernst nehmen - will aber weiterhin darauf achten, dass die Schulformen ausbalanciert sind.

Christa Goetsch im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: 77 Leitz-Ordner stehen derzeit im Büro des Landeswahlleiters in Hamburg, gefüllt mit den Unterschriften von über 180.000 Bürgern. Sie alle lehnen die vom schwarz-grünen Senat in der Hansestadt beschlossene Schulreform ab. Dass ein Volksbegehren dagegen Erfolg haben würde, das hatten CDU und Grüne an der Elbe durchaus im Kalkül, nicht aber, dass am Ende dreimal mehr Menschen unterschreiben würden, als für einen Erfolg nötig gewesen wären. Auf dem falschen Fuß erwischt auch Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust.

    O-Ton Ole von Beust: Die Anzahl der Unterschriften gegen die Schulreform ist ohne Zweifel ein Paukenschlag. ich habe auch selber mit einer so großen Zahl von Gegnern dieser Reform, die unterschreiben, nicht gerechnet und das Ergebnis trifft auch mich persönlich. Mir ist es nicht gelungen, zumindest die Unterzeichner davon zu überzeugen, dass diese Reform so richtig ist.

    Barenberg: Wie soll es nach dem Disaster in Hamburg jetzt weitergehen? Jetzt am Telefon die Senatorin für Schule, Beruf und Weiterbildung in Hamburg. Guten Morgen, Christa Goetsch.

    Christa Goetsch: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Frau Goetsch, ist die Schulreform, wie sie derzeit auf dem Tisch liegt, nach dem Volksbegehren jetzt Makulatur?

    Goetsch: Nein, nein. Der Kern unserer Reform ist ja, die Primarschule aufbauen, dann zwei Wege zum Abitur, und das gemeinsame längere Lernen, die sechs Jahre, die stehen nicht zur Disposition, und wir sind ja auch mitten in den Vorbereitungen. Das heißt, die Stundentafeln, die Bildungspläne und die Vorbereitungen der Lehrerfortbildung, das läuft ja alles an. Auch am Mittwoch wird endgültig entschieden über die Schulstandortplanungen. Insofern: das wird nicht angetastet. Aber es gibt natürlich eine Menge, die sind noch verunsichert. Es sind ja viele Ängste noch da. Und man muss natürlich sagen, die Befürworter sind ja auch noch nicht zu Wort gekommen. Insofern sind wir jetzt natürlich gerne bereit, Gespräche zu führen, auf die verschiedenen Gruppen zuzugehen, selbstverständlich auch auf die Volksinitiative, aber auch, ich sage mal, Gruppen wie die Elternkammer, die Handwerkskammer sind da wichtige Gesprächspartner, um zu sehen, wie man in Umsetzung oder Ausgestaltung noch bessere Möglichkeiten hat.

    Barenberg: Umsetzung, Ausgestaltung, das sind Stichworte, die darauf verweisen, dass Sie inhaltlich an der Substanz Ihrer Pläne nichts ändern wollen, obwohl das Volksbegehren ja einen großen Erfolg gebracht hat.

    Goetsch: Sicherlich bleibt man da nicht unberührt bei dieser großen Zahl, das ist wahr. Es sind gut 14 Prozent der Hamburger Bevölkerung, die wählen darf. Aber es ist so, dass es ja Themen gibt, die besonders thematisiert wurden, wo also sehr viel Emotionen auch mitspielten, und das ist sicherlich die Elternbeteiligung. Das sind Punkte, wo man mit ins Gespräch kommen muss und wo die Eltern Sorge haben, dass sie nicht ausreichend in der Entscheidung mitbeteiligt werden. Insofern gibt es sicherlich eine Menge Themen, die zu besprechen sind. Aber wie gesagt, das längere gemeinsame Lernen - da gab es ja auch schon Umfragen in Hamburg -, das wird ja grundsätzlich befürwortet. Die Themen der Volksinitiative waren ja Elternwahlrecht und die sechs Jahre, beziehungsweise die Frage hieß ja, ob die fünfte und sechste Klassen am Gymnasium bleiben sollen. Das längere gemeinsame Lernen steht wie gesagt nicht zur Disposition.

    Barenberg: Das Elternwahlrecht aber schon. Das habe ich jetzt hoffentlich richtig verstanden. Das heißt, es wäre möglich, abhängig von den Gesprächen, die Sie jetzt führen wollen, dass es zu einer Wiedereinführung des Elternwahlrechts kommt, dass also in Zukunft wieder die Eltern darüber entscheiden oder entscheidend dabei mitreden können, auf welche weiterführende Schule ihr Kind dann nach der Grundschule, nach der Primarschule gehen wird?

    Goetsch: Das ist sicherlich eine wichtige Frage, wobei man pädagogisch auch genau schauen muss, wie das ausgestaltet ist, damit wirklich auch die beiden Wege zum Abitur, das Gymnasium und die Stadtteilschule, auch entsprechend ausbalanciert, ich sage mal, angewählt werden, um nicht eine Schulform, zum Beispiel die Stadtteilschule, zu einer sozusagen Schulform zweiter Klasse werden zu lassen. Das liegt hier nicht so ganz einfach. Trotzdem ist die Elternbeteiligung ein wichtiges Thema, aber auch so Fragen, ob die Fremdsprachenangebote in der Primarschule entsprechend ausreichend sind, ob alle Kinder zu ihrem Recht kommen, dass unsere Schule, die Primarschule, künftig eine leistungsstarke, eine bessere Schule ist mit moderner Pädagogik und besseren Rahmenbedingungen, mit kleineren Klassenfrequenzen. Das sind alles Themen, die auch noch sehr, sehr intensiv kommuniziert und diskutiert werden müssen, um Verunsicherung und Skepsis zu nehmen.

    Barenberg: Was das Elternwahlrecht angeht, da gibt es ja immer zwei Seiten der Medaille. Die eine lautet, Eltern täuschen sich gerne, was die Empfehlung für ihre eigenen Kinder angeht. Die andere Seite: auch Lehrer geben manchmal falsche Empfehlungen ab. Wie ist denn da überhaupt so ein Mittelweg, ein Königsweg zu beschreiten?

    Goetsch: Das wird eine große Herausforderung sein und wenn Sie ins Ausland gucken, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz, da reibt man sich verwundert die Augen, dass überhaupt nicht alleine die Schule das bestimmt. Aber wir haben eine Tradition der Elternbeteiligung und die muss man sehr ernst nehmen und da werden wir nach dem Königsweg suchen.

    Barenberg: Der Sprecher der Initiative "wir wollen lernen", Herr Scheuerl, sagt ja, dass ein Kompromiss in diesem Punkt beispielsweise noch nicht ausreicht. Wird es weitere Punkte geben, wo Sie Kompromisse signalisieren?

    Goetsch: Wissen Sie, wir sind jetzt gerade am Anfang, in die Gespräche zu gehen, und dem kann ich natürlich überhaupt nicht vorgreifen. Ich kann nur sagen, dass die CDU und die GAL, der Bürgermeister und ich ganz klar gesagt haben, dass die sechs Jahre nicht zur Disposition stehen.

    Barenberg: Das heißt aber dann auch, dass es beispielsweise Schwierigkeiten gibt bei Gymnasien, die besondere Profile etabliert haben, zum Beispiel Musik, Sprachen oder Sport, denen ja jetzt dann zwei Jahre fehlen, wenn die Kinder erst mal sechs Jahre in die Primarschule gehen?

    Goetsch: Den Gymnasien fehlen, das ist natürlich auch etwas, wo Ängste geschürt werden. Es ist ja so, dass in der Primarschule diese Bereiche wie Sport, Fremdsprachen, auch Latein natürlich und die musischen und sportlichen Profile weiter vorhanden sind. Die Kolleginnen und Kollegen der weiterführenden Schulen, also Gymnasiallehrer, arbeiten in der Primarschule. Das ist ja ein großer Unterschied zu anderen Bundesländern, die sechs Jahre haben und das wird schon ab Klasse vier und nicht erst ab Klasse fünf begonnen. Das ist also gewährleistet und ist ja auch gerade das besondere an der Primarschule, dass die Fachlichkeit der weiterführenden Schulen, also Gymnasien und Gesamtschulen, und die Methodenkompetenz der Grundschulen zusammengeführt wird durch die Teams, die arbeiten, also multiprofessionell, wie man so schön Neudeutsch sagt. Das sind ja alles Dinge, die nicht das Gymnasium schwächen oder die Leistungsstärke, und insofern diese Gerechtigkeit und die Leistungsstärke miteinander verknüpft werden. Da machen wir ja einen wirklich guten Weg in eine wirklich neue, bessere, leistungsstarke Schule. Sicherlich müssen noch viele Sorgen und Ängste ausgeräumt werden. Da sind wir natürlich am Zuge, auch wir von der Schulbehörde.

    Barenberg: Das heißt aber, Sie vertrauen weiter darauf, dass mehr erklären, mehr erläutern dazu führt, dass am Ende das so bleibt, wie Sie es jetzt geplant haben?

    Goetsch: Ja. Es kommt natürlich im Zweifel auch zum Volksentscheid. Es ist so, dass wir, wie ich anfangs schon sagte, eben auch eine Mehrheit in der Stadt haben, die für längeres gemeinsames Lernen sind. Gestaltungs- und Umsetzungsfragen und auch noch Fragen, die wir sicherlich durch die Gespräche auch mit der Unterstützung von Herrn Dr. Michael Otto haben werden, denke ich, wird das sicherlich weiter entschärfen und die Polarisierung abmildern, die in den letzten Wochen sehr stark entstanden ist und die wir auch sehr, sehr ernst nehmen.

    Barenberg: Sie haben kürzlich das Volksbegehren ja noch als dumpfen Populismus bezeichnet. Müssen Sie ein Stück weit auch Ihre eigene Ansicht verändern und anerkennen, dass es in der Breite der Bevölkerung Kritik, und zwar grundsätzliche Kritik an Ihrer Schulpolitik gibt?

    Goetsch: Wissen Sie, es gibt sehr unterschiedliche Gruppen, die da unterschrieben haben. Das sind einerseits die ganz scharfen Gegner grundsätzlich, das sind die Eltern, auf die wir gerne zugehen, die sehr, sehr verunsichert sind und große Ängste und Sorgen noch haben, aber gar nicht grundsätzlich gegen längeres gemeinsames Lernen sind, das ist eine wichtige Gruppe, wo wir in der Pflicht sind, da auf sie zuzukommen und entsprechend auch aufzuklären. Ich hatte gerade am Wochenende mit einem älteren Ehepaar über dieses Thema gesprochen und dann sagten sie hinterher, da sind wir ja shanghait worden. Das ist ein alter Hamburger Ausspruch, wenn man Matrosen sozusagen gewinnen wollte und hat sie ein bisschen überrumpelt. Das sind verschiedene Gruppen und insofern war sicherlich mein Ausspruch doch auf die gerichtet, die mit bestimmten Methoden gesammelt haben. Aber wie gesagt: die Ängste der Eltern, die nehmen wir sehr ernst. Ich sagte schon: ich bin natürlich nicht unberührt von dieser Anzahl der Unterschriften.

    Barenberg: Hamburgs Schulsenatorin Christa Goetsch von der GAL. So nennen sich die Grünen in Hamburg. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Goetsch.

    Goetsch: Gerne, Herr Barenberg.