Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Es sollte eine gute Tradition werden"

Karsten Voigt, Koordinator der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit der Bundesregierung, sieht die Debatte um den Redeort des US-Senators Obama in Berlin als "klein, klein" an. Es gebe kaum einen Ort in Berlin, der nicht eine komplizierte Geschichte aufweise. Solche Reden sollten gute Tradition werden. Obamas Wahl der Siegessäule begrüßt Voigt im Deutschlandfunk.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 21.07.2008
    Dirk-Oliver Heckmann: Guten Morgen.

    Karsten Voigt: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Voigt, war es kleinlich, Obama nicht den Auftritt vor dem Brandenburger Tor zu gönnen?

    Voigt: Das ist jetzt Vergangenheit. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass man es als Chance begreift, dass es zu einer guten Tradition wird, dass nicht nur deutsche Kanzlerkandidaten oder -kandidatinnen regelmäßig vor ihrer Kandidatur oder während ihrer Kandidatur nach Washington fahren und im Weißen Haus empfangen werden und dort natürlich auch von der deutschen Presse begleitet werden, sondern dass es umgekehrt genauso zu einer guten Tradition wird, dass amerikanische Präsidentschaftskandidaten nach Berlin kommen, dort ihre wesentliche Rede zu den transatlantischen Beziehungen halten und das möglichst an einem Ort, der nicht nur die Geschichte Deutschlands symbolisiert, sondern auch die Geschichte der transatlantischen Beziehungen gleichzeitig mit symbolisiert. Und das ist letzten Endes aus amerikanischer Sicht der Reichstag weniger, weil das mehr ein deutsches Symbol ist, sondern das Brandenburger Tor, weil dort die Amerikaner aus ihrer Wahrnehmung nicht nur deutsche Geschichte erlebt haben, sondern selber zweimal mit dem Sieg über den Nationalsozialismus und dem Sieg über den Kommunismus für die Freiheit gestanden haben.

    Heckmann: Aber wäre es nicht in der Tat eine Art Wahlkampfhilfe für Barack Obama gewesen, wenn man ihm diesen Auftritt vor dem Brandenburger Tor gewährt hätte?

    Voigt: Ach, wissen Sie, ich bin selber mal in Begleitung eines SPD-Kanzlerkandidaten im Oval Office empfangen worden bei Vater Bush, also Bush senior. Und das war natürlich auch ein Teil des Wahlkampfes. Ich erinnere mich daran, dass nicht nur SPD-Kandidaten, sondern auch CDU-Kandidaten in ähnlicher Weise nach Washington gefahren sind und dort natürlich gesagt haben "die Amerikaner sind für uns die wichtigsten Verbündeten", aber die Aufmerksamkeit, die ihrem Besuch galt, war weitaus größer in Deutschland im Vorfeld des Wahlkampfes als in Washington. Also insofern ist das etwas, was deutsche Politiker durchaus machen, wenn sie nach Washington fahren. Deshalb sollte man auch mit einer gewissen Nonchalance eigentlich darauf gucken, wenn amerikanische Politiker etwas Ähnliches tun. Und ehrlich gesagt für uns ist natürlich Amerika noch wichtiger, als wir für die USA. Insofern, wenn die Amerikaner regelmäßig nach Deutschland fahren würden im Zuge eines amerikanischen Wahlkampfes, würde ich das als große Chance ansehen und ich würde vor allen Dingen mich darüber freuen, und ich freue mich auch darüber, dass Obama jetzt nach Berlin kommt. Und ich würde mich genauso freuen, wenn McCain nach Berlin kommen würde.

    Heckmann: Weniger nonchalant jedenfalls sieht es allerdings das Lager um den Konkurrenten von Barack Obama, John McCain. Da verlautet, dass Obama einen NATO-Partner, nämlich Deutschland, durchaus in eine unangenehme Situation gebracht habe mit seiner Entscheidung, vor dem Brandenburger Tor sprechen zu wollen. Und das sei kein gutes Vorzeichen für einen möglichen Präsidenten Obama.

    Voigt: Ach, wissen Sie, ich bin im deutschen Wahlkampf viele Male dabei gewesen. Ich habe selber gesagt, ich habe SPD-Kandidaten begleitet, ich habe CDU-Kandidaten beobachtet. Und in Amerika ist Wahlkampf. Aber das ändert nichts daran. Es ist gute Tradition, dass deutsche Kanzlerkandidaten nach Washington fahren. Es sollte eine gute Tradition werden, bisher war es nicht immer der Fall, aber es sollte eine gute Tradition sein, dass amerikanische Präsidentschaftskandidaten nach Berlin fahren, nach Deutschland fahren und dort nicht nur Reden halten in Richtung, und Gespräche führen in Richtung auf Deutschland, sondern auch mit der Perspektive einer Rolle Deutschlands in Europa und der amerikanisch-europäischen Beziehung.

    Heckmann: Herr Voigt, es gibt Kritik auch an dem neuen Standort, der jetzt gewählt wurde, die Siegessäule am Großen Stern in Berlin. Reinhard Brüderle von der FDP sagt, diese Säule sei von Adolf Hitler vom Reichstag weg zum Großen Stern verlegt worden und das entspricht ja auch der historischen Realität. Und Andreas Schockenhoff von der CDU sagt, dass diese Säule eben ein Symbol sei für den Sieg über unsere Nachbarn. Ist Barack Obama also gut beraten, dieses Symbol zu wählen für seine Rede?

    Voigt: Das Faszinierende an Berlin ist, dass es eine sehr komplizierte Geschichte hat. Auch das Brandenburger Tor hat eine komplizierte Geschichte. Dort sind nicht nur Symbole der Freiheit gewesen, sondern es sind auch am Tag der Machtergreifung und kurz danach Einheiten der SA und anderer nationalsozialistischer Gruppen durch das Brandenburger Tor marschiert. Ich selber arbeite im Außenministerium. Dieses Außenministerium war einmal in der Nazizeit gebaut worden von der Reichsbank, ist damals gebaut worden unter Adolf Hitler, es war anschließend das Zentralkomitee der SED, nun ist es das Außenministerium. Es gibt eben in Deutschland, so ist unsere Geschichte, nur komplexe Orte mit einer widersprüchlichen Geschichte. Das macht aber diese Stadt, diese Orte auch gleichzeitig faszinierend. Das ist übrigens auch ein Grund, warum auch viele Ausländer und auch viele Amerikaner Berlin faszinierend finden. Und wenn diese Orte mit einer so komplexen Geschichte heute Symbole werden für Freundschaft und für enge Beziehungen, dann ist es gut. Und ich habe auch keinen Franzosen erlebt, der gesagt hat, die Siegessäule, das liegt ja jetzt über 100 Jahre schon zurück, dass dort mal eine solche Säule gebaut wurde, um des Sieges über die Franzosen zu gedenken, wenn solcher Ort heute der Freundschaft gelten sollte und wir das als ein anderes Symbol interpretieren, dann soll man darüber auch nicht lange richten. Aber in Berlin Orte zu finden, die sozusagen keine solche komplizierte Geschichte haben und nur dort dann noch Reden zuzulassen, das ist ein, führt eigentlich weg von der deutschen Wirklichkeit, die gerade diese Komplexität, diese Widersprüchlichkeit enthält in ihrer Geschichte.

    Heckmann: Herr Voigt, die meisten Experten lassen keinen Zweifel daran, dass der eigentliche Adressat der Rede von Obama in Berlin nicht die Deutschen, nicht die Europäer seien, sondern das amerikanische Publikum. Sehen Sie das auch so?

    Voigt: Ja gut, das ist genauso, ich habe das vorhin ja schon gesagt, wenn deutsche Kanzlerkandidaten oder Kanzlerkandidatinnen nach Washington fahren und von zahlreichen Journalisten begleitet werden, dann sprechen sie zwar den amerikanischen Präsidenten, dann sprechen sie zwar den amerikanischen Außenminister oder die amerikanische Außenministerin, und ich erinnere mich selber gut daran. Aber der eigentliche Adressat ist natürlich das aufmerksame Publikum zu Hause während des Wahlkampfes. Aber ist es denn wirklich schlimm, wenn amerikanische Präsidentschaftskandidaten es gut halten unter dem Gesichtspunkt ihrer Wähler zu Hause, nach Deutschland, nach Europa, nach Berlin zu kommen? Ist es nicht gerade erfreulich, wenn es amerikanische Präsidentschaftskandidaten für sich für gut halten, mit europäischen Verbündeten und ihren führenden Repräsentanten der Bundeskanzlerin und dem Bundesaußenminister zu sprechen? Wir sollten uns darüber freuen. Und ich empfinde diese Debatte, von welcher Seite sie auch immer gekommen sein mag ein den letzten Wochen, ein bisschen klein, klein. Und ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass wir diese Freude in Vordergrund stellen, dass wir das als Chance sehen, dass Berlin zum Symbol der europäisch-amerikanischen Beziehung wird, dass hier die Reden gehalten werden, nicht nur in diesem Jahr, sondern auch künftig zu den transatlantischen Beziehungen von wem auch immer und wer auch immer Präsidentschaftskandidat sein wird.

    Heckmann: Karsten Voigt, der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Gespräch hier im Deutschlandfunk. Herr Voigt, ich danke Ihnen für das Gespräch.