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"Es stehen einem so viele Türen offen"

Für Stefan Niggemeier, Medienjournalist und Blogger, hat das Internet große Vorteile mit sich gebracht. Es sei viel einfacher, sich zu informieren und mit anderen in Kontakt zu treten. Dennoch hätte die Gesellschaft immer noch riesige Vorbehalte gegen das Medium.

Stefan Niggemeier im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: So hörte sich das früher an, wenn man sich ins Internet klickte. Inzwischen hat das Telefon-Modem, das wir da gerade hören, aber auch schon wieder ausgedient. So schnell geht es im Internet, das heute vor 40 Jahren in den USA erfunden wurde, denn heute auf den Tag genau vor vier Jahrzehnten kam der Computer-Tüftler Leonard Kleinrock auf die Idee, zwei Computer per Telefon miteinander zu verbinden.

    Leonard Kleinrock jedenfalls ist der Mann, der heute vor genau 40 Jahren zwei Computer per Telefonleitung miteinander kommunizieren ließ. Diese Erfindung, sie hat unser Leben verändert, wie vielleicht kaum etwas anderes in den letzten Jahrzehnten. – Stefan Niggemeier ist Medienjournalist, Kolumnist der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und einer der bekanntesten Blogger in Deutschland. Guten Morgen, Herr Niggemeier.

    Stefan Niggemeier: Hallo! Guten Morgen.

    Meurer: Sind Sie Fan des Internets?

    Niggemeier: Ich glaube, ja. Bei all dem, was man kritisieren kann – und ich bin da auch jetzt kein blinder Verehrer oder so, wenn es dieses Verhältnis überhaupt gibt -, muss ich doch sagen, dass ich immer noch begeistert bin von den ganzen Möglichkeiten, die das Netz bietet, wie man wirklich mit wenigen Klicks Dinge erfahren kann, für die man früher entweder irgendwo hinfahren musste, sich in irgendwelchen Bibliotheken anmelden. Die ganze Kommunikation ist in einem Maße so viel leichter geworden, es stehen einem so viele Türen offen, die einem früher nicht offen standen. Unterm Strich ja, bin ich Fan.

    Meurer: Wenn wir uns daran erinnern: Mitte der 80er-Jahre hatten die Grünen, nachdem sie mit den Sonnenblumen in den Bundestag eingezogen waren, ihren Mitarbeitern in den Büros strikt verboten, mit Computern zu arbeiten. Wovor hatten wir Deutschen damals Angst beim Internet?

    Niggemeier: Ich glaube, dass wir immer noch die gleiche Angst haben, dass das Ganze ein Medium ist, was uns irgendwie auffrisst. Es ist ja gerade in diesem Jahr wieder ein großes Thema gewesen die Computer-Sucht und auch die Internet-Sucht. Diese Angst ist irgendwie überhaupt nicht weg und die ist eigentlich auch eine Kehrseite von den Möglichkeiten, die das Internet bietet, dass sich eigentlich alles, was man so in der Welt erleben kann, dort abbildet, und ich glaube, damit verbindet sich einfach auch diese Angst, dass man dann im Grunde gar nicht mehr weg kann davon, dass man völlig gefangen ist in dieser Welt, die einem der Monitor, den man vor dem Gesicht hat, vorspiegelt.

    Meurer: Aber die Angst ist doch klar geringer geworden. Gerade grüne Bundestagsabgeordnete waren dann die Ersten, die eine Homepage freischalteten.

    Niggemeier: Bei den Grünen ist sie vielleicht geringer geworden, aber ich glaube, insgesamt in der Gesellschaft und in den Medien merkt man, dass die Vorbehalte riesig sind, auch diese apokalyptischen Szenarien, was mit Kindern passiert, wenn die quasi nur noch vorm Computer sitzen. Ich glaube, das Verhältnis hat sich da gar nicht so sehr entspannt, nur insofern, wie man an den Politikern auch merkt, dass immer mehr Leute entdecken, welchen Nutzen das Internet für sie haben kann, also für Politiker zum Beispiel, ganz direkt mit ihren Wählern zu sprechen, und das wird natürlich zunehmen jenseits dieser diffusen Angst, dass immer mehr Leute ganz konkrete Dinge für sich entdecken.

    Meurer: Da wird ja Barack Obama, der neue US-Präsident, immer als leuchtendes Vorbild in Sachen Kommunikation Politiker mit Bürgern bezeichnet. Aber wird man in dieser Kommunikation, wenn man den Newsletter Obamas abonniert, nicht doch einfach mit schon fast Polit-Spams überschwämmt?

    Niggemeier: Ja. Ich glaube auch, dass das teilweise übertrieben wird, in welchem Maße der Wahlerfolg davon abhängt. Aber was man schon auch bei Obama sehen kann, ist, dass das Internet eine Möglichkeit war, viele Leute zu animieren, selbst tätig zu werden. Ich glaube, da kam es jetzt nicht so darauf an, dass man jeden Tag irgendwie eine scheinbar persönliche Botschaft bekam, sondern dass so viele Aktivisten überall im Land animiert wurden und sich darüber vernetzten, Möglichkeit und Materialien bekamen, selbst tätig zu werden, und ganz viele kleine Wahlkampfzentren entstanden.

    Meurer: Der Computer vereinsamt den Menschen. Das war damals eine Befürchtung. Wie hat das Internet, Herr Niggemeier, unser soziales Miteinander verändert?

    Niggemeier: Ich bin da immer noch ganz hin- und hergerissen, weil natürlich verändert das was, wenn ich plötzlich nicht mehr sagen wir 10 Freunde habe, mit denen ich mich abends auf ein Bier treffe, sondern mit 10 oder auch 1000 Menschen nur am Computer chatte. Ich kann auch verstehen, dass das ein Unbehagen auslöst. Andererseits ist aber natürlich die Möglichkeit viel größer, tatsächlich sich zu vernetzen, mit Leuten in Kontakt zu treten. Wenn man früher irgendwo auf einem Dorf saß und vielleicht jetzt auch nicht jemand war, der als junger Mensch sich dort irgendwie wohlfühlte, ich glaube, da war das ein weiter Weg, Leute zu finden, die genauso sind wie man selber. Das ist jetzt unglaublich viel leichter. Ich glaube, das ist auch eigentlich was Gutes. Die Gefahr ist natürlich, dass man tatsächlich nur mit Leuten irgendwie kommuniziert und sich in diesen sozialen Netzen umgibt, die so ähnlich sind wie man selbst, dass also dadurch dann die Welt doch wieder kleiner wird, dass man gar nicht mehr konfrontiert wird in der Kneipe, auf der Straße, wo auch immer mit Leuten, die ganz anders sind.

    Meurer: War das Internet ein Akt der Befreiung und der Basisdemokratie?

    Niggemeier: Auch da ist die Antwort ja und nein. Zunächst mal ist es das natürlich, auch ganz elementar bei Medien, dass es zum ersten Mal wirklich die Möglichkeit gibt, dass es nicht nur ein paar wenige Leute gibt, die senden, und alle anderen empfangen, ein paar Leute wissen die Nachrichten und alle anderen erfahren sie überhaupt erst aus der Zeitung, aus dem Fernsehen. Das hat sich dramatisch verändert. Jeder kann Blogger sein, seine eigene Homepage sein, eine Art Mini-Publizist. Insofern ist das demokratisch, aber natürlich gibt es auch im Internet ganz große Tendenzen dazu, dass die großen Player das auch vereinnahmen und dass Große die Kommunikation dominieren oder auch versuchen, überhaupt die Regeln im Internet zu schreiben.

    Meurer: Vielleicht auch gerade der Staat. Eben in dem Beitrag haben wir gehört, dass es das Pentagon war, das US-Verteidigungsministerium, das die Entwicklungen des Internets mit Geldmitteln gefördert hat. Kommt George Orwell auf leisen Sohlen Wireless LAN zurück?

    Niggemeier: Ich hoffe nicht, aber das ist natürlich verführerisch. Gerade weil dieses Netz scheinbar so frei ist und man auch so leicht das Gefühl hat, man kann da eigentlich alles machen, ist natürlich umgekehrt vom Staat die Verführung ganz groß zu sagen, wir versuchen, das jetzt alles zu kontrollieren und auf diese Weise zum Beispiel Zugriffsmöglichkeiten zu haben auf private Kommunikation, wie sie in der analogen Welt aus guten Gründen nicht zugelassen sind.

    Meurer: Andererseits: Überwachung und Kontrolle im Internet, ist sie notwendig, wenn wir an Kinderpornografie, Rechtsradikalismus, an Ähnliches denken?

    Niggemeier: Ich glaube, zunächst mal gelten ja im Internet die gleichen Gesetze wie außerhalb des Internets auch. Dieses Schlagwort vom Internet als rechtsfreiem Raum finde ich ziemlich abwegig, weil das ist es einfach nicht.

    Meurer: Die können ausgehebelt werden über Homepages im Ausland, auf den Konga-Inseln oder wo auch immer.

    Niggemeier: Das ist aber eine andere Frage. Ich glaube, zunächst mal ist die Frage, was im Alltag auch viele Blogger erleben, dass dort ganz knallhart die Gesetze gelten und dass man für Dinge abgemahnt wird, wo man wirklich nie von geträumt hat. Das ist dann tatsächlich der nächste Schritt zu sagen, wo kann man das Gesetz durchsetzen, wenn irgendwelche Homepages ganz woanders sind. Ich weiß nicht, ob das in der Praxis so groß ist. Beim Thema Kinderpornografie hat man ja dann immer so Visionen, dass das dann alles auf irgendwelchen Servern in Ländern liegt, wo man eh nicht rankommt. Ganz viele Untersuchungen zeigen aber, dass die meisten Seiten durchaus in Ländern sind, wo man rankommen könnte und wo eigentlich nur der Wille fehlt, das Ganze umzusetzen.

    Meurer: Was wünschen Sie sich, Herr Niggemeier, wie das Internet sich weiterentwickeln soll?

    Niggemeier: Ich hätte fast gesagt, das ist eh egal, was ich mir wünsche, weil das natürlich von so vielen Leuten geprägt wird, und ich glaube, das ist schon irgendwie dann das Tolle, dass jeder sein Ding machen kann. Was ich mir wünsche ist, wie auch immer sich das weiterentwickelt – und bestimmt werden viele Entwicklungen beunruhigend sein oder auch sehr kommerziell sein -, dass immer die Möglichkeit bleibt, dass jeder dort einen Platz findet, auch wenn die größten Medienunternehmen da ihre Pflöcke einschlagen, dass ein kleiner Blogger sagen kann, übrigens und hier veröffentliche ich auch, und wenn Leute das interessiert, dann werden sie das finden.

    Meurer: Stefan Niggemeier, Medienjournalist und Blogger, zum 40. Jahrestag des Internets. Danke schön, Herr Niggemeier, und auf Wiederhören.

    Niggemeier: Danke! Auf Wiederhören.