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"Es war keine große Rede"

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich ordentlich geschlagen bei seiner Rede zu Europa, urteilt Stefan Kornelius von der "Süddeutschen Zeitung". Vermisst hat er klare Worte zu den Kosten der europäischen Krise, lobt aber Gaucks Botschaft der deutschen Rolle im europäischen Gefüge.

Das Gespräch führte Dirk-Oliver Heckmann | 22.02.2013
    O-Ton Joachim Gauck: "So anziehend Europa auch ist, zu viele Bürger lässt die Europäische Union in einem Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit zurück. Ich weiß es, ich höre es, ich lese es fast täglich. Es gibt Klärungsbedarf in Europa."

    Dirk-Oliver Heckmann: Bundespräsident Joachim Gauck heute im Schloss Bellevue. Für heute Elf Uhr war seine Grundsatzrede zur Europapolitik angekündigt und sie war mit großer Spannung erwartet worden. Zuletzt nämlich war Kritik an Gauck laut geworden, er halte ich bei zentralen Themen zu weit zurück und setze zu wenig Akzente.

    Er gilt als herausragender Redner und oft genug hatte er seinen Ruf unter Beweis gestellt: Bundespräsident Joachim Gauck. Seit seinem Amtsantritt hat er bereits zahlreiche Ansprachen gehalten. Die große Rede aber, so Kritiker, die sei bisher ausgeblieben und die müsse jetzt langsam kommen bei seiner Rede zu Europa. Vor rund einem Jahr, gleich nach seiner Vereidigung, hat sich Gauck zum Thema bereits geäußert, und zwar wie folgt:

    O-Ton Joachim Gauck: "Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen."

    Heckmann: Soweit also Joachim Gauck nach seiner Vereidigung vor rund einem Jahr. – Wir sind jetzt verbunden mit Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung. Schönen guten Tag!

    Stefan Kornelius: Hallo, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Kornelius, viele hatten ja eine große Rede erwartet. War sie das?

    Kornelius: Es war eine ordentliche Rede, es war keine große Rede. Aber das Thema ist auch im Moment nicht dazu angetan, große Reden zu halten. Es ist über Europa relativ viel und ausführlich gesprochen worden von nahezu allen. Es sind alle Gedanken auf dem Tisch. Ich glaube, der Bundespräsident hat die Elemente, die man in so einer Rede packen muss, wirklich erfasst und gut reingepackt. Es ist nichts wirklich packend Neues dabei. Wenn ich mich an die große Rede von Bundeskanzlerin Merkel 2008 zur Eröffnung der deutschen Ratspräsidentschaft erinnere im Europaparlament in Straßburg, diese sogenannte Toleranzrede, da hat sie so eine neue intellektuelle Ebene eröffnet, die der Präsident nicht lieferte. Aber ich glaube, er hat doch ein Gefühl vermittelt, dass man die Sorgen versteht, dass man wieder zurückkommen muss zu den Bürgern, und gleichzeitig den Bürgern aufgegeben, das ist euer Europa, das ist eine europäische Öffentlichkeit, die gebraucht wird, also lasst es euch nicht wegnehmen, müht euch ab, dass das Europa auch euch nicht entgleitet.

    Heckmann: Die Verunsicherung in der Bevölkerung ist ja in der Tat groß. Der Chef des Europaausschusses des Deutschen Bundestages, Gunther Krichbaum, der hatte im Vorfeld schon gesagt, Gauck müsse versuchen, ein positives Gefühl zu vermitteln. Ist ihm das also gelungen?

    Kornelius: Ich glaube, in dem ganzen Teil, in dem er über die Werte und über die Identität sprach, schon. Wenn man sich dort ein wenig hineinversetzt und auch der Mühe unterzieht, diese Rede noch mal nachzulesen und zu verstehen, dann gibt es einem schon einen Halt, eine Gewissheit, dass dieses Europa, so wie es da ist, in seiner Vielfalt uns auch was gibt. Natürlich wollen wir alle Europa noch packender, noch einfacher, noch sozusagen fühlbarer haben für uns, aber dieses Europa tut uns den Gefallen nicht. Europa bleibt immer in seiner Vielfalt nur greifbar, und das muss man sich einfach klar machen, dass darin auch ein Vorteil liegt, dass darin sozusagen der Gewinn liegt Europas.

    Was er nicht geschafft hat – und das muss man ihm wirklich vorwerfen -, die Angst, die da ist, und die Ressentiments, die mit der Krise aufgekommen sind, die sind nicht verschwunden. Ich glaube, da hätte er den Menschen mehr zumuten müssen, auch gerade den deutschen Zuhörern. Der kleine Absatz zur Solidarität bleibt seltsam unvollendet. Man kann auch in einem Wahljahr sagen, Solidarität wird für euch Deutsche bedeuten, dass diese Sache wahnsinnig viel Geld kostet.

    Heckmann: Lange Zeit ist ja der Fehler gemacht worden, dass man gesagt hat, dass die Deutschen eben nicht zahlen müssten für die Krise. Nach und nach wurde das immer wieder so ein bisschen eingeholt. Das heißt, Sie hätten schon erwartet, dass Gauck das klarer macht?

    Kornelius: Das ist natürlich eine Grenzlinie zur Politik, zur operativen Politik. Er hat ja auch keine Handlungsanleitung gegeben, wie man Europa nun weiterentwickeln kann. Er hat keine Vorstellung von seiner Finalität gegeben, also welche Institutionen brauchen wir wo und wie, und wie wird das Parlament neu ausgestattet. All das hat er nicht gesagt. Vielleicht: Er weiß ja auch, das ist im Moment in der aktuellen Debatte, das wird im Juni im Europäischen Rat verhandelt, die Bundesregierung bereitet große Dinge vor. Vielleicht wollte er sich da nicht einmischen, das verstehe ich auch. Aber trotzdem kann man den Menschen sagen, diese Krise gibt es nicht kostenlos, und das hat mir gefehlt.

    Heckmann: Sie hatten die Ressentiments in vielen Ländern Europas angesprochen, jetzt ganz aktuell beispielsweise auch in Italien, Silvio Berlusconi. Er reitet ja sehr stark auf dieser Welle. Gauck hat jetzt betont, mehr Europa heiße in Deutschland eben nicht deutsches Europa, sondern europäisches Deutschland. Denken Sie, dass diese Wendung im Ausland ankommt?

    Kornelius: Ganz ehrlich gesagt ist das, glaube ich, der Kern der Rede. Wenn ich als Außenpolitiker darauf schaue oder sozusagen mit den Blicken der Europäer versuche, diese Rede zu hören und zu sehen, dann ist das die Kernbotschaft: Ihr müsst keine Angst vor Deutschland haben. Die Sorgen vor dem deutschen Hegemon, die Sorge, dass wir im Moment Europa vor uns hertreiben, ist doch in Italien, in Spanien, in Griechenland immens. Das, was im italienischen Wahlkampf hochgekocht ist, ist beängstigend für uns und wir müssen das wirklich ernst nehmen. Deswegen ist die Botschaft des Präsidenten: Wir haben keine Vorstellung von einem deutschen Europa, sondern wir ordnen uns der europäischen Idee unter. Das ist die richtige Botschaft. Ich glaube, die wird am stärksten transportiert werden. Für mich ist das der Kern der Rede.

    Heckmann: Es gab in letzter Zeit häufiger Kritik an der Amtsführung des Bundespräsidenten. Ich habe es gerade eben schon erwähnt. Wie bewerten Sie denn seine Amtsführung insgesamt?

    Kornelius: Er hat natürlich hohe Erwartungen mit auf den Weg bekommen, als er vor knapp einem Jahr das Amt antrat. Er hat sie dann möglicherweise zu sehr schleifen lassen, er hat sie nicht erfüllt oder er hat auch nicht den Versuch unternommen, sie zu erfüllen, indem ihm das Thema fehlte. Jetzt das Thema Europa zu nehmen, um dort die große Marke zu setzen, um dort die Gauck'sche Identität zu stiften, das ist schon ein großes Wagnis, weil wir haben wie gesagt auf diesem Thema der europäischen Deutung sehr, sehr viele gute Vorbilder und Vorgänger. Schäuble hat eine tolle Rede gehalten bei der Karlspreis-Verleihung, die Kanzlerin habe ich erwähnt, Joschka Fischer muss man erwähnen, Jean-Claude Juncker, es gibt viele Humboldt-Redner und wie gesagt Karlspreis-Redner, die Gauck da in nichts nachstehen. Und die intellektuelle Höhe hat er, glaube ich, mit der Rede nicht noch mal in neue Dimensionen getrieben. Also es kommt keine neue Idee vor, die man da vielleicht sich erwünscht hätte. Insofern ja, diese Rede hat ihm doch ein wenig Luft verschafft, denke ich. Man wird nun sagen, er hat seine Pflöcke dort eingerammt. Aber es wird nicht das Leitmotiv seiner Präsidentschaft sein können.

    Heckmann: Zur Europarede des Bundespräsidenten war das Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung. Besten Dank für das Gespräch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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