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"Es war Notwehr"

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundesfraktion, Wolfgang Bosbach, hat das Vorgehen des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen zur Herbeiführung von Landtagsneuwahlen verteidigt. Die sogenannte fingierte Vertrauensfrage sei notwendig gewesen, weil die SPD zur Auflösung des Parlaments nicht bereit war.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Der Landtag in Kiel hat den Weg frei gemacht für Neuwahlen in Schleswig-Holstein und hat dabei den Weg der sogenannten fingierten Vertrauensfrage gewählt. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hatte die Vertrauensfrage in der Erwartung gestellt, zu verlieren, und so ist es auch gekommen. In der namentlichen Abstimmung stimmten Oppositionsparteien und die SPD geschlossen mit Nein. Mit einer Ausnahme enthielten sich alle CDU-Abgeordneten der Stimme. Das Ende der Kieler Koalition ist damit jetzt auch formell besiegelt, und wir wollen über die bundespolitischen Konsequenzen in den kommenden Minuten sprechen, mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundesfraktion. Guten Morgen, Wolfgang Bosbach!

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Bosbach, Peter Harry Carstensen hat sich selbst gestern bei der namentlichen Abstimmung enthalten. Ist ein Ministerpräsident wählbar, der sich selbst nicht das Vertrauen ausspricht?

    Bosbach: Es geht ja darum, dass die SPD den Weg nicht frei gemacht hat für Neuwahlen im Wege der Auflösung des Parlamentes, das war ja der Weg, der zunächst beschritten worden ist von der CDU-Landtagsfraktion beziehungsweise vom Ministerpräsidenten. Das wollte die SPD nicht. Es ging dann nur noch über die Vertrauensfrage, und diese sogenannte fingierte Vertrauensfrage ist ja nicht neu, wir hatten solche Situationen auch schon im Deutschen Bundestag, allerdings hat der Deutsche Bundestag im Gegensatz zum Parlament in Kiel kein Recht zur Selbstauflösung. Das heißt, der Weg, der gestern gegangen werden musste, war Notwehr, weil die SPD nicht bereit war, den Weg zu Neuwahlen durch Auflösung des Parlamentes frei zu machen.

    Schulz: Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Herr Bosbach.

    Bosbach: Doch, ich habe die Frage beantwortet, indem ich vor "Vertrauensfrage" "fingiert" gestellt habe. Es war Notwehr. Anders ging es nicht, nur so konnten Neuwahlen herbeigeführt werden. Dass der Ministerpräsident zu sich und seiner Politik nach wie vor Vertrauen hat, daran gibt es keinen Zweifel. Er musste sich enthalten, weil ansonsten die SPD den Weg zu Neuwahlen versperrt hätte. Und ähnliche Situationen hatten wir auf Bundesebene auch schon.

    Schulz: Das Signal jetzt aus dem Landtag war natürlich direkt ein anderes, und Sie haben die Einschätzung eben gehört des früheren Bundesverfassungsrichters Mahrenholz, der sagt, die fingierte Vertrauensfrage sei ein "Schmierentheater", das zwar erlaubt sei, aber wirbt die Demokratie so für sich?

    Bosbach: Es geht um Neuwahlen. Neuwahlen sind für mich nicht Schmierentheater. Wir hatten in Kiel die Situation vergleichbar mit einem gordischen Knoten. Früher kam Alexander der Große vorbei, hob das Schwert und schlug den Knoten durch. Heute machen das etwas vornehmer die Wählerinnen und Wähler, das ist der Weg in einer Demokratie, wenn man eine total verfahrene Situation hat, zu neuen stabilen Verhältnissen zu kommen. Und wir haben ja auch bereits über solche fingierte Vertrauensfragen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, und das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, wenn tatsächlich eine total verfahrene, verkantete Situation vorliegt, wenn eine Regierung zwar noch eine zahlenmäßige Mehrheit hat im Parlament, aber nicht mehr gut und zum Wohle des Landes zusammenarbeiten kann, dann ist der Weg über eine solche fingierte Vertrauensfrage möglich, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen.

    Schulz: Welche Stilnote, orientiert vielleicht an Schulnoten, geben Sie denn den Christdemokraten in Kiel für die vergangenen Tage?

    Bosbach: Also ich gebe ihnen deshalb eine gute Note, weil sie sagen, besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Die Koalition stand doch schon mehr als einmal vor dem Aus. Wenn vor knapp zwei Jahren Herr Stegner nicht vom Amt des Innenministers zurückgetreten wäre und hätte damals nicht Platz gemacht für Herrn Hay, dann wäre doch die Koalition damals schon am Ende gewesen.

    Schulz: Jetzt soll am 27. September ja neu gewählt werden, das ist der Tag der Bundestagswahl. Fürchten Sie nicht, dass diese Scharmützel aus Kiel die CDU auch bundesweit Stimmen kosten?

    Bosbach: Nein. Nein, das glaube ich nicht, ich sag's gerne noch einmal: Wenn man den Weg frei macht und die Verantwortung wieder an die Wählerinnen und Wähler zurückgibt in der Hoffnung, zu einer anderen stabilen, guten Koalition zu kommen, warum sollte man dafür diejenigen, die die politische Verantwortung tragen in der Wahlkabine, abstrafen. Das ist ein Ereignis in Kiel, und sicherlich wird der Wahlkampf in Schleswig-Holstein noch etwas härter sein als der Wahlkampf in den anderen Bundesländern. Das liegt aber auch daran, dass wir schon seit gut 20 Jahren sehr, sehr verhärtete, eine sehr verhärtete Auseinandersetzung in Schleswig-Holstein haben. Das hängt auch noch zusammen mit der Barschel-Affäre, ihren Auswirkungen über das Verhalten von Herrn Engholm, das geht weiter bis heute. Das heißt, die Auseinandersetzungen zwischen SPD und CDU in Schleswig-Holstein sind noch härter als in anderen Bundesländern.

    Schulz: Wenn wir in der Vergangenheit nicht zu lange verweilen, sondern in die Gegenwart kommen, hat die Kommunikation CDU-intern denn gestimmt? Nach unseren Informationen soll Angela Merkel erst nach der Entscheidung überhaupt darüber informiert worden sein.

    Bosbach: Das ist möglich, ich war nicht dabei. Ich weiß nicht, was zwischen Peter Harry Carstensen und Angela Merkel gesprochen und besprochen worden ist. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bundespartei mit der Vorgehensweise des Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein einverstanden ist und ihn auch im Wahlkampf unterstützen wird.

    Schulz: Welchen Fehler hat Peter Harry Carstensen gemacht?

    Bosbach: Ist mir nicht bekannt, dass er einen Fehler gemacht hat. Vielleicht wäre es klüger gewesen, die sehr verzwickte Lage in Kiel noch früher aufzulösen und den Weg zu Neuwahlen freizugeben. Er hat sich immer wieder redlich darum bemüht, dass die Koalition dort zu einer vernünftigen Arbeit zurückkehrt. Es war im Grunde auch nicht die SPD insgesamt oder die Kabinettskollegen der SPD am Ende der Koalition, sondern es war im Wesentlichen das Verhalten von Herrn Stegner, was eine vernünftige Weiterarbeit unmöglich gemacht hat.

    Schulz: Da haben wir jetzt schon viel drüber gesprochen in den letzten Tagen. Habe ich Sie jetzt richtig verstanden? Schuld sind immer die anderen.

    Bosbach: Nein, schuld sind nicht immer die anderen, eine vernünftige Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Und wenn man nicht mehr vernünftig zusammenarbeiten kann, dann müssen die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Das ist in einer Demokratie nichts Außergewöhnliches. Entscheidend ist doch nicht das Verhalten von A oder B oder das Verhalten der oder der anderen Partei, sondern entscheidend ist, dass man gute Politik zum Wohle des Landes macht. Das ist das alles Entscheidende. Und wenn das nicht mehr möglich ist, dann muss neu gewählt werden.