Silvia Engels: Am 31. Mai 2010, also heute vor genau einem Jahr, sorgte der damalige Bundespräsident Horst Köhler für einen Paukenschlag und viele Reaktionen.
O-Ton Horst Köhler: Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten mit sofortiger Wirkung.
O-Ton Norbert Lammert: Niemand muss öffentliche Ämter übernehmen. Wer kandidiert wird und gewählt wird, übernimmt allerdings eine Verantwortung, die er mit aller Kraft nach besten Wissen und Gewissen wahrzunehmen hat. Niemand von uns steht unter Denkmalschutz, nicht einmal das Staatsoberhaupt. Kritik muss sein.
O-Ton Horst Köhler: Ich bedauere, dass meine Äußerung in einer, für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnte. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.
Engels: Horst Köhler und zuvor Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, in seiner Reaktion im Bundestag einen Monat später. – Als Grund für seinen Rückzug hatte Köhler damals die Kritik an seinen Äußerungen in einem Interview gegenüber dem Deutschlandradio genannt. Es ging dort um einen möglichen Zusammenhang der Verteidigung von Wirtschaftsinteressen und dem Afghanistan-Einsatz. Doch war es das allein? – Köhler hatte das Deutschlandradio-Interview auf der Rückreise von einer Asien-Visite gegeben und vor dieser Reise, die dann die letzte seiner Amtszeit werden sollte, hatte Köhler im Schloss Bellevue noch einen weiteren Interview-Termin, und zwar mit der Wochenzeitung Rheinischer Merkur. Geführt hat es der damalige Chefredakteur Michael Rutz, er ist uns nun aus Berlin zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Rutz.
Michael Rutz: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Welchen Eindruck hatten Sie damals vor ziemlich genau einem Jahr von Herrn Köhler rund um dieses Interview?
Rutz: Der Eindruck, den ich hatte, war einer, den man von ihm auch vorher immer schon haben konnte. Er ist ein sehr sensibler Mensch, er war außerordentlich empathisch in allen Teilen seiner Amtszeit, die Menschen haben das gespürt. Er war deswegen auch in der Bevölkerung hier ganz besonders beliebt, mehr als andere seiner Vorgänger. Und auch in diesem Interview war es so, dass er – es ging um den ökumenischen Kirchentag – bei den Themen, die er angesprochen hat, außerordentlich sensibel war. Und es gibt dann am Ende des Interviews einen Satz von ihm, wo er sagt, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er braucht menschliche Zuwendung und Empathie, und gerade da liegt manches im Argen. Ich glaube, dass er da sich auch ein bisschen selbst gemeint hat und dass das eine Selbstbeschreibung war der Situation, in der er sich befand.
Engels: Gehen wir noch einmal zurück auf die Situation, in der er sich damals befand. Sie haben damals nach dem eigentlichen Interview noch weiter mit Horst Köhler gesprochen. Um was ging es da?
Rutz: Da ging es um die Frage der Medienkritik an ihm. Die Medienkritik an ihm, die hat ja frühzeitig eingesetzt und sie hat sich nicht nur im Laufe der Zeit verstärkt, sondern sie hat auch die bürgerlichen Medien, wie man so sagt, ergriffen in den Monaten vor diesem Mai 2010. Da gibt es zum Beispiel einen Kommentar im Feuilleton der FAZ, der überschrieben ist mit Kamerad Köhler, abtreten, oder wegtreten, Kamerad Köhler. Und solche kritischen Äußerungen gab es auch zu anderen Sätzen und Reden, die er gesagt und die er gehalten hat. Und er hat sich gefragt und wir haben darüber nach diesem Interview gesprochen, ich kenne Herrn Köhler seit den 90er-Jahren, ob diese Kritik an ihm so fundamental ist, dass man sie nicht mehr drehen kann, dass sie praktisch existenziell wird, oder ob man sie wenden kann, ob er seiner Bundespräsidentschaft noch eine Agenda geben kann, die diese Kritik dann wieder aufwiegt, eine Meinung, der ich persönlich angehangen habe. Den Rücktritt, den habe ich nicht gern gesehen.
Engels: Das heißt aber, schon damals hatte er Ihrer Einschätzung nach ernsthafte Zweifel, überhaupt weiterzumachen?
Rutz: Den Eindruck hatte ich sehr. Ich hatte den Eindruck, dass er wirklich existenziell über sein Amt und seine Person in diesem Amt nachgedacht hat, und es waren drei Wirkungseinflüsse auf ihn in dieser Zeit ja sehr stark. Er hatte im Verlauf seiner Amtszeit immer wieder die Politik kritisiert, die Politiker kritisiert. Das begann 2004 in seiner Kandidatur, 2005 hat sich das wiederholt, auch 2010 hat er eine sehr kritische Distanz aufgebaut zur schwarz-gelben Koalition und hat sie in Verschiedenem kritisiert, auch im Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dass da eine Entfremdung zu denen da war, die ihn im Grunde auch getragen haben und die ihm vorgeworfen haben (ja auch öffentlich), er würde ein falsches Amtsverständnis haben.
Der zweite Einflussfaktor waren sicherlich die Machtkämpfe in seinem eigenen Haus. Er hat den Tod von Staatssekretär Haller, mit dem er sehr befreundet war und der das Haus sehr in Ordnung gehalten hat, den hat er persönlich kaum verwunden, und es haben sich dann der Reihe nach auch unter dem Nachfolger Staatssekretär, dann der Protokollchef verabschiedet, der Planungschef ist gegangen, drei Abteilungsleiter aus der Innenabteilung sind gegangen und der Pressechef auch. Also es war sehr einsam um ihn in diesem Haus. Und dann kam diese öffentliche Wirkung noch dazu durch die Medienkritik an ihm, und er stand in der Mitte und dann fällt eben so ein Satz, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er braucht menschliche Zuwendung, Empathie, und ich glaube, die hat er um sich herum nicht mehr so gespürt.
Engels: Wirkte er denn etwas resigniert, oder haben Sie ihn auch kämpferisch erlebt?
Rutz: Er wirkte sehr nachdenklich. Noch schien er mir nicht resigniert, sonst hätte er nicht gefragt, wie man das noch mal drehen könnte. Also ich glaube, der endgültige Beschluss zurückzutreten, der ist auf dieser Reise gefallen, auf der er dann durch Asien gefahren ist. Ich habe aber schon den Eindruck, dass er sehr verletzt war.
Engels: Sie wurden wie alle Beobachter ja dann doch überrascht vom Rücktritt Köhlers wenige Tage später. Bewerten Sie Ihr Gespräch mit ihm im Nachhinein anders?
Rutz: Ich glaube, dass diese Verletztheit, die er schon hatte, sehr beigetragen hat zur Qualität dieses Gesprächs. Es war ein Gespräch zum ökumenischen Kirchentag und es waren Fragen, die wirklich sehr ins Innere auch eines Menschen gingen, auch in seine Glaubenshaltung hinein, in das, was er für sich persönlich aus dem Glauben zieht, die Liebe, die ihm besonders wichtig war, die Zwischenmenschlichkeit, die nicht abhandenkommen darf, die Verletzungen, die man anderen nicht zufügen darf, also es entstand da auch das Bild eines sehr, sehr verletzlichen Menschen, sehr sensiblen Menschen, der aber zugleich dann in diesen anderen Fragen wie beim ökumenischen Kirchentag anstanden, als Protestant, der er war, sehr auf Verständigung gesetzt hat und die Dogmen kritisiert hat, die heute die Christen untereinander noch trennen. Er hat in diesem Gespräch damals das gemeinsame Abendmahl gefordert. Ich habe dann am Schluss gefragt, sagen Sie, werden das auch die großen Themen der restlichen Jahre Ihrer Amtszeit sein. Da hat er gesagt, ja, das will ich diskutieren, ich glaube, ein Umdenken ist nötig, vor allem was die Menschen wirklich frei macht, das will ich diskutieren, frei in Verantwortung vor Gott und dem Nächsten.
Engels: Michael Rutz, ehemaliger Chefredakteur des Rheinischen Merkur, über den Rücktritt von Horst Köhler vor einem Jahr. Vielen Dank für das Gespräch.
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O-Ton Horst Köhler: Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten mit sofortiger Wirkung.
O-Ton Norbert Lammert: Niemand muss öffentliche Ämter übernehmen. Wer kandidiert wird und gewählt wird, übernimmt allerdings eine Verantwortung, die er mit aller Kraft nach besten Wissen und Gewissen wahrzunehmen hat. Niemand von uns steht unter Denkmalschutz, nicht einmal das Staatsoberhaupt. Kritik muss sein.
O-Ton Horst Köhler: Ich bedauere, dass meine Äußerung in einer, für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnte. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.
Engels: Horst Köhler und zuvor Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, in seiner Reaktion im Bundestag einen Monat später. – Als Grund für seinen Rückzug hatte Köhler damals die Kritik an seinen Äußerungen in einem Interview gegenüber dem Deutschlandradio genannt. Es ging dort um einen möglichen Zusammenhang der Verteidigung von Wirtschaftsinteressen und dem Afghanistan-Einsatz. Doch war es das allein? – Köhler hatte das Deutschlandradio-Interview auf der Rückreise von einer Asien-Visite gegeben und vor dieser Reise, die dann die letzte seiner Amtszeit werden sollte, hatte Köhler im Schloss Bellevue noch einen weiteren Interview-Termin, und zwar mit der Wochenzeitung Rheinischer Merkur. Geführt hat es der damalige Chefredakteur Michael Rutz, er ist uns nun aus Berlin zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Rutz.
Michael Rutz: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Welchen Eindruck hatten Sie damals vor ziemlich genau einem Jahr von Herrn Köhler rund um dieses Interview?
Rutz: Der Eindruck, den ich hatte, war einer, den man von ihm auch vorher immer schon haben konnte. Er ist ein sehr sensibler Mensch, er war außerordentlich empathisch in allen Teilen seiner Amtszeit, die Menschen haben das gespürt. Er war deswegen auch in der Bevölkerung hier ganz besonders beliebt, mehr als andere seiner Vorgänger. Und auch in diesem Interview war es so, dass er – es ging um den ökumenischen Kirchentag – bei den Themen, die er angesprochen hat, außerordentlich sensibel war. Und es gibt dann am Ende des Interviews einen Satz von ihm, wo er sagt, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er braucht menschliche Zuwendung und Empathie, und gerade da liegt manches im Argen. Ich glaube, dass er da sich auch ein bisschen selbst gemeint hat und dass das eine Selbstbeschreibung war der Situation, in der er sich befand.
Engels: Gehen wir noch einmal zurück auf die Situation, in der er sich damals befand. Sie haben damals nach dem eigentlichen Interview noch weiter mit Horst Köhler gesprochen. Um was ging es da?
Rutz: Da ging es um die Frage der Medienkritik an ihm. Die Medienkritik an ihm, die hat ja frühzeitig eingesetzt und sie hat sich nicht nur im Laufe der Zeit verstärkt, sondern sie hat auch die bürgerlichen Medien, wie man so sagt, ergriffen in den Monaten vor diesem Mai 2010. Da gibt es zum Beispiel einen Kommentar im Feuilleton der FAZ, der überschrieben ist mit Kamerad Köhler, abtreten, oder wegtreten, Kamerad Köhler. Und solche kritischen Äußerungen gab es auch zu anderen Sätzen und Reden, die er gesagt und die er gehalten hat. Und er hat sich gefragt und wir haben darüber nach diesem Interview gesprochen, ich kenne Herrn Köhler seit den 90er-Jahren, ob diese Kritik an ihm so fundamental ist, dass man sie nicht mehr drehen kann, dass sie praktisch existenziell wird, oder ob man sie wenden kann, ob er seiner Bundespräsidentschaft noch eine Agenda geben kann, die diese Kritik dann wieder aufwiegt, eine Meinung, der ich persönlich angehangen habe. Den Rücktritt, den habe ich nicht gern gesehen.
Engels: Das heißt aber, schon damals hatte er Ihrer Einschätzung nach ernsthafte Zweifel, überhaupt weiterzumachen?
Rutz: Den Eindruck hatte ich sehr. Ich hatte den Eindruck, dass er wirklich existenziell über sein Amt und seine Person in diesem Amt nachgedacht hat, und es waren drei Wirkungseinflüsse auf ihn in dieser Zeit ja sehr stark. Er hatte im Verlauf seiner Amtszeit immer wieder die Politik kritisiert, die Politiker kritisiert. Das begann 2004 in seiner Kandidatur, 2005 hat sich das wiederholt, auch 2010 hat er eine sehr kritische Distanz aufgebaut zur schwarz-gelben Koalition und hat sie in Verschiedenem kritisiert, auch im Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dass da eine Entfremdung zu denen da war, die ihn im Grunde auch getragen haben und die ihm vorgeworfen haben (ja auch öffentlich), er würde ein falsches Amtsverständnis haben.
Der zweite Einflussfaktor waren sicherlich die Machtkämpfe in seinem eigenen Haus. Er hat den Tod von Staatssekretär Haller, mit dem er sehr befreundet war und der das Haus sehr in Ordnung gehalten hat, den hat er persönlich kaum verwunden, und es haben sich dann der Reihe nach auch unter dem Nachfolger Staatssekretär, dann der Protokollchef verabschiedet, der Planungschef ist gegangen, drei Abteilungsleiter aus der Innenabteilung sind gegangen und der Pressechef auch. Also es war sehr einsam um ihn in diesem Haus. Und dann kam diese öffentliche Wirkung noch dazu durch die Medienkritik an ihm, und er stand in der Mitte und dann fällt eben so ein Satz, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er braucht menschliche Zuwendung, Empathie, und ich glaube, die hat er um sich herum nicht mehr so gespürt.
Engels: Wirkte er denn etwas resigniert, oder haben Sie ihn auch kämpferisch erlebt?
Rutz: Er wirkte sehr nachdenklich. Noch schien er mir nicht resigniert, sonst hätte er nicht gefragt, wie man das noch mal drehen könnte. Also ich glaube, der endgültige Beschluss zurückzutreten, der ist auf dieser Reise gefallen, auf der er dann durch Asien gefahren ist. Ich habe aber schon den Eindruck, dass er sehr verletzt war.
Engels: Sie wurden wie alle Beobachter ja dann doch überrascht vom Rücktritt Köhlers wenige Tage später. Bewerten Sie Ihr Gespräch mit ihm im Nachhinein anders?
Rutz: Ich glaube, dass diese Verletztheit, die er schon hatte, sehr beigetragen hat zur Qualität dieses Gesprächs. Es war ein Gespräch zum ökumenischen Kirchentag und es waren Fragen, die wirklich sehr ins Innere auch eines Menschen gingen, auch in seine Glaubenshaltung hinein, in das, was er für sich persönlich aus dem Glauben zieht, die Liebe, die ihm besonders wichtig war, die Zwischenmenschlichkeit, die nicht abhandenkommen darf, die Verletzungen, die man anderen nicht zufügen darf, also es entstand da auch das Bild eines sehr, sehr verletzlichen Menschen, sehr sensiblen Menschen, der aber zugleich dann in diesen anderen Fragen wie beim ökumenischen Kirchentag anstanden, als Protestant, der er war, sehr auf Verständigung gesetzt hat und die Dogmen kritisiert hat, die heute die Christen untereinander noch trennen. Er hat in diesem Gespräch damals das gemeinsame Abendmahl gefordert. Ich habe dann am Schluss gefragt, sagen Sie, werden das auch die großen Themen der restlichen Jahre Ihrer Amtszeit sein. Da hat er gesagt, ja, das will ich diskutieren, ich glaube, ein Umdenken ist nötig, vor allem was die Menschen wirklich frei macht, das will ich diskutieren, frei in Verantwortung vor Gott und dem Nächsten.
Engels: Michael Rutz, ehemaliger Chefredakteur des Rheinischen Merkur, über den Rücktritt von Horst Köhler vor einem Jahr. Vielen Dank für das Gespräch.
"Es war mir eine Ehre, Deutschland als Bundespräsident zu dienen" -Horst Köhler tritt zurück
Horst Köhler fordert bei Abschied "Respekt und Wahrhaftigkeit"