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"Es wird gespart ohne Sinn und Verstand"

Zehn Milliarden Euro soll Deutschland künftig jährlich einsparen. Das wurde bereits vor Beginn der Klausurtagung verkündet. Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, befürchtet dadurch die Gefahr des Wirtschaftsstillstands.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Stefan Heinlein | 07.06.2010
    Stefan Heinlein: Soweit der Bericht von Michael Goetschenberg, und am Telefon begrüße ich jetzt den parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann! Guten Morgen, Herr Oppermann!

    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: Herr Oppermann, haben Sie die Ärmel schon hochgekrempelt, um die Ergebnisse der Sparklausur in der Luft zu zerreißen?

    Oppermann: Wenn ich Herrn Westerwelle in Ihrem Beitrag höre, der eben gesagt hat, Freibier für alle, das mache nicht beliebter, sei aber notwendig, jetzt zu sparen, sonst fahre das Land gegen die Wand, dann stelle ich fest, genau das hat Herr Westerwelle jahrelang versprochen. Noch vor fünf Wochen sollten die Steuern in Deutschland um 16 Milliarden Euro gesenkt werden, mehr Netto vom Brutto hieß das Versprechen. Jetzt heißt es plötzlich, kein Freibier mehr, die größte Nettolüge in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Und wenn diese Leute sich jetzt an ein Sparpaket machen, dann befürchte ich nichts Gutes, auch nichts ökonomisch Vernünftiges. Sparen ist notwendig, die Ausgaben müssen unter Kontrolle bleiben. Wenn jetzt aber alle – Bund, Länder und Gemeinden –, die überschuldet sind, gleichzeitig auf die Bremse treten, dann besteht die große Gefahr, dass die Wirtschaft zum Halten kommt.

    Heinlein: Wie bewerten Sie denn bisher, was an Vorschlägen aus den Reihen der Koalition nach außen dringt? Ist da aus Ihrer Sicht irgendetwas Brauchbares dabei?

    Oppermann: Das ist alles ganz überwiegend Stückwerk. Es wird gespart ohne Sinn und Verstand. Genauso wie vorher bei den völlig haltlosen Steuersenkungsversprechungen gibt es auch hier kein Konzept. Dabei wäre die Krise ja auch eigentlich eine Chance, Deutschland nicht nur solider zu finanzieren, sondern auch ein bisschen gerechter zu gestalten. Die allermeisten in diesem Lande haben doch nicht über ihren Verhältnissen gelebt, sondern es war doch vielmehr so, dass diese Regierung, dass die Demokratie mit dieser Regierung unter ihren Möglichkeiten geblieben ist. Wir sind der Meinung, dass man jetzt so etwas wie einen neuen Lastenausgleich organisieren muss. Es darf nicht sein, dass die Normalverdiener, dass Rentner, dass Arbeitslose am Ende die Kosten einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise bezahlen müssen, die von den Spekulanten und den ungezügelten Finanzmärkten verursacht worden ist.

    Heinlein: Brauchen denn Hartz-IV-Empfänger Elterngeld?

    Oppermann: Man kann über jede einzelne Maßnahme natürlich streiten. Aber ich frage Sie: Brauchen wir im Augenblick Steuergeschenke für Unternehmenserben und Hotelketten? Der erste Sparvorschlag der SPD ist, die 5,6 Milliarden Euro aus dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz von Anfang des Jahres zurückzunehmen, dann hätten wir sofort, hätten Bund, Länder und Kommunen sofort 5,6 Milliarden Euro mehr in der Kasse. Da wurde eine neue Subvention geschaffen, und zwar in Kenntnis einer desaströsen Haushaltslage.

    Heinlein: Werden Sie, Herr Oppermann, wird die SPD gemeinsam mit den Gewerkschaften künftig dann gemeinsame Sache machen und mobil machen gegen die aus Ihrer Sicht sozial ungerechten Sparvorschläge der Bundesregierung?

    Oppermann: Das werden wir, denn es geht nicht nur darum, jetzt die richtigen Einsparungen und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, auch die richtige solidarische Lastenverteilung zu organisieren, es geht auch ein bisschen um die Demokratie. Die Leute dürfen doch jetzt nicht das Gefühl bekommen, der Bundestag und die Bundesregierung, die retten die Banken, die retten Griechenland, die retten den Euro mit Milliardenpaketen, aber wenn es um das normale Leben der Menschen geht, dann schützt sie niemand. Das kann dazu führen, dass das Vertrauen in die Demokratie abbröckelt. Das müssen wir verhindern durch eine vernünftige, wirtschaftlich vernünftige und sozial ausgewogene Politik. Dazu ist diese Regierung in jeder Hinsicht schlecht vorbereitet. Mal sollen die Steuern runtergehen, jetzt gehen Steuern und Abgaben eher hoch, die Richtung ändert sich ständig bei dieser Regierung. Nur eines bleibt ja, eines ist Kontinuität: Sie streiten sich wie die Kesselflicker.

    Heinlein: Fürchten Sie – vor dem Hintergrund, was Sie gerade geschildert haben – um den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft?

    Oppermann: Ich glaube, dass der soziale Frieden in der Tat jetzt gefährdet ist, wenn ohne Sinn und Verstand gespart wird. Der Gesundheitsminister hält ja nach wie vor an der unsozialen Kopfpauschale fest. Es ist, glaube ich, der dritte oder vierte Anlauf, immer wieder schlägt er etwas Neues vor, was dann von Herrn Seehofer kassiert wird. Die Steuersenkungen sind ja vorher von Frau Merkel kassiert worden. Das ist auch alles sehr schlecht vorbereitet. Oder nehmen Sie den Verteidigungsminister. Wir beraten diese Woche im Bundestag die Frage, sechs Monate Wehrpflicht, gleichzeitig aber macht er den Vorschlag, die Wehrpflicht auszusetzen und 40- bis 50.000 Wehrpflicht- und Zeitsoldatenstellen bei der Bundeswehr einzusparen. Das alles passt nicht zusammen. Diese Regierung ist in keiner Weise auf die Realität vorbereitet gewesen, als sie ihren Koalitionsvertrag verhandelt hat, und das rächt sich jetzt ganz bitter.

    Heinlein: Sie schimpfen auf die Regierung, ist es aber nicht auch die Aufgabe der SPD als größter Oppositionspartei dem Bürger jetzt zu erklären in dieser Krise, wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, wir müssen sparen, wir müssen alle gemeinsam den Gürtel enger schnallen. Hat denn die SPD die Kraft für unpopuläre Sparvorschläge, die auch Ihrer Klientel wehtun?

    Oppermann: Zunächst, die Bürgerinnen und Bürger haben fast ausnahmslos nicht über ihren Verhältnissen gelebt, sondern die müssen kämpfen, um zurechtzukommen, um einen Kindergartenplatz zu bekommen, um ihren Job zu halten, ihre Familie über Wasser zu halten. Wenn die jetzt hören, sie hätten über ihre Verhältnisse gelebt, angesichts der Spekulationen auf den Finanzmärkten, dann reiben sie sich verwundert die Augen. Aber in der Tat, wir müssen die Kraft finden, jetzt eine neue Politik zu machen. Und es gibt viele Möglichkeiten, den Haushalt zu konsolidieren. Konsolidieren heißt ja nicht nur einsparen und kürzen, konsolidieren heißt auch, die Einnahmemöglichkeiten ausschöpfen. Und ich hatte schon gesagt, 5,6 Milliarden Euro Möwenpick-Steuer, die muss wieder zurückgenommen werden. Wir kämpfen für eine Transaktionssteuer auf den Handel mit Finanzprodukten, das kann zwölf Milliarden Euro bringen. Wir wollen die hohen Einkommen und die hohen Vermögen jetzt bitten, stärker sich zu beteiligen. Es kann nicht sein ...

    Heinlein: Sie wollen bitten?

    Oppermann: Es kann nicht sein, dass nur die kleinen Einkommen jetzt belastet werden. Und wenn ich Ihnen sage, ein flächendeckender Mindestlohn, selbst ein Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro, der würde Steuern, Abgaben und auch ersparte Aufwendungen für Aufstocker, fünf bis sechs Milliarden Euro in die Kasse bringen.

    Heinlein: Ich habe, Herr Oppermann, gerade mal mitgeschrieben. Möwenpick-Steuer, Transaktionssteuer, Reichensteuer, das sind doch nur die alten Kampflieder der Sozialdemokratie. Haben Sie auch Vorschläge, die Ihrer eigenen Klientel wehtun?

    Oppermann: Das sind keine alten Kampflieder, sondern das sind ökonomisch vernünftige Maßnahmen. Wenn jetzt ausgerechnet bei denen gespart wird, die ihr gesamtes Einkommen ausgeben und verwenden müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, dann würgen wir die Wirtschaft ab. Wenn wir diejenigen stärker belasten, die hohe Sparquoten haben, dann schränken wir doch diese Menschen in ihren Lebensmöglichkeiten in keiner Weise ein, wir schränken sie nicht mal in ihren Investitionsmöglichkeiten ein. Wenn ich persönlich 100 oder 150 Euro mehr Steuern im Monat zahle und meine Einkommensgruppe, dann haben wir einen erheblichen Konsolidierungsbetrag, das würde ich persönlich nicht mal merken.

    Heinlein: Frage zum Schluss, Herr Oppermann: Viel Zustimmung an diesem Wochenende für Ihren Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck, auch aus dem Lager von Union und FDP. Glauben Sie an einen Erfolg in der Bundesversammlung?

    Oppermann: In der Tat, der Vorschlag Joachim Gauck ist außerordentlich positiv angekommen. Joachim Gauck fliegen die Herzen zu, heißt es überall, aber wir wollen nicht einen Präsidentenkandidaten der Herzen. Das ist ein ernst zu nehmender Vorschlag. Wir wollen ein parteiübergreifendes Konzept, eine Persönlichkeit an der Spitze dieses Staates, die in der Lage ist, die Menschen zusammenzuführen, nicht nur einen Berufspolitiker, sondern jemanden, der wirklich etwas in seinem Leben erlebt hat, der Freiheit sich hat erkämpfen müssen – das wäre gut für Deutschland. Ich weiß nicht, ob wir eine Mehrheit bekommen. Die Koalition hat eine klare Mehrheit. Ob sie in der geheimen Abstimmung im ersten Wahlgang alle Stimmen für Christian Wulff bekommt, das darf bezweifelt werden. Ich glaube, dass Joachim Gauck ein hervorragendes Ergebnis bekommt, und noch wichtiger: Seine bloße Kandidatur hat den Deutschen gezeigt, dass diese Demokratie große Möglichkeiten hat, sie muss sie nur nutzen.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Oppermann: Ich danke auch!