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Es wird nicht "zu einem Aufstand von Soldaten kommen"

Die Personalgewinnung durch Wehrpflicht sollte bleiben, meint Manfred Eisele. Schon jetzt könne die Truppe nur unter Anstrengung aller Kräfte ihre Aufgaben erfüllen. Mit anderen Worten: Wer Soldat wird, muss künftig öfter in den Auslandseinsatz.

24.08.2010
    Friedbert Meurer: Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Wehrpflicht aussetzen. Theoretisch könnte sie durch eine einfache Mehrheit im Parlament dann wieder eingeführt werden. Faktisch würde sie damit aber wohl abgeschafft. Eine Mehrheit der Deutschen befürwortet diesen Plan, denn so richtig leuchtet es nicht ein, dass wir 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch eine Wehrpflicht brauchen sollen. Aber in der Union gibt es Widerstand gegen zu Guttenbergs Pläne und in der Bundeswehr sowieso. Tobias Armbrüster hat den früheren UNO-General Manfred Eisele gefragt, einst Mitglied in der sogenannten Weizsäcker-Kommission, ob der Verteidigungsminister mit seinen Plänen richtig liege.

    Manfred Eisele: Nun, ihm bleibt ja nach der Entscheidung des Bundestages vom 17. Juni dieses Jahres, die Wehrpflicht auf sechs Monate zu reduzieren, kaum eine sinnvolle Alternative.

    Tobias Armbrüster: Warum nicht?

    Eisele: Weil eine Wehrpflicht, die auf sechs Monate beschränkt ist, als Ergebnis keine einsatzfähigen Soldaten mehr ausbilden kann, und dementsprechend wurde eigentlich mit dieser Entscheidung der Reduzierung der Wehrpflichtdauer auf sechs Monate schon die Axt an die Wurzeln des Prinzips der Wehrpflicht gelegt.

    Armbrüster: Nun haben Sie sich, Herr Eisele, Ende der 90er-Jahre als Mitglied der Weizsäcker-Kommission dagegen ausgesprochen, die Wehrpflicht abzuschaffen. Hat sich daran etwas geändert?

    Eisele: Nein. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass gerade auch wegen der vielen Beispiele in unserer politischen Nachbarschaft, also bei unseren NATO-Verbündeten, die die Wehrpflicht abgeschafft haben, die Bundesrepublik an dieser bewährten Form des Personalgewinns festhalten sollte.

    Armbrüster: Nun heißt es immer wieder, die Bundeswehr, so wie wir sie jetzt haben, sei zu groß und zu schwerfällig für die vielen neuen Aufgaben, die vor ihr liegen. Liegt man mit dieser Beschreibung nicht richtig?

    Eisele: Das ist natürlich sicher eine politische Entscheidung. Als die Weizsäcker-Kommission damals ihre Empfehlung erarbeitet hat, galt es ja auch, die Bundeswehr von der damals sehr viel größeren Stärke auf etwa das Maß, das wir seither kennen, zu reduzieren, und wir haben uns dabei doch durchaus orientiert an den Streitkräftestärken in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, also nicht den Streitkräften Luxemburgs oder Maltas, aber doch Frankreichs und Großbritanniens. Und wenn wir sehen, dass Frankreich derzeit knapp 350.000 Soldaten unter Waffen hat, Großbritannien 185.000, Italien 300.000, aber sogar Polen 140.- und Spanien knapp 120.000, wird deutlich, dass ein Land mit etwa 80 Millionen Einwohnern ja auch eine Verpflichtung innerhalb der Bündnisstrukturen hat, gleichgewichtig zu den gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen beizutragen, und da ist die Frage, ob eben 80 Millionen auch mit 160.-, 170.000 auskommen.

    Armbrüster: Verstehe ich Sie da jetzt richtig? Sie würden sagen, die Bundeswehr, so wie wir sie zurzeit haben, ist mit ihren 250.000 Mann definitiv nicht zu groß?

    Eisele: Nein. Wenn man das ins Verhältnis zu der Größe der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland setzt, wie die eben von mir genannten Vergleichszahlen der Polen, Spanier, auch der Franzosen zeigen, dann befinden wir uns durchaus in einem bescheidenen Rahmen.

    Armbrüster: Aber es ist ja nun mal so: Die Bundeswehr wurde geschaffen zu einer völlig anderen Zeit mit einer völlig anderen Aufgabenstellung als die, die wir heute haben. Müssen wir uns nicht darauf einstellen, einfach eine schlagkräftigere kleinere Truppe zu haben, die auch sehr viel mobiler ist, ganz egal ob wir nun in einem Land mit 40, 60 oder 80 Millionen Menschen leben?

    Eisele: Das ist sicher richtig. Auf der anderen Seite wird ja erkennbar, dass die Bundeswehr mit ihren derzeitigen Aufgaben der Auslandseinsätze bereits an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit kommt, weil eine kleinere Armee ihre Soldaten bei etwa gleich großen Expeditionskontingenten ja sehr viel häufiger in solche Einsätze schicken muss. In der Weizsäcker-Kommission waren wir davon ausgegangen, dass ein Soldat nach einem halben Jahr Auslandseinsatz zwei komplette Jahre quasi in der Heimat verbleiben könnte. Das ist bei kleiner werdenden Streitkräften und ähnlich großen Einsatzkontingenten natürlich umso schwieriger.

    Armbrüster: Was muss sich denn bei der Bundeswehr ändern, damit sie diese Aufgaben gerade im Ausland besser bewältigen kann?

    Eisele: Ich meine, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben ja derzeit gut bewältigt. Dennoch ist erkennbar, dass die Bundeswehr unter Anspannung aller Kräfte diese besonders guten Leistungen nur erbringen kann. Man darf sicher nicht außer Acht lassen, dass die Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges, seit der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes permanent unterfinanziert worden ist und dementsprechend sozusagen in der haushaltsmäßigen Ausstattung quasi auf dem Zahnfleisch daherkommt.

    Armbrüster: Wenn wir jetzt mal annehmen, dass sich Verteidigungsminister zu Guttenberg mit seinen Plänen innerhalb der Koalition tatsächlich durchsetzen kann, wie schätzen Sie würde das alles innerhalb der Bundeswehr ankommen?

    Eisele: Nun, die Bundeswehr ist ein Kind unserer Demokratie und die militärische Führung der Bundeswehr wird deswegen alles, was in ihren Kräften steht, tun, um die politischen Entscheidungen so effizient und so rasch wie möglich umzusetzen, sodass auch eine kleinere Bundeswehr bestmöglich auf die ihr von der Politik übertragenen Aufträge vorbereitet sein wird. Es wird also nicht etwa zu einem Aufstand von Soldaten kommen. Es mag den einen oder anderen kritischen Leserbrief geben, aber ansonsten haben Soldaten in Deutschland gelernt zu gehorchen, und das gilt auch für die Staatsbürger in Uniform.

    Meurer: Tobias Armbrüster sprach mit General a.D. Manfred Eisele über die Reformpläne von Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg.