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'Es wird ohne Strukturveränderungen im System der Arbeitsverwaltung nicht weitergehen.'

Zagatta: Guten Tag, Herr Niebel.

    Niebel: Guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Dirk Niebel, das muss ich vielleicht vorausschicken, ist nicht nur arbeitsmarktpolitischer Sprecher seiner Fraktion, er war vor seinem Wechsel in den Bundestag auch in einem Arbeitsamt tätig. Als Vermittler weiß er also wie kaum ein anderer, worum es geht. Herr Niebel, haben Sie da aus diesen Erfahrungen heraus auch Verständnis für Bernhard Jagoda, der (wir haben das eben gehört) seinen Rücktritt ablehnt und zu den Vorwürfen sinngemäß sagt: erst mal langsam, wir werden das prüfen.

    Niebel: Also ich bin schon der Ansicht, man muss erst mal konkret prüfen, ob diese Stichprobe signifikant ist für die gesamte Bundesanstalt für Arbeit. Wenn das allerdings der Fall ist, dass die Zahlen so stimmen, dass also nur ungefähr 20 Prozent der Arbeitslosen durch die Mitwirkung der Bundesanstalt tatsächlich einen neuen Arbeitsplatz kriegen, dann ist das ein Skandal und dieser Skandal muss natürlich auch dazu führen, dass man die Frage stellt, inwieweit die Bundesanstalt für Arbeit in ihrer jetzigen Struktur überhaupt noch zukunftsfähig ist - auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite, inwieweit unsere arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien richtig wirken. Hintergrund ist, dass sowohl die Politik als auch das Gesetz fordern, dass die Arbeitsvermittlung Vorrang hat vor arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien. Wenn jetzt dieser Vorrang sich als Nachrang herausstellt, dann zeigt das natürlich, dass hier die Schwerpunkte eindeutig ganz falsch gesetzt sind.

    Zagatta: Ist es denn so schwierig, als Insider diese Zahlen richtig einzuschätzen, ob die stimmen?

    Niebel: Nun, der normale Bürger stellt sich vor, eine Arbeitsvermittlung liegt dann vor, wenn sie ein Stellenangebot haben. Dann schicken sie einen Bewerber hin und der wird eingestellt. In den Vorschriften der Bundesanstalt für Arbeit ist das etwas weiter gefasst, so dass eine Vermittlung dann vorliegt wenn die Bundesanstalt bei der Besetzung einer Stelle beteiligt war. Das lässt natürlich einen außerordentlichen Interpretationsspielraum und wenn ich Herrn Jagoda richtig verstanden habe, sieht er eine reguläre Vermittlung auch dann, wenn man ein Stellenangebot, das im SIS, also im Stelleninformationsservice, oder im Internet veröffentlicht war, wenn das abgemeldet wird, weil es besetzt ist, dass man dann davon ausgeht, dass es das aufgrund der Veröffentlichung der Bundesanstalt für Arbeit, sprich aufgrund einer Vermittlungstätigkeit wurde, ich denke, dass hier die Interpretation doch zu weit geht.

    Zagatta: Aber Sie kennen diese Praxis, wie haben Sie das damals erlebt? Oder ist das neu?

    Niebel: Die Vorschriftenlage hat sich da nicht geändert, ich habe das als Arbeitsvermittler so nicht gemacht, sondern nur, wenn ich tatsächlich aktiv beteiligt gewesen bin, zum Beispiel wenn eine Arbeitsgenehmigung erstellt worden ist für einen Nichtdeutschen, weil die Besetzung der Stelle ohne diese Arbeitsgenehmigung nicht möglich gewesen wäre, habe ich so was als Vermittlung gewertet, SIS nicht. Ich denke, dass das sehr individuell und unterschiedlich gehandhabt worden ist. Aber das ist auch nicht der Punkt, an dem ich mich aufhänge. Was mich stört ist tatsächlich, dass hier der politischen Entscheidungsebene vorgegaukelt wird, dass die Effizienz der Bundesanstalt für Arbeit und der aktiven Arbeitsmarktpolitik deutlich höher ist, als sie faktisch tatsächlich sind. Und dann muss man natürlich bei 20 Milliarden Euro, die wir dieses Jahr in den Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik investieren schon noch mal genauer nachfragen.

    Zagatta: Aber ist die Politik wirklich davon ausgegangen, dass die Bundesanstalt in Nürnberg so erfolgreich ist? Ich meine, in diesem Vorstand, da sitzen Politiker, da sind Gewerkschaften mitbeteiligt, da sind Arbeitgeber mit dabei, Ihre FDP war seit Jahren in der Bundesregierung. Sie sagen, Sie kennen diese Praktiken. Ist diese Aufregung im Moment nicht übertrieben?

    Niebel: Nein, ich sehe die Aufregung überhaupt nicht als übertrieben an. Man muss dem konkret nachgehen. Die Zahlen sind dramatisch. Dass es immer mal Fehlvermittlungen, Fehlbuchungen in der Statistik geben wird, das lässt sich aufgrund der Arbeitsbelastung, die die Vermittler tatsächlich haben, wahrscheinlich nicht vermeiden. Es ist bloß die Frage, ob so was mit System betrieben wird oder nicht. Und hier komme ich noch mal auf den Vorrang der Vermittlung zurück, den der Gesetzgeber fordert. Wenn wir nur 20 Prozent aller Arbeitslosen durch die Vermittlungstätigkeit der Bundesanstalt in Arbeit bringen und auf der anderen Seite 20 Milliarden Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgeben, dann ist der Schwerpunkt falsch gesetzt und ein Indiz dafür, dass das tatsächlich so ist, kann man auch darin finden, dass bei dieser größten Behörde Deutschlands der Bundesanstalt mit knapp 93000 Mitarbeitern nur gerade mal 10 Prozent auch nach dem Job-Aktiv-Gesetz der Beschäftigten in der Arbeitsvermittlung beschäftigt sind. Das ist aber das operative Geschäft, wenn ich den Vorrang der Vermittlung unterstelle und deswegen wird es ohne Strukturveränderungen im System der Arbeitsverwaltung auf jeden Fall nicht weitergehen können.

    Zagatta: Muss da die Politik jetzt schnell handeln oder ist das richtig, der Behörde für die aktuellen Vorwürfe erst einmal Zeit zu geben, das aufzuklären.

    Niebel: Das ist die Frage, wie viel Zeit sich die Behörde nimmt. Natürlich muss die Politik möglichst schnell handeln, allerdings auf der Grundlage vernünftiger Prüfungsergebnisse. Man darf jetzt auch nicht einfach Köpfe fordern ohne dass klar ersichtlich ist, dass hier wirklich ein Missstand besteht. Insgesamt denke ich, wirft das Ganze nicht nur auf Herrn Jagoda ein schiefes Licht, sondern natürlich auch auf das Haus von Arbeitsminister Riester. Wenn man sich die Kette dessen, was da passiert ansieht: dramatisch steigende Arbeitslosenzahlen, eine Statistik, die offenkundig bei den Vermittlungszahlen nicht das wiederspiegelt, was man die ganze Zeit angenommen hat, eine Studie, die er noch am 21. Januar zusammen mit Herrn Jagoda vorgestellt hat, die aussagt, dass ungefähr die Hälfte aller Arbeitslosen gar nicht oder nur sehr gering an einem neuen Arbeitsplatz interessiert ist und dazu noch die dubiosen Vergabemethoden für öffentliche Gelder im Hause Riester lässt insgesamt natürlich auch die Frage aufkommen, wie weit hier politische Verantwortung über die Beamten hinauszuziehen ist. Mir ist nur wichtig, dass man die Verantwortung jetzt nicht bei den kleinen Arbeitsvermittlern vor Ort ablädt, sondern dass man tatsächlich schaut, wer aufgrund welcher Weisungslage wie gehandelt hat und dann die Verantwortlichen für die Weisung eventuell zur Rechenschaft zieht.

    Zagatta: Die Niebel, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Dankeschön für das Gespräch.

    Niebel: Gerne.