Dienstag, 23. April 2024

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"Es wird viel geredet, gehandelt wird wenig"

Oskar Lafontaine, Parteichef Die Linke, erwartet wenig Ergebnisse vom Weltfinanzgipfel in London. Die Beschwörungen bei dem Treffen seien so allgemein, dass er kaum mit konkreten Resultaten rechne. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warf er Untätigkeit vor. Erste Regulierungsschritte wie das Verbot von Hedgefonds oder der Handel mit Giftpapieren hätten in Deutschland längst umgesetzt werden können, passiert sei aber nichts.

Oskar Lafontaine im Gespräch mit Dirk Müller | 02.04.2009
    Dirk Müller: Können die G20-Staaten tatsächlich die zusammengebrochenen Finanzmärkte wieder stabilisieren, wieder in den Griff bekommen, etwas gegen die Wirtschaftskrise tun, deren Talsohle immer noch nicht erreicht ist? Die Industrieproduktion geht weiter nach unten, dementsprechend auch die Importe, die Exporte, auch die Binnenkonjunktur ist auf dem Rückmarsch. Unternehmen melden Insolvenz an, andere hoffen auf staatliche Hilfen - siehe Hypo Real Estate, siehe Chrysler, Ford, General Motors, siehe Opel. Die Arbeitslosigkeit steigt - weltweit.
    Am Telefon ist jetzt Oskar Lafontaine, Partei- und Fraktionschef der Linken. Guten Morgen!

    Oskar Lafontaine: Guten Morgen!

    Müller: Herr Lafontaine, welche Regierung macht denn im Moment etwas richtig?

    Lafontaine: Die Amerikaner steuern kräftig gegen den konjunkturellen Einbruch; das ist richtig. Das ist im Moment das einzige, was man sagen kann. Ansonsten sind die ganzen Beschwörungen so allgemein, dass ich leider befürchte, dass wenig herauskommt. Völlig unglaubwürdig ist die deutsche Bundeskanzlerin, die sagt, man müsse aus der Krise lernen. Sie hat nichts gelernt aus der Krise. Wir fordern im Bundestag immer wieder, das zu machen, was hier in Deutschland zu regeln wäre, also Hedgefonds verbieten, den Handel mit Giftpapieren zu untersagen und das Auslagern von krummen Geschäften in Zweckgesellschaften zu verbieten. Das fordern wir immer wieder. Das wäre mit nationalen Gesetzen und Verordnungen zu erledigen. Nichts passiert! Das heißt: Frau Merkel ist völlig unglaubwürdig.

    Müller: Bleiben wir, Herr Lafontaine, noch einmal kurz bei Obama. Das heißt, jetzt noch mehr Geld in die Hand zu nehmen, das ist richtig?

    Lafontaine: Wir müssen unterscheiden zwischen den Nationen, die große Exporterfolge haben - dazu gehört Deutschland -, und denen, die große Defizite haben im Warenaustausch - dazu gehört Amerika. Eigentlich müssten diejenigen, die große Überschüsse haben, wie die Deutschen, am meisten für die Konjunktur tun und diejenigen, die in den letzten Jahren schon dadurch, dass sie mehr Waren verbraucht haben, als sie sie selbst hergestellt haben, die Weltkonjunktur geschleppt haben, müssten weniger tun. Es ist aber genau umgekehrt. Wir, die wir Exportweltmeister sind, tun relativ wenig, während die Amerikaner, die schon in der Vergangenheit eben mehr Waren verbraucht haben, als sie selbst hergestellt haben, weiter kräftig die Konjunktur unterstützen. Also mit anderen Worten: Europa müsste mehr tun, vor allen Dingen Deutschland.

    Müller: Jetzt sagt der Bundesfinanzminister, den wir vor gut einer Stunde hier im Deutschlandfunk gehört haben, wir haben kein Geld und wir wollen auch kein Konjunkturpaket III.

    Lafontaine: Wenn der Finanzminister so weiterredet - das ist das alte neoliberale Geschwätz -, dann wird er in Zukunft noch weniger Geld haben, denn Geld kriegt er nur, wenn die Wirtschaft wieder in Gang kommt, denn nur dann werden Steuern gezahlt.

    Müller: Die drei Prozent Verschuldungsmarke, die in Europa gilt, ficht Sie nicht an?

    Lafontaine: Nein. Die ficht ja weltweit in dem Sinne niemanden an, weil sie willkürlich ist. Jeder Ökonom, der sich zu den Grundsätzen etwa des Keynesianismus bekennt, kann über solche Grenzen nur lachen. Die waren immer unverständlich und können ja auch nirgendwo eingehalten werden.

    Müller: Wir haben, Herr Lafontaine, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hier im Deutschlandfunk vor gut vier Monaten im Dezember ein Interview geführt. Da haben wir Sie gefragt, wie viel Geld muss die Bundesregierung in die Hand nehmen. "50 Milliarden" haben Sie gesagt. Nun haben wir dieses Konjunkturpaket, 50 Milliarden. Warum reicht das jetzt nicht?

    Lafontaine: Das reicht deshalb nicht, weil hier wieder getrickst wird. Man kann nicht zwei Jahre nehmen; es geht eben um die Jahresrate. Wir haben damals eine Jahresrate von 50 Milliarden gefordert. Das sind zwei Prozent des Sozialproduktes. Man muss immer auf die gesamte Wirtschaftsleistung das beziehen, was man also investiert, um die Konjunktur zu stützen. Wenn jetzt aber etwa die Commerzbank prognostiziert, dass die Konjunktur um sieben Prozent einbrechen wird, dann weiß jeder, der die Grundrechenarten beherrscht, dass zwei Prozent noch nicht mal ausreichen, um gegenzusteuern.

    Müller: Jetzt müssen Sie uns aber verraten: wenn alle Staaten viel, viel Geld aufnehmen, um Konjunkturprogramme zu investieren, zur gleichen Zeit das Bankensystem noch nicht gefestigt ist, wer soll diese Schulden schultern, tragen, finanzieren?

    Lafontaine: Das ist natürlich die große Frage, die die heftigen Auseinandersetzungen der nächsten Jahre bestimmen wird. Unsere Antwort ist einfach: Diejenigen in erster Linie, die das große Geld in den letzten Jahren verdient haben, das große Rad gedreht haben. Eine konkrete Zahl, die ja so gefürchtet sind in unseren Debatten: Wenn wir in Deutschland die Vermögensbesteuerung wie Großbritannien hätten, dann hätten wir pro Jahr über 80 Milliarden Mehreinnahmen. Warum tun wir das nicht? - Wenn wir in Deutschland eine halbprozentige Umsatzsteuer auf den Börsenumsatz hätten, hätten wir 35 Milliarden mehr gehabt im letzten Jahr. Da wären wir schon bei 115 Milliarden. Wir müssen uns nur trauen, das Geld dort zu schöpfen, wo es jetzt geschöpft werden muss, nämlich bei den Vermögenden und Wohlhabenden, und endlich aufhören, den Rentnern, den Arbeitnehmern alles aufzubürden.

    Müller: Die Zahl grassiert ja schon seit einigen Wochen und Monaten. Sie sagen, 80, 85, bis 105 Milliarden. Nun haben viele Reiche ja auch viel Geld verloren. Wieso kommt dieses Geld dann zu Stande?

    Lafontaine: Das kommt zu Stande, weil es um das reale Geldvermögen der Deutschen geht. Hier sind also, wenn sie so wollen, irgendwelche Spekulationspapiere nicht erfasst. Im Übrigen gäbe es ja noch eine weitere Quelle, die noch gar nicht abschätzbar ist. Das ist, das Geld wieder zu besteuern, was in Steueroasen ist. Auch hier kommen wir ja nicht voran. Sarkozy und Merkel fordern, die Steueroasen auf einer Liste zu veröffentlichen. Das ist ja wirklich rührend! Das wird also dann diejenigen, die bisher Geld in Steueroasen verschoben haben, wirklich abschrecken, dies weiterhin zu tun. - Nein, was wir bräuchten ist, was Die Linke im Bundestag vorgeschlagen hat. Wer Geschäfte mit Steueroasen macht, wird bestraft, und zwar ordentlich.

    Müller: Nun gibt es ja diese Schwarzen Listen. Wir haben auch darüber mit Peer Steinbrück geredet und der hat gesagt, wenn das alles nicht funktioniert, dann werden wir diese Schwarzen Listen öffentlich machen und dann gibt es entsprechende Konsequenzen. Ist doch ein Schritt nach vorne!

    Lafontaine: Steinbrück hat einen Entwurf vorgelegt, der teilweise dem entspricht, was wir im Bundestag beantragt haben, nämlich diejenigen zu bestrafen, die Geschäfte mit Steueroasen machen, aber dieser Entwurf bleibt schon hängen in der Großen Koalition, weil Merkel und die CDU sich hier verweigern. Sie sehen also: Es wird viel geredet, gehandelt wird wenig. Aber dieser Ansatz von Steinbrück ist von uns zu unterstützen.

    Müller: Das heißt, es ist auch richtig, dass er sich mit der Schweiz explizit angelegt hat?

    Lafontaine: Selbstverständlich ist das richtig. Ich kann das nur nachhaltig befürworten. Wenn es darum geht, Steuerbetrug und Steuerhinterziehung anzuprangern, und wenn ein Land mittelbar dabei Hilfe leistet, dann ist es Aufgabe des Finanzministers, hier deutliche Worte zu finden. Über einzelne Formulierungen kann man natürlich herumgackern, aber letztendlich hat er ein ernsthaftes Anliegen und ist zu unterstützen.

    Müller: Sie fordern ja viele Verbote, Herr Lafontaine. Das haben Sie eben auch gesagt. Wenn wir das Beispiel Hedgefonds nehmen: das heißt, ganz klar sagt Die Linke Verbot dieser Hedgefonds und keine nur Kontrolle der Hedgefonds?

    Lafontaine: Richtig! Wir haben sie ja 2004 erst in Deutschland zugelassen. Das war die rot/grüne Koalition. Vorher haben wir doch gut gelebt, vor 2004. Wir würden auch weiterhin gut leben, wenn wir diese Fonds, die im Grunde genommen unverantwortliches Wirtschaften zur Zielsetzung haben, nämlich mit großen Krediten Unternehmen aufzukaufen oder sonstigen Unfug zu treiben, verbieten würden.

    Müller: Wie groß ist denn Ihre Befürchtung, wenn es Restriktionen geben sollte, wenn es größere Kontrollen, härtere Kontrollen geben sollte, dass das Kapital sich nicht mehr entfaltet, vor allen Dingen sich nichts mehr traut?

    Lafontaine: Das Kapital hat sich viel zu viel getraut und hat sich eben im Grunde genommen nicht entfaltet, sondern es wurden Papiere aufgeblasen, die niemand mehr verstanden hat, Papiere, die letztendlich dann wie bei einem Luftballon, wenn man in ihn reinsteckt, in sich zusammengefallen sind, die ganzen Giftpapiere. Es wäre ein Segen für die Menschheit, wenn dieses Aufblasen des Kapitals, wie Sie es formuliert haben, unterbunden würde, denn die Schäden tragen jetzt die Arbeitnehmer und die Armen und Bedürftigen. Die Folgen müssen die Arbeitnehmer und die Armen und Bedürftigen in aller Welt ausbaden. Bei uns sind die Leiharbeiter, die mit befristeten Arbeitsverträgen, die jetzt Kurzarbeit haben, die jetzt entlassen werden. Die Zahl nimmt ja jeden Tag zu. In den armen Ländern gibt es schon keine Kredite mehr und dort wird Hungertod die Folge dieser verantwortungslosen, kriminellen Spekulationen der Banken sein, um die es geht.

    Müller: Jetzt sagen Sie "böses Kapital". Hat es auch mal Zeiten "guten Kapitals" gegeben?

    Lafontaine: Kapital ist weder gut noch böse. Es ist Aufgabe des Staates, die Wirtschaft zu regulieren. Wenn der Staat beim Finanzsektor völlig versagt, dann haben wir die ungeheueren sozialen Folgeschäden, die wir jetzt in aller Welt beobachten können.

    Müller: Ist es auch Aufgabe des Staates, Opel zu helfen?

    Lafontaine: Selbstverständlich ist es Aufgabe des Staates, Opel zu helfen. Wofür ist er denn sonst da, wenn er nicht den Menschen hilft, die in existenzielle Schwierigkeiten kommen können. Das ist ja immer wieder erfolgreich praktiziert worden. Hier sagen wir, Opel muss gestützt werden. Nehmen Sie mal die Zahl, um die es geht: es ist von drei Milliarden die Rede. Stellen Sie dagegen die 100 Milliarden Deckungsbeitrag für die Hypo Real Estate. Die Arbeitnehmer in Deutschland würden ja nicht mehr verstehen, wenn der Staat auf der einen Seite bei solchen Zockerbanken riesige Summen bereitstellt, aber nicht bereit ist, hier für Arbeitsplätze, die in der Summe auf 100.000 sich aufaddieren, etwas zu tun. Wir sagen jawohl, staatliche Hilfe, aber die Gelder des Staates müssen in Belegschaftsbeteiligungen umgewandelt werden.

    Müller: Wenn Sie, Herr Lafontaine, noch Finanzminister wären, wie hoch würden Sie denn diese Verschuldungsquote akzeptieren?

    Lafontaine: Das ist im Moment eine Aufgabe, die sich richtet nach dem konjunkturellen Einbruch. Ich habe Ihnen eine Zahl genannt: Die Zahl, die jetzt von den Banken vorgegeben ist, sieben Prozent. Dann muss man eben in diesen Größenordnungen entgegensteuern, wie das auch andere Länder tun, ohne das zu diskutieren. Wir haben ja in Deutschland einen großen Horror vor Schulden, weil wir eines übersehen: die Schulden sind das Vermögen der Wohlhabenden, denn die Staatsanleihen sind die Papiere, die diejenigen kaufen, die viel Geld haben. Die Frage ist nur: Wer bezahlt die Zinsen. Und da sind wir wieder beim Steuersystem. Würden wir die Vermögen in Deutschland so besteuern nur wie in Großbritannien, könnten die Zinsen allein aus der Vermögenssteuer bezahlt werden.

    Müller: Und damit wären die Jüngeren dann auch zufrieden?

    Lafontaine: Damit wären sicherlich diejenigen zufrieden, die nicht in Zukunft große Geldbeträge erben oder große Vermögen erben, denn sie sind ja diejenigen, die die Hauptleidtragenden einer verfehlten Politik sind, wenn ihre Eltern oder sie selbst von Arbeitsplatzverlust betroffen sind, oder durch die verfehlte Sozialpolitik. Wenn sie 1000 Euro heute haben, nur noch 400 Euro Rente zu erwarten haben, das sind die Fehlentwicklungen der letzten Jahre, die dringend korrigiert werden müssen.

    Müller: Oskar Lafontaine bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Lafontaine: Auf Wiederhören!