Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

ESA-Generaldirektor zur ISS-Mission
"Raumfahrt ist auch ein geopolitisches Instrument"

Die ISS-Mission, die heute startet, sei eine "schöne Gelegenheit", Probleme in der Politik zu überbrücken, sagte der Generaldirektor der Europäischen Weltraumagentur ESA Johann-Dietrich Wörner im Dlf. In der Raumfahrt könne geopolitisch etwas geleistet werden - auch wenn es auf der Erde Schwierigkeiten gebe.

Johann-Dietrich Wörner im Gespräch mit Mario Dobovisek | 06.06.2018
    Ausseneinsatz an der Internationalen Raumstation ISS
    Auf der ISS arbeitet ein Team aus internationalen Wissenschaftlern (imago)
    Mario Dobovisek: Beim Start von Alexander Gerst mit dabei ist Jan Wörner. Er ist Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Guten Morgen, Herr Wörner!
    Johann-Dietrich Wörner: Guten Morgen.
    Dobovisek: Die Europäer und die Amerikaner fliegen per Anhalter in die Galaxis, schon seit einiger Zeit an Bord der Russen. Ist das das Gegenbeispiel zum Erstarken des Unilateralismus am Boden?
    Wörner: Es ist auf jeden Fall eine schöne Gelegenheit, die Schwierigkeiten, die auf der Erde immer wieder im politischen Bereich auftauchen, zu überbrücken. Und das kann die Raumfahrt sehr gut – nicht nur direkt geografisch, indem die Astronautinnen und Astronauten über die irdischen Probleme drüber wegfliegen, sondern auch im Sinne von der Situation, dass wir hier geopolitisch wirklich etwas leisten können, Zusammenarbeit nachweisen können, auch wenn es auf der Erde Schwierigkeiten gibt.
    Dobovisek: Wie gut läuft denn die internationale Zusammenarbeit tatsächlich in der Raumfahrt?
    Wörner: Wenn ich Ihnen sage, wenn jedes Mal, wenn wir uns treffen in einer größeren Runde, gestern zum Beispiel mit den Amerikanern und den Russen, aber auch wenn die anderen Partner noch dabei sind, dass ich richtig ein Kribbeln auf meinem Rücken spüre, weil ich da sehe: Mensch, wir können wirklich auch zusammenarbeiten, wir brauchen uns nicht immer wieder im Klein-Klein, in Streitereien auf der Erde auseinandersetzen. Das ist ein gutes Gefühl und dabei sein zu dürfen, empfinde ich als eine besonders schöne Angelegenheit.
    "Ich glaube nicht, dass es zu einer echten Privatisierung der Raumstation kommt"
    Dobovisek: Nun hat allerdings US-Präsident Donald Trump angekündigt, die USA wollen für die ISS kein Geld mehr geben ab 2025. Wird dann der Unilateralismus auch im Weltraum ankommen?
    Wörner: Nein. Ich verstehe die Äußerung von Herrn Trump etwas anders und in der Richtung arbeiten wir auch schon. Ich verstehe, dass er mehr Kommerzialisierung haben will im Weltall. Ich glaube nicht, dass es zu einer echten Privatisierung der Raumstation kommt. Das ist eigentlich nicht erwartbar.
    Aber wir zum Beispiel auch aus Europa, wir bieten, muss ich besser sagen, der Industrie an, Experimente auf der Raumstation durchzuführen in eigener Verantwortung. Wir organisieren nur den Transport hin und zurück und ansonsten können die dort selbst Versuche durchführen. Wir machen das in einer Public Private Partnership. Europa ist in dieser Frage der Kommerzialisierung oder der stärkeren Initiative von Industrie durchaus sehr, sehr weit vorne. Und ich glaube, das ist auch damit gemeint, dass nach 2024 vielleicht auch noch mehr auch von amerikanischer Seite dort die Industrie eingeschaltet wird. Ich glaube nicht an eine Privatisierung der Raumstation als solche.
    Dobovisek: Heißt es dann zukünftig, dieser Raumflug wurde Ihnen gesponsert von Coca-Cola?
    Wörner: So was ist natürlich denkbar. Das ist vielleicht in Europa nicht so schnell denkbar. Aber vielleicht gibt es auch tatsächlich private Flüge. Das ist schon durchaus denkbar. Es gab ja schon mal einzelne Touristen und ich glaube, es wird einen Weltraum-Tourismus geben, und dann kommen vielleicht auch solche Sachen zustande, dass besondere Firmen dann das Thema begeistert aufnehmen. Wenn Sie mal mit offenen Augen heute durch die Landschaft laufen, dann sehen Sie, dass ganz viele Firmen die Raumfahrt bereits als Mittel nehmen, um ihre Produkte besonders wirksam an den Mann oder an die Frau zu bringen. Wir haben das schon, nur noch nicht mit den Raumflügen selber.
    Dobovisek: Ist das auch eine Chance, dieser, ich nenne es mal trotzdem Rückzug der USA aus der ISS für neue Allianzen, gerade mit Blick zum Beispiel in Richtung China?
    Wörner: Aus europäischer Sicht haben wir den großen Vorteil, dass wir nach links und rechts, nach oben und unten gucken können. Weil wir schon selber mit 22 Mitgliedsstaaten und Kanada schon international aufgestellt sind, fällt es uns sehr leicht, auch nach Ost und West enge Kontakte zu haben. Deshalb haben wir auch schon Kontakte nach China. Wir hatten auch immer Kontakte nach Russland und ich glaube, da kann Europa auch eine gute Binderolle spielen, eine gute Bindefunktion.
    Die ESA als zwischenstaatliche Einrichtung hat es noch mal leichter, weil wir da nicht unmittelbar in die politischen Zwänge eingezwängt werden, die vielleicht nationale Agenturen haben wie die Amerikaner oder die russische Seite. Wir haben da mit der ESA auch ein sehr schönes Instrument, gerade auch eine gute Rolle zu spielen für die internationale Zusammenarbeit.
    "Raumfahrt ist aber auch geopolitisches Instrument"
    Dobovisek: Gut 150 Milliarden Euro sind ja bereits in die ISS und alles, was dazugehört, geflossen. Davon hätte auch viel Hunger und Leid weltweit bekämpft werden können, sagen Kritiker. Auch die Finanzierung der Europäer läuft nur bis 2024. Sehen Sie ausreichend politischen Willen, mehr Geld in die Hand zu nehmen?
    Wörner: Erst mal glaube ich, dass mit dem Geld viel Hunger und Leid bekämpft wurde, denn nicht ein Euro, nicht ein Dollar oder ein Rubel ist in der internationalen Raumstation übrig geblieben. Die haben keinen Geldbunker da oben, sondern all die Aktivitäten, die da oben gelaufen sind, sind immer auf der Erde entwickelt worden und finanziert worden. Das sind Arbeitsplätze auf der Erde. Aber wir haben auch durch die Raumfahrt, auch durch die internationale Raumstation zum Beispiel auf der Erde den Menschen helfen können, durch Telemedizin, durch Entwicklung von speziellen Medikamenten und so etwas.
    Wir haben mal ausgerechnet, dass etwa jeder Euro oder jeder Dollar, der investiert wurde in die internationale Raumstation von europäischer Seite aus, etwa das 1,8fache zurückgebracht hat. Und insofern ist die Frage, lohnt es sich, automatisch beantwortbar, neben der Frage der geopolitischen Wirkung, die sich natürlich anschließt. Ich glaube, dass Raumfahrt aus dieser Frage, ist das nur Prestige, längst rausgewachsen ist. Raumfahrt ist heute Infrastruktur für alle möglichen Themen. Raumfahrt ist aber auch geopolitisches Instrument. Ich sehe das sehr, sehr positiv.
    Dobovisek: Alexander Gerst fliegt ja heute zur ISS, zur internationalen Raumstation, wird auch deren erster deutscher Kommandant werden. Die ISS gilt aber inzwischen auch als in die Jahre gekommen. Was kommt nach der ISS?
    Wörner: Wir haben von europäischer Seite aus uns bisher verpflichtet, bis 2024 teilzunehmen. Wir werden sehen, wenn die Raumstation länger zur Verfügung ist, ob wir dann auch mit dabei sein wollen. Was aber klar ist: Wir brauchen in Zukunft auf jeden Fall im niedrigen Erdorbit Möglichkeiten für die Forschung. Dafür ist es einfach zu wichtig, für Medizinforschung, für Biologie, für Materialforschung. Gleichzeitig brauchen wir diesen internationalen Charakter, und da es den Menschen offensichtlich anheimgestellt ist, auch immer wieder die Grenzen zu überwinden, wollen wir natürlich auch mit unseren Partnern internationale Explorationen jenseits des Erdorbits machen.
    Die ESA hat dafür ein spezielles Rahmenprogramm definiert, was die Ziele hat, niedrigen Erdorbit, Mond und Mars, robotisch und astronautisch. Astronautisch glauben wir nicht, dass man in Kürze zum Mars fliegen kann, aber mit den Amerikanern zum Beispiel in einen Mondorbit. Dafür entwickeln wir ja gerade auch Technologie in Europa, speziell in Deutschland, in Bremen.
    Dobovisek: Kommen wir noch mal gemeinsam zurück zu der Kommerzialisierung, über die wir schon vorher gesprochen haben. Die private SpaceX-Rakete ist stärker, größer und günstiger als die neue Ariane XI der Europäer, mit der ja auch Geld verdient werden soll. Gerät Europa damit aufs Abstellgleis im Raumtransport?
    Wörner: Wir sehen eine sehr rasche Entwicklung des Raumtransportes und wir hatten deshalb in der ESA vor wenigen Wochen einen Workshop mit all unseren Mitgliedsstaaten, in dem wir über zukünftige Systeme geredet haben. Wir müssen dort entwickeln. Klar, es ist ein echter Wettbewerbsdruck da.
    "Wettbewerb heißt noch nicht Abstellgleis"
    Dobovisek: Also ja, Sie geraten aufs Abstellgleis.
    Wörner: Nein. Wettbewerb heißt noch nicht Abstellgleis. Wettbewerb heißt, dass man sich der Sache annehmen muss. Es ist richtig, dass SpaceX sehr günstige Preise anbietet, insbesondere an internationale Partner, weniger an amerikanische Partner. Da ist sie relativ teuer. Wir müssen gucken, wie wir da in Europa mithalten können. Das ist eine Herausforderung. Die Ariane VI ist das Beste, was wir im Moment machen können, nämlich eine Reduktion um etwa 50 Prozent und mit hoffentlich weiterhin hoher Zuverlässigkeit wie die Ariane V. Auch das ist ein Kostenfaktor. Aber wir denken auch über die Ariane VI hinaus bereits jetzt an neue Systeme.
    Dobovisek: Jetzt reden viele Raumfahrer über Astro-Alex, über Alexander Gerst, über einen freundlichen Helden, den Sympathieträger der Raumfahrt, mit Plüschmaus und Elefant und Kinderversuchen im Gepäck. Wir reden in der Raumfahrt aber weiter vor allem über Männer, auch wenn heute eine Amerikanerin mit abheben wird. Wann fliegt denn wieder eine Europäerin ins All, vielleicht sogar eine Deutsche?
    Wörner: Wir haben ja in unserem Astronauten-Korps 8413 Bewerberinnen und Bewerber gehabt. Davon waren etwa ein Sechstel Frauen. Und bei der endgültigen Auswahl war dann auch ein Sechstel Frauen, was leider nur eine einzige Person dann war, nämlich Samantha Christoforetti. Auch für sie planen wir wieder einen Flug. Wann wir mal eine europäische Astronautin mit deutschem Pass haben werden, kann ich Ihnen heute noch nicht beantworten.
    Wir aus ESA-Sicht schauen auch nicht so sehr auf die Nationalitäten. Wir schauen mehr auf die Qualitäten und, dass es ein europäischer Astronaut oder eine Astronautin sein soll. Sobald wir das Gefühl bekommen, dass die Mitgliedsstaaten auch die zukünftige astronautische Raumfahrt wollen und richtig unterstützen, werden wir auch wieder nach neuen Bewerberinnen und Bewerbern gucken und dann natürlich auch das Augenmerk darauf legen, dass wir möglichst auch einen höheren Anteil an weiblichen Astronauten haben.
    Dobovisek: Jan Wörner. Er ist Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Heute Mittag deutscher Zeit in Baikonur der Start von Alexander Gerst zur Internationalen Raumstation. Wie wünscht man sich, Herr Wörner, unter Raumfahrern, einen guten Flug?
    Wörner: Ich jedenfalls wünsche einfach dem Alexander Gerst und seinen beiden Mitkosmonauten, Astronauten, Sergei und Serena einen wirklich erfolgreichen Flug. Vor allen Dingen aber, dass sie gesund wieder zurückkommen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.