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Essayband zur Höhlenkunde
Unterirdische Faszination

Höhlen sind seltsame Orte: Mal hausen in ihnen Fabelwesen, sie beherbergen Raubritter oder die Welt der Toten. Höhlen sind eine philosophische Erkenntnisstätte und geben Aufschlüsse über den Ursprung des Menschen. „Höhlen sind auch politische Räume“, sagte Germanist und Autor Marcel Lepper im Dlf.

Marcel Lepper im Corsogespräch mit Raphael Smarzoch |
Archäologen haben in einer Höhle Keramikgefäße aus der Maya-Zeit gefunden.
Ein Archäologe bei der Arbeit in einer Höhle (pa/dpa/AP/Mexico's National Institute of Anthropology)
Die Höhle ist ein ganz realer Raum aus der Frühzeit der Menschheit, wo Menschen in kleinen Gruppen Schutz vor Gefahr gesucht haben. Das Dunkel der Höhle würde die unterirdischen Naturbauten aber auch zu Orten des Schreckens machen, sagte Buchautor Marcel Lepper im Deutschlandfunk.
Zwischen Schrecken und Schutz
"Das zieht sich vom Kinderbuch bis in die großen Klassiker des Forschungsromans, wo Forschende in eine Höhle steigen und dort auf irgendeine Weise in Gefahr geraten", erzählte Lepper. Die ambivalente Strahlkraft dieser Orte würde aber nicht nur Autoren anlocken, sondern auch Extremsportler oder Regisseure wie Werner Herzog, der einen Film über eine Höhle gemacht hat: "Die Höhle der vergessenen Träume."
Gleichzeitig sei die Höhle aber auch eine Metapher, sagte Lepper, zum Beispiel eine philosophische. Etwa Platon oder Hans Blumenberg, der ein berühmtes Buch geschrieben hat, "Höhlenausgänge", in dem er darüber nachdenkt, wie menschliche Mängel ausgeglichen werden können durch so etwas wie eine Höhle. "Hans Blumenberg hat sich das vorgestellt als eine Schreibhöhle", sagt Lepper. Jeder träume davon, ungestört, zurückgezogen nur in Gedanken mit Büchern unterwegs zu sein. Literarische, philosophische oder künstlerische Traditionen könnten also auch als Höhlen wahrgenommen werden.
Wir haben noch länger mit Marcel Lepper gesprochen - hören sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Aber auch digitale Räume könnten als Höhlen begriffen werden. Täglich tauche man in sie ab, werde von ihnen eingenommen. Die Netzwelt ermögliche Immersionserfahrungen, sagte Lepper. Aber auch die Digitalisierung von Daten würde riesige Innenräume entstehen lassen, die so etwas seien wie große imaginäre Museen, "in denen in gepixelter Form dann kulturelle Überlieferungen verfügbar und begehbar sind".
Orte des Politischen
Höhlen seien aber auch Orte der politischen Verhandlung. "Da passiert etwas Politisches", sagte Lepper. Ums Feuer wurden früher nicht nur Geschichten erzählt, sondern auch Pläne geschmiedet und Strategien festgelegt. Höhlen hätten als Ursprungsorte auch etwas Legitimatorisches. "Wer die Anfänge besitzt, der hat eine Legitimationsgeschichte in den Händen, und damit kann man Politik machen."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Marcus Messling, Marcel Lepper, Jean-Louis Georget (Hg.): "Höhlen. Obsession der Vorgeschichte"
Matthes & Seitz Berlin, 2019. 222 Seiten, 16 Euro.