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Esskultur USA
Die Macht des Burgers

Am Wochenende fand in Erfurt unter dem Titel "Histories of American Foodways" die Jahrestagung der Historiker in der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien statt. Und dort wurde die Frage beantwortet, was es über einen Menschen aussagt, wenn er einen grünen Smoothie oder einen zuckrigen Softdrink trinkt.

Von Henry Bernhard | 19.02.2015
    "I think eating and drinking right is a way for other people to assess you as a person, but I think it's also important to think about eating and drinking the so-called right things as a way that we come also to know ourselves as certain kind of subjects. It's a way of self-making or constructing ourselves, that assessment can be in a form of even moral assessment of a person based on their food choices. You can imagine e.g. the difference between somebody who you see on the street, drinking a green juice, or one who is drinking Coke."
    Essen und Trinken ermögliche es, andere Menschen einzuschätzen, sagt Charlotte Biltekoff, Kulturwissenschaftlerin von der University of California, Davis, und frühere Köchin. Aber das Richtige zu essen und zu trinken sei auch eine Möglichkeit, uns selbst kennenzulernen, ja uns selbst zu konstruieren. Man beurteile andere moralisch auf der Basis dessen, was sie essen und trinken. Man solle sich einfach jemanden vorstellen, der einen grünen Saft auf der Straße zu sich nimmt, und jemanden, der eine Cola trinkt.
    Schon auf dieser Basis beurteilen wir Menschen. Essen ist also viel mehr als Nahrungsaufnahme; Essen ist ein soziales, kulturelles und sogar politisches Statement, meint Nina Mackert von der Uni Erfurt, eine der Organisatorinnen der Tagung.
    "Immer – würde ich sagen –, es ist immer eine politische Frage. Nicht nur wegen der Produktionsbedingungen oder wegen der Verteilung von Essen berührt es Fragen der sozialen Ungleichheit, sondern auch die Art und Weise, wie Essen codiert ist, das heißt, mit welcher Bedeutung Essen aufgeladen ist. Das typische Stereotyp des Amis, der immer nur Burger isst, ist ein Beispiel, wie politisch aufgeladen Essen sein kann."
    Auf der anderen Seite der Skala ist der gesundheitsbewusste Amerikaner, der Fruchtsäfte trinkt, Sport treibt, seinen Körper als Kapital begreift. Diese extreme Polarisierung geht in den USA deutlich weiter als bei uns. Darüber war man sich auf der Erfurter Tagung einig. Das richtige Essen kann nun einerseits das sein, was Ernährungswissenschaftler raten, also zum Beispiel Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette in der richtigen Balance.
    "One of the things I learned is that dietary advice changes over time, that is: what people think of a good diet changes, because what we discovered through science changes. And what people think of a good person or even the cultural definition of "good citizenship" also changes over time. But I found, that the relationship between these two things stay the same. In other words: dietary ideals reflected social ideals."
    Charlotte Biltekoff hat herausgefunden, dass sich Ernährungsratschläge und damit der Begriff von guter Ernährung mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen ändern und dass sich auch die Idee davon, wer ein guter Mensch oder ein guter Staatsbürger ist, ändert. Das Verhältnis aber zwischen gutem Menschen und guter Ernährung bliebe immer gleich. Ernährungsideale reflektierten also soziale Ideale.
    So gab es in den USA im Zweiten Weltkrieg Poster, die die Bürger dazu aufforderten, sich gesund zu ernähren, um an der Heimatfront tapfer und gesund für den Sieg streiten zu können. Den eigenen Körper und damit auch seine Ernährung im Griff zu haben ist im 20. Jahrhundert ein Zeichen für Willensstärke, Selbstbestimmung und Erfolg. Ihn nicht im Griff zu haben, führt dagegen zu sozialer Ausgrenzung. Claudia Roesch von der Uni Münster meint, dass diese Mechanismen noch immer greifen.
    "Heute, würde ich sagen, dass es auf einer eher subtileren Form ist, es aber trotzdem noch die Debatten gibt um schlechte Ernährung und die Kosten für die Gesellschaft, also inwiefern Übergewicht oder Erkrankungen, die auf Übergewicht, falscher Ernährung kommen, inwiefern die der Gesellschaft Kosten zuführen und inwiefern die Gesellschaft Kosten auffangen muss."
    Claudia Roesch hat Eingliederungsprogramme für mexikanische Einwanderungsfamilien in den 50er-Jahren untersucht. Die Immigranten sollten schnell ihre alten Essgewohnheiten ablegen, als Zeichen der Loyalität, aber auch, um vermeintlich die Kosten zu senken, die Schulleistungen der Kinder zu verbessern und die Kriminalitätsrate zu senken – alles durch richtiges Essen. Die Frage der richtigen Ernährung kann so auch eine knallhart ökonomische sein. Nina Mackert:
    "Das Interessante ist, dass diese Wissenschaft von der richtigen Ernährung und effizienten Ernährung sowohl mit Forderungen verbunden werden kann: Wir müssen die Löhne nicht erhöhen, weil wir die Ernährung optimieren konnten, ohne die Löhne zu erhöhen. Gleichzeitig konnte es aber auch benutzt werden für die Forderung, ein hungriger Körper sorgt für soziale Unruhe. Also müssen wir dafür sorgen, dass die Körper der Arbeitenden gut gefüttert werden. Also, die Produktivität von Wissenschaft von rechter Ernährung auch zu solch sozialpolitischen Fragen ist riesig."
    Der Glaube der Mittelklasse daran, dass man durch richtiges Essen Erfolg hat und auf der moralisch richtigen Seite im Leben steht, sei in den USA noch verbreiteter als hierzulande.
    "In den USA wird sehr intensiv darüber gesprochen. In den USA finden sie auf den Speisekarten ganz gewöhnlicher Restaurants Kalorienangaben. In den USA ist die Awareness, ist das Bewusstsein über den kalorischen Inhalt von Essen, noch mal stärker ausgeprägt als hier."
    Claudia Roesch: "Was mich jedes Mal, wenn ich in den USA bin, sehr überrascht, ist, dass gutes und gesundes Essen im Verhältnis viel teurer ist als Fastfood; das ist hier in Deutschland, denke ich, nicht so. Ich denke auch, dass die Spaltung der Gesellschaft größer ist und dadurch auch das Bedürfnis nach sozialer Distinktion durch Ernährung größer ist und dass das einfach auch noch mehr symbolische Kraft hat als hier in Deutschland.
    Daraus resultiert auch ein Zwang zur Konformität, der bestehende Verhältnisse, Zuschreibungen, Urteile und Zugehörigkeiten zementiert. Die amerikanische Mittelklasse hat in einem abgrenzenden Ernährungsstil, dessen frisch gepresste Säfte und grüne Smoothies für ein moralisch überhöhtes Selbstbild stehen, einen Weg gefunden, sich nach unten abzugrenzen."
    Die Tagungsleiterin Nina Mackert sieht diese Hierarchisierung durch Saft oder Cola, Tofu oder Hamburger mit Sorge:
    "Liberale Gesellschaften basieren auf dem Ideal, dass jeder sich selbst verantwortlich regiert. Und wenn ich das vermeintlich nicht hinkriege – und das wird in der Moderne und im 20. Jahrhundert vor allem am Körperumfang festgemacht –, wenn ich das vermeintlich nicht hinkriege, dann wird mir auch die Fähigkeit, meine Freiheit richtig zu nutzen, abgesprochen. Und das sind natürlich hoch ausschließende Prozesse. Wenn wir uns zum Beispiel die gegenwärtige Rede von einer Adipositas-Krise angucken, dann werden wir schnell feststellen, dass die Menschen, die da darüber pathologisiert werden, zu denjenigen gehören, die regelmäßig in der Geschichte als Problemgruppen dargestellt werden. In den USA sind das zum Beispiel sehr stark arme Schwarze, die in diese Gruppe klassifiziert werden. Über Essen zu sprechen bedeutet meines Erachtens immer, über Macht zu sprechen."
    Die Autoren der Tagung sind sich einig: Essen ist nicht nur Nährstoff-Zufuhr. Vielmehr spiegeln sich darin gesellschaftliche Trends, kulturelle Strömungen, ökonomische Interessen und finanzielle Möglichkeiten. Cola und Burger auf der einen, Fruchtsäfte und Öko-Fleisch auf der anderen Seite haben also nicht nur Macht über den Körper, sondern auch über den sozialen Status der Menschen.